Leserbriefe zur Rezension

Ein „stahlhartes Gehäuse“ ist kein „Iron Cage“

Über Forscher, die kein Deutsch können

Von Dirk Kaesler


Dieter Schönecker schrieb uns am 12.01.2012
Thema: Dirk Kaesler: Ein „stahlhartes Gehäuse“ ist kein „Iron Cage“

Dirk Kaesler ist für seinen Text sehr zu danken! Einen Punkt, den Kaesler erwähnt, darf ich noch besonders bestätigen. Denn
was er über Jeffrey Alexander schreibt, erinnert mich haargenau an
unzählige Diskussionen, die ich über Sinn und Zweck der
Kant-Interpretation hatte: Immer wieder wird gesagt, es ginge nicht um den "historical Kant", sondern um "Kant as an idea" (das Wort dafür lautet dann oft "Kantianism"). Und meine Antwort darauf lautet: Wenn es nicht um den historischen Kant geht, dann gibt es auch keinen Grund, etwa in einem Buch hunderte von Kant-Zitate zu bringen; wenn es dagegen nur um Thesen und Argumente geht, die irgendwie 'Kantianisch' sind (aber was diese Thesen und Argumente sind, wäre eben zu klären), dann reicht ein kurzer Verweis auf Kant - um dann
die eigene Theorie zu entwickeln.
Hoffentlich werden auch andere Wissenschaftler aus ihren Disziplinen berichten.

Dieter Schönecker


Hinnerk Bruhns, directeur de recherche émérite au CNRS (Paris) schrieb uns am 14.01.2012
Thema: Dirk Kaesler: Ein „stahlhartes Gehäuse“ ist kein „Iron Cage“

Leserzuschrift aus Frankreich
Dirk Käsler und dem von ihm zitierten Dieter Schönecker kann man nur zustimmen. Es kommt hinzu, dass ja oft nicht nur die der Interpretation zugrunde liegenden Texte nicht mehr in der Originalsprache gelesen, sondern dass man davon ausgeht, alles, was nicht auf Englisch publiziert wird, könne vernachlässigt werden. Diese Überzeugung scheint in Deutschland ganz besonders ausgeprägt zu sein (vgl. dazu die Arbeiten von Jürgen Trabant). Bei einer Autorität wie Claus Offe liest sich das dann folgendermaßen: “Mir ist keine Wissenschaftsdisziplin bekannt, in der nicht amerikanische Forschungsergebnisse und Publikationsorgane die selbstverständlichen intellektuellen Prämissen und paradigmatischen Maßstäbe für akademische Forschung und Lehre setzen.”   Auf diese Weise kann man dann auch vieles neu entdecken, was man seit langem in anderen Sprachen hätte lesen können.
Anders als Käsler sehe ich das Problem der Übersetzungen. Dass sog. Weberforscher Max Weber auf Deutsch lesen können sollten, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Nun hat aber Weber seine Werke doch wohl nicht für die erlauchte kleine Gemeinde der Weberspezialisten geschrieben. Im Ausland, wie hier in Frankreich, sind die meisten Wissenschaftler, die mit (und nicht über) Weber arbeiten auf (gute!) Übersetzungen angewiesen. So wie Weber seinerseits für seine Studien über China oder Indien sich auf Übersetzungen oder Untersuchungen von sprachkundigen Spezialisten verlassen musste, um dann, vielleicht wirklich „vollmundig und im Gestus des Allwissenden » (Käsler),  chinesische Verhältnisse immerhin so zu analysieren, dass noch heute Sinologen den Hut vor ihm ziehen. Die von Dirk Käsler aus der Parson’schen Übersetzung der Protestantischen Ethik zitierten Beispiele machen deutlich, dass Übersetzungen sozialwissenschaftlicher wie natürlich auch philosophischer und anderer Texte, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen sollen, wissenschaftliche Arbeiten sind und als solche gewertet werden sollten. Das ist in unseren evaluierungsfixierten Wissenschaftssystemen natürlich nicht der Fall. Es gibt zu dieser Frage, am Beispiel Webers, einen aufschlussreichen Beitrag („Traduire: un versant de la recherche fondamentale“) von Jean-Pierre Grossein, dem derzeit besten Weberübersetzer in Frankreich, in einem leider zu wenig bekannten Buch über die Mehrsprachigkeit in den Kulturwissenschaften in Europa .