Leserbriefe zur Rezension

Urdeutsche Fantasien

Zu dieser Ausgabe: Wie konnte es sein, dass Adolf Hitler so gerne Karl May las?

Von Jan Süselbeck


Gabriele Wolff schrieb uns am 03.04.2012
Thema: Jan Süselbeck: Urdeutsche Fantasien

Es ist, da stimme ich Jan Süselbeck zu, mißlich, daß zur Rezeptionsgeschichte eines Autors leider auch seine Nicht- und Schlechtleser gehören; bedauerlicher als dieser Befund ist allerdings, wenn dann auch noch ein Nicht- und Schlechtleser mit dem Horizont und Ethos eines Georg Diez gezwungen wird, sich zur ihm ebenfalls weithin unbekannten Rezeptionsgeschichte dieses Autors zu äußern, nur weil ein Gedenkjahr ansteht.

Ganz und gar unverständlich ist es dann aber, wenn ein so umfänglich Ahnungsloser seine Vorurteile à la ›Karl May als Wegbereiter des Faschismus‹ pflegt, wenn er sich doch durch einen kenntnisreichen Essay eines Besseren hätte belehren lassen können. Schließlich hat er selbst diese Studie – wenn auch vier Tage nach seinem entbehrlichen Editorial – in die von ihm verantwortete Ausgabe von ›Literaturkritik.de‹ aufgenommen:

02.04.2012

Wolfram Pyta:

Empor ins Reich der Edelmenschen:
Karl Mays Vorstellungen von Rassenverbrüderung


[k:]Karl May war in vielen Dingen seiner Zeit voraus und bewies eine unbeirrbare Resistenz, sich von Grundübeln wie überbordenden Nationalismus und rassenideologisch motivierte Herabsetzung anderer Völker nicht anstecken zu lassen. Als „Brückenbauer zwischen den Kulturen“[1] verkündete er ohne eurozentrische Superioritätsdünkel ein völkerverbindendes Weltethos nicht erst in seinem Spätwerk. Aber Mays Potential ist damit noch nicht ausgeschöpft. Denn der sächsische Erzähler ging noch einen konsequenten Schritt weiter und proklamierte nicht nur die Fraternisierung der Völker, sondern deutete an, dass die Verschmelzung der Ethnien in seinem Programm einer moralischen Veredelung der Menschheit angelegt war.

Solche Vorstellungen von „Rassenverbrüderung“ waren nicht die eines verschrobenen Außenseiters, sondern fügten sich ein in den Rassendiskurs in Europa nach 1900. Die Geschichtswissenschaft wie auch die Literaturwissenschaft neigt gelegentlich dazu, die Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu einer Vorgeschichte jener rassenbiologischen Wahnvorstellungen zu reduzieren, wie sie dann vor allem unter der nationalsozialistischen Herrschaft in monströser Weise in die Tat umgesetzt wurden. Eine solche perspektivische Verengung kann jedoch den Blick dafür versperren, dass der um 1900 praktizierte Rassendiskurs sehr viel deutungsoffener war und dass er ein Potential enthielt, das bislang vielfach übersehen wurde: nämlich die Vorstellung, dass die rassische Fusionierung zumindest bestimmter Ethnien die kulturelle Höherentwicklung des gesamten Menschengeschlechts befördere. Insofern steckte auch in einem so verstandenen, kulturanthropologisch konnotierten Konzept ein nicht zu unterschätzender Fortschrittsoptimismus, wie er für den Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert häufig anzutreffen war. [:k][...]

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16537

Die Chance, die eigene ›perspektivische Verengung‹, die nicht einmal dem SPIEGEL gut zu Gesicht steht, aufzuheben, ist leider ungenutzt geblieben. Und so wird er sich wohl auch gegen dieses kleine Weiterbildungsangebot (ein wenig Schnuppern am Urtext kann doch wohl nicht schaden?) als resistent erweisen:

http://gabrielewolff.wordpress.com/2012/03/28/zum-100-todestag-von-karl-may-%e2%80%a0-am-30-3-1912/