Leserbriefe zur Rezension

Die Eiswüste der Großstadt

Im Roman „Nicht im Traum“ von Robert Kleindienst gelingt es nicht, beide Handlungsorte glaubhaft zu verbinden

Von Michael Kurzmeier


Anna Maria Lanthaler schrieb uns am 11.05.2013
Thema: Michael Kurzmeier: Die Eiswüste der Großstadt

Bei allem Respekt, den ich der Literaturkritik zolle, aber ich finde es befremdlich und geringschätzig dem Werk eines Schriftstellers gegenüber, wenn dessen Ende bzw. möglicher Höhepunkt wie in gegebenem Fall verraten wird, zumal der Roman „Nicht im Traum“ im Klappentext mit einem „dunklen Geheimnis, das ans Licht kommt“, angekündigt wird und damit neugierig macht. Nicht nur, dass Kurzmeier gleich im zweiten Absatz die willentliche Tötung der krebskranken Frau des Protagonisten bekannt gibt, gegen Ende führt er darüber hinaus auch noch die exakte Art der Tötung an („nämlich dass Selander seine komatöse Frau durch eine Manipulation des Morphiumperfusors wie vereinbart getötet hat“).

Die Kritik wird mich zwar nicht davon abhalten, das Buch trotzdem zu lesen (zumal ich bereits einige sehr positive Kritiken über Kleindiensts Roman gelesen habe, z.B. www.literaturhaus.at/index.php?id=9838), jedoch unter geänderten Vorzeichen - es ist nur ein schwacher Trost, dass für Kurzmeier das Ende des Romans schon vor der Hälfte des Buches eindeutig herauszulesen war und er ohnehin keine Spannung im Roman finden konnte.


Christian Wieser schrieb uns am 16.05.2013
Thema: Michael Kurzmeier: Die Eiswüste der Großstadt

Michael Kurzmeier führt in seiner Kritik an, dass ihm erst im Mittelteil des Romans  klargeworden ist, dass der Protagonist von „Nicht im Traum“, Simon Selander, schlafwandelt. Bereits im ersten Kapitel aber kehrt Selander augenfällig von einer nächtlichen Schlafwandelphase in seine Wohnung zurück und schlafwandelt auch einige Kapitel später, jedoch ohne dass das Wort bis dato im Roman erwähnt wurde (erst im Kapitel „Hinter dem Schlaf“ taucht das Wort „schlafwandeln“ erstmalig auf).

Dagegen will Kurzmeier bereits vor der Hälfte des Buches eindeutig erkannt haben, dass Selander Sterbehilfe an seiner Frau leistete. Woher er aber mit Sicherheit schon so früh wissen konnte, dass Selander seine Frau durch eine Manipulation des Morphinperfusors getötet hat - die Szene wird erst im vorletzten und letzten Kapitel des Buches beschrieben - kommt nicht zur Sprache. Kein Wort der Erwähnung findet leider auch die sich textlich und stilistisch markant abhebende, in mehreren Kapiteln angewandte und damit als zentrales Element für den Roman zu bezeichnende Technik Kleindiensts, mit der er die Schlafwandelphasen seines Protagonisten beschreibt. Diese atmosphärisch dichten Passagen werden kursiv, im Gegensatz zum restlichen Roman im Präsens sowie in einer Sprache abgehandelt, die anscheinend an Audiodeskriptionen bei Filmen angelehnt ist (möglicherweise in Analogie zur Symptomatik  von Schlafwandlern, deren Blick während Schlafwandelphasen bekanntlich starr ist).

Die laut Kurzmeier durchgängig nicht vorhandene Spannung sehe ich in dem Roman jedenfalls sehr wohl, da es Kleindienst versteht, sich von einem Kapitel zum nächsten subtil an die zentralen Themen Darmkrebs, Sterbehilfe, Abschied und Andenken heranzutasten, was besonders mit der collageartigen literarischen Technik gelingt.


Benedikt Zeller schrieb uns am 23.10.2013
Thema: Michael Kurzmeier: Die Eiswüste der Großstadt

In Michael Kurzmeiers Kritik „Die Eiswüste der Großstadt“ wird über ein Werk gesprochen, das den tragischen Verlust eines geliebten Menschen und die Unmöglichkeit des Wiedereintritts in einen verlorenen Raum, eine verlorene Zeit mit all ihren zum Teil gravierenden Auswirkungen auf den Protagonisten Simon Selander thematisiert.

Gleich zu Beginn der Kritik befindet Kurzmeier, dass es sich bei Kleindiensts Roman um keinen Roman handelt und schlägt  stattdessen – da es sich seines Urteils nach um einen unscheinbaren, langweiligen Text handelt – die Einordnung in die literarische Gattung Erzählung oder Novelle vor, was bei immerhin 224 Buchseiten doch ein wenig fragwürdig erscheint. Aber schon sind wir bei den Adjektiven angelangt: Es sollte einem Literaturkritiker eigentlich klar sein, dass nichtssagende Füllwörter wie „langweilig“ oder „schlecht“ über die Qualität eines Werkes bei kritischer Betrachtung nichts aussagen sowie keinen nachvollziehbaren Informationsgehalt vermitteln. Solche Adjektive finden sich jedoch mehrfach in Kurzmeiers Kritik, wenn etwa die Rede ist von einer schlechten Erzählweise, schlechten und langweiligen Kapiteln des Mittelteils, schlechter Figurenzeichnung, einem langweiligen Text usw. Eine differenziertere Herangehensweise an einen Text wäre durchaus wünschenswert. Darüber hinaus verabsäumt es Kurzmeier auch, die für ihn langweilig oder schlechten Passagen, die seiner Kritik zufolge den Roman dominieren, inhaltlich zu belegen. Zwar zitiert er etwa zwei im Roman kurz aufeinanderfolgende Satzteile, die seiner Meinung nach „unfreiwillig komisch“ wirken (nämlich wie Selander auf der Toilette „einen Harnstrahl entfernt“ von seinem größten Feind Steiner steht und nach Nerv tötendem Warten schließlich „das erlösende Rauschen der Spülung“ hört) und unterstellt damit dem Autor, eine gewisse Willfährigkeit an den Tag zu legen. Allerdings lassen sich diese (für den Roman genau genommen redundanten Stellen) auch einfach nur als vom Autor komisch intendiert und damit durchaus beabsichtigt gewählt lesen.

Die Personen im Roman werden von Kurzmeier als „unglaubwürdige, klischierte Charaktere“ abgekanzelt, als „Sammelsurium der Flachen (sic!) und unoriginellen Figuren. Nicht genug damit – diese „schlechte Figurenzeichnung verhindert auch konsequent jegliche Atmosphäre oder gar Spannung in der Erzählung“. Zitate, die Kurzmeiers Kritik greifbar machen würden, fehlen auch diesmal. Weshalb die Personen im Roman – etwa Selanders Schwester, die als Eisbärenforscherin in Spitzbergen lebt und arbeitet oder Selanders Freundin Helen, die sich dem Protagonisten mehrmals vergeblich zu nähern versucht - für Kurzmeier unglaubwürdig sind und dem Klischee entsprechen (nämlich welchem?), lässt der Kritiker unausgesprochen.

Laut Kurzmeier ignoriert der Autor vollständig, welchen „komplexen Gefühlen sich Selander nach einer solchen Tat“ – also der geleisteten Sterbehilfe seiner todkranken Frau - zu stellen hat. Das irritiert: Handelt doch eben der Roman bei genauer Leseweise davon, dass Selanders Leben aus den Fugen geraten ist, er während des gesamten Romans in Traumwelten abgleitet (etwa gleich im zweiten Kapitel, wo er – wohl in Analogie zu Orhpeus und Eurydike – einer/seiner Frau in die Gruft folgt), weiter davon, wie er mit dem Tod seiner Frau umgeht, Beruhigungsmittel und Antidepressiva schluckt, unter Albträumen und Absenzen leidet, sich das Weiß der Schneelandschaft als Weiß des Krankenhauszimmers und schließlich der Sterberaums lesen lässt und selbst das Schlafwandeln als Ausdruck einer inneren Zerrissenheit deutbar ist.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass in Kurzmeiers Kritik die positiven Seiten des Romans leider viel zu kurz kommen, diese allerdings keinesfalls die vielen und nicht immer nachvollziehbaren Mängel der Kritik kompensieren könnten.