Leserbriefe zur Rezension

Vom Lob der Nachahmung

Byung-Chul Han legitimiert in „Shanzhai. Dekonstruktion auf Chinesisch“ die Kopie und den Fake

Von Stefanie Roenneke


Dr. Dagmar Lorenz schrieb uns am 13.06.2012
Thema: Stefanie Roenneke: Vom Lob der Nachahmung

Verehrte Redaktion,

es gibt Fehler, die allein deshalb ärgerlich sind, weil sie schon auf den ersten flüchtigen Blick erkennbar sind  - wie z.B. jener Schnitzer im ersten Absatz der o.g. Rezension: Dort schreibt die Autorin über die "professionelle Herstellung von Kunstfälschungen in dem chinesischen Dorf Shenzhen". Bei dem besagten "Dorf Shenzhen" handelt es sich in Wahrheit um eine der bekanntesten High-Tech-Metropolen mit geschätzten 12 Millionen Einwohnern, die spätestens seit Mitte der 1980er Jahre (zu dieser Zeit wurde Shenzhen zur Sonderwirtschaftszone erklärt, was den Wirtschaftsboom Chinas einleitete) keine Dörfler mehr sind. Ich kann mir aber denken, worauf der Irrtum der Autorin beruhte: In der Tat gab es in der Nähe der Stadt ein Dorf, das "Dorf der Maler" genannt wird und dessen Bewohner tatsächlich billige Kopien nach kulturhistorisch teuren Vorbildern herstellen: Um Fälschungen handelt es sich allerdings hier nicht, sondern um völlig legale Kopien berühmter Vorbilder: um "Kaufhauskunst" wie man früher bei uns gesagt hätte, die jeder fürs heimische Wohnzimmer per Katalog im Internet bestellen kann. Und das Dorf selbst ist inzwischen ein Teil der molochartig wachsenden Stadt Shenzhen geworden...
Noch ein Wort zum angeblich "subversiven" Charakter von Fälschungen in China: Es hätte sich sicherlich gelohnt, wenn die Rezensentin diese These des Autors einmal anhand der chinesischen Geistestradition kritisch überprüft hätte: Die Wertschätzung des Kopierens beruht eben nicht auf dem Geist der Subversion, sondern, im Gegenteil, auf einer Autoritätsgläubigkeit, die man als eine Spielart des offiziösen Konfuzianismus interpretieren könnte.

Mit besten Grüßen
Dr. Dagmar Lorenz
(Literaturwissenschaftlerin und Sinologin)