Leserbriefe zur Rezension

Halluzination eines philosophischen Rätsels

Peter Trawny und das deutsche Feuilleton wundern sich über Martin Heideggers Antisemitismus

Von Jan Süselbeck


Roberto schrieb uns am 26.04.2014
Thema: Jan Süselbeck: Halluzination eines philosophischen Rätsels

Lieber Jan Süselbeck! Ich lese H. ganz anders: Wie schnell man vergisst!
Die Mehrzahl der Deutschen sprach damals  öffentlich von “Rassen”, “Weltjudentum”, “jüdischer Bankenverschwörung” usw. Jeder Bischof, selbst die meisten SPD-Abgeordneten z.B., waren da öffentlich gegen Juden herabsetzender als Heidegger vereinzelt privat!
H. war in seinem Denken ein vehementer Kritiker der machtbesessenen Moderne, die allein dem naturwissenschaftlichen, “rechnenden” Denken Wahrheit zugesteht. Mensch u. Umwelt würden als bloße Verfügungsmasse zur Machtsteigerung angesehen – dies würde in grausamen Kriegen enden. Er sah anfangs in totaler Verkennung in den Nazis eine Revolte gegen diese Weltanschauung (!!). H. kritisierte anscheinend privat auch Teile der jüdischen Elite als führende Vertreter des rein naturwissenschaftlichen “rechnenden Denkens” - eines modernen atheistischen Wissenschaftglaubens - u. hatte hier offensichtlich Vorurteile.
Die Ermordung der oft tiefgläubigen Juden im Osten geschah aber nicht deswegen, sondern aufgrund des virulenten christlichen Antisemitismus u. der “rechnenden” Nazi-Rassenbiologie. Beides lehnte H. aber öffentlich (Vorlesungen) schon während der NS-Zeit als primitiv ab – anders als millionen Deutsche.
Leider berücksichtigen die Journalisten viel zu wenig den damaligen Sprachgebrauch. H. ist da eigentlich noch harmlos u. auf das Private beschränkt. Selbst in der SPD sprach man offiziell z.B. vom “schachernden Geldjuden”, der “Verjudung Deutschlands”, sogar von “Rassenhygiene”. T. Mann schrieb z.B. Aufsätze über die “Lösung der Judenfrage”. Adenauer sprach noch in den 1960ern vom “Weltjudentum”, für die Kirchen galten Juden als “Gottesmörder” u. “Söhne des Teufels”, "Krieg gegen den jüdischen Bolschewismus als Christenpflicht" usw. Selbst Brecht sprach v. Juden als “Rasse”, (ganz zu schweigen heute von Stoiber u. seiner “durchrassten Gesellschaft”). Alle Medien waren voll von diesen Gedanken! (Das sind nur die harmlosen Zitate!)
Ab 1935 begann H. den NS zunehmend als "barbarisch" zu sehen, dem "rechnenden Denken" verfallen u. nach brutaler Größe strebend. Er wandte sich öffentlich Hölderlin zu, der die Deutschen als die „allberechnenden Barbaren“ brandmarkte: „Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark (...)“ Das war der Ausganspunkt seiner Flucht aus der deutschen Tradition zu einem anderen Anfang im frühen griechischen Denken - H. übernahm ihn. Ein gewaltloser dichterischer Weltbezug soll die berechnenden Machenschaften der Moderne überwinden. Dies darf man bei der Betrachtung von Einzelzitaten nicht vergessen: H. setzte sich für eine gewaltlose (!) Überwindung ("Verwindung") der machtbesessenen, rechnenden Moderne ein, zu der er auch die jüdische Geisteselite (vielleicht auch Großbankiers) zählte, ein! Das war Kulturkritik und kein Rassismus.


Sebastian Schreull schrieb uns am 06.05.2014
Thema: Jan Süselbeck: Halluzination eines philosophischen Rätsels

Werter Herr Süselbeck,

Ihren Darlegungen ist insofern zuzustimmen, dass Sie anhand der „Schwarzen Hefte“ antisemitische Figuren Heideggers markieren und diese auch historisch kontextualisieren. Ihre Ausführlichkeit in der Deutung dieser Figuren oder Bilder mag gewiss einen Unterschied gegenüber anderen Texten des deutschen Feuilletons in dieser Debatte darstellen, die Ihnen in Ihrer Diagnose vermutlich ebenso zustimmten; schließlich erwähnen Sie diese dergestalt, dass man „selbst in der ‚F.A.Z.’ dermaßen klare ideologiekritische Bemerkungen zu lesen bekam“. Inwiefern es bereits ideologiekritisch ist, bestimmte Aussagen als „antisemitische“ zu markieren – dies mag vielleicht manchen, den von Ihnen so hart gescholtenen Gymnasiallehrern so erscheinen.
Und man muss kein Ideologiekritiker sein, um die Fragwürdigkeit Ihrer Behauptungen zu erkennen, dass mit den „Schwarzen Heften“ „Heideggers gesamte Philosophie auch für den letzten Betonkopf endgültig zur Disposition“ gestellt sei, so dass nur noch „akademische Knallköpfe“ Heidegger „für den ‚bedeutendsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts’ halten“. Beton- und Knallköpfe ergehen sich in der „Halluzination eines philosophischen Rätsels“ – vermutlich weil sie nicht nur die „Schwarzen Hefte“ gelesen haben. Ich will auch gar nicht auf jene Kritiken Heideggers eingehen, die etwa Blanchot, Levinas, Derrida, Marcuse oder Löwith verfassten, die nicht nur Heideggers Philosophie ernstnahmen, sondern auch deren innere Vermitteltheit mit dem Nazismus herausstellten; und trotzdem mit Philosophemen Heideggers arbeiteten. Aber dies ist sicherlich keinem Gymnasiallehrer zuzumuten.
Vielleicht ist jedoch an Adornos Kritik einer Heideggerkritik aus dem Jahre 1949 zu erinnern, die den Titel „Ad Lukács“ trägt. Adorno bezeichnet Lukács Ausführungen zu Heidegger als „Schulfall der Unzulänglichkeit transzendenter Kritik“, die ihren Gegenstand eben nicht ernst nehme, sondern an ihm das nachweise, was auch schon vor der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand bereits feststünde (darunter dürfte wohl auch Scheits und Grubers ‚Kritik’ fallen, auf die Sie sich zustimmend beziehen). Denn trotz all der Ekelhaftigkeiten, die durch das Tun Heideggers überliefert sind oder sich gewiss auch an seinen großen philosophischen Werken nachweisen ließen, verstand es Adorno in den Widersprüchen Heideggers Philosophie so zu denken, dass man nicht nur behaupten konnte, er habe Heidegger immanent rekonstruiert, sondern auch kritisiert. Auf Grund der „Schwarzen Hefte“ darauf zu schließen, dass damit ein „Denken“ „erledigt“ sei, dürfte eher ein oben genannter Schulfall sein.
Adorno spricht an anderer Stelle auch von einem Standpunktdenken, was sich um Bekenntnisse schert, aber die Gegenstände in ihrer Wirklichkeit selbst nicht begreifen will, sondern eben Sortierungen vornehmen möchte. Wer also Adorno als Stichwortgeber für ein Tun gebraucht, was einen Gegenstand mit einer schon vor aller Auseinandersetzung mit diesem feststehenden Interpretation identisch setzt, was ist dann alles Heidegger-Jüngern zuzutrauen, die sich so allerhand „einfallen lassen“ könnten? Soviel, dass Sie es bestimmt schon wissen.


Mit freundlichen Grüßen,

Sebastian Schreull


Roberto schrieb uns am 14.05.2014 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Jan Süselbeck: Halluzination eines philosophischen Rätsels

Lieber Herr Süselbeck, Lieber Herr Schreull! Ich verstehe Ihre guten Absichten; hier schnell zusammengestelltes Hintergrundwissen, warum sie Leute wie mich schwer überzeugen können. Vielleicht regt es Sie dazu an, sich noch tiefer mit der Thematik auseinander zu setzen. Viel Spass!

Bei H. gilt zeitlebens der absolute Primat des Denkens; dieses definiert die Grundhaltung des Menschen zum Sein, nicht Religion, Volk, Rasse usw. Ziel ist es, die moderne metaphysisch-technische (rechnende)Grundhaltung zum Sein gewaltlos zu verwinden. Es gibt keine Schuldigen an der modernen naturwissenschaftlichen "rechnenden" Wahrheitsauffassung: Sie ist Seinsgeschichte: die Menschen sind Opfer einer langen geschichtlichen Entwicklung! Kein Volk, kein Philosoph trägt daran Schuld.

„Daß wir leben, ist unsere Schuld.“
H. zitierte die Worte seines Freundes Jaspers, als man ihn fragte, warum er nicht entschiedener gegen die Nazi-Ideologie aufgetreten sei. Er habe aber gehofft, dass seine Hörer seine Kritik am NS erkennen:

In der Vorlesung Sein und Wahrheit, (1933/34) legt H. dar, dass die Nazi-Ideologie von Blut u. Boden oberflächlich ist, entscheidend für die Wahrheit der Menschen ist allein ihr Geist, Denken z.B.:
„So ist der Wille zu Wiss en und Geist dasjenige, womit wir stehen und fallen. Es ist heute  viel die Rede von Blut und Boden als vielberufener Kräfte. Bereits haben die Literaten, die es ja auch heute noch gibt, sich ihrer bemächtigt. Blut und Boden sind zwar mächtig und not- wendig, aber nicht hinreichende Bedingung für das Dasein eines Volkes. Andere Bedingungen sind Wissen und Geist, nicht als ein Nachtrag in einem Nebeneinander, sondern das Wissen bringt erst das Strömen des Blutes in eine Richtung und in eine Bahn, bringt erst den Boden in die Trächtigkeit dessen, was er zu tragen vermag: Wissen verschafft Adel (…)“

1935 H. erläutert in Vorlesung jegliche Rassepolitik als primitiv, Einführung in die Metaphysik, GA 40.
Er bezeichnet sie als ein Symptom der allgemeinen „Entmachtung des Geistes“, z.B.: „Ob dieser Dienst der Intelligenz sich nun auf die Regelung und Beherrschung der materiellen Produktionsverhältnisse (wie im Marxismus) […] oder ob er sich in der organisatorischen Lenkung der Lebensmasse und Rasse eines Volkes vollzieht, gleichviel, der Geist wird als Intelligenz der machtlose Überbau zu etwas Anderem, das, weil geist-los oder geist-widrig, für das eigentlich Wirkliche gilt.“

1935 Vorlesung: Hölderlin als „Dichter der Deutschen“ – und zwar für alle Menschen, die deutsch verstehen u. sich ihm anschließen, jenseits von Rasse, Nation u. Glauben – allein durch Sprache u. Logos z.B.:
„Dichter der Deutschen nicht als genitivus subiectivus, sondern als genitivus obiectivus: Der Dichter, der die Deutschen erst dichtet, [...], d.h. der Stifter des deutschen Seyns, [...]“
Das Wesen der Dichtung könne sich nur einer Besinnung über Sprache und Logos erschließen. Sie sei weder Ausdruck einer “Kulturseele” Rassenseele wie bei Alfred Rosenberg oder Kolbenheyer, z.B.: “Dichtung ist eine biologisch notwendige Funktion des Volkes Es braucht nicht viel Verstand, um zu merken: das gilt ja auch von der Verdauung — auch sie ist eine biologisch notwendige Funktion eines Volkes, zumal eines gesunden. Und wenn Spengler die Dichtung als Ausdruck der jeweiligen Kulturseele faßt, dann gilt dies auch von der Herstellung von Fahrrädern und Automobilen. Das gilt von allem — d. h. es gilt gar nicht.”
H. war kein simpler Kommunistenhasser u. Antihumanist, wie man ihn gerne darstellt. 1946 Brief über den Humanismus. H. erläutert, dass, er sein Denken als dem Humanismus verpflichtet sieht u. diesen zu vertiefen sucht; er erläutert Marx den tiefsinnigsten Geschichtsdenker der Moderne,z.B.:
“Was Marx in einem wesentlichen und bedeutenden Sinne von Hegel her als die Entfremdung des Menschen erkannt hat, reicht mit seinen Wurzeln in die Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen zurück. Diese wird und zwar aus dem Geschick des Seins in der Gestalt der Metaphysik hervorgerufen, durch sie verfestigt und zugleich von ihr als Heimatlosigkeit verdeckt. Weil Marx, indem er die Entfremdung erfährt, in eine wesentliche Dimension der Geschichte hineinreicht, deshalb ist die marxistische Anschauung von der Geschichte der übrigen Historie überlegen.”


Joseph Plichart schrieb uns am 21.06.2014
Thema: Jan Süselbeck: Halluzination eines philosophischen Rätsels

Als ehemalige Student François Fédiers möchte ich den Vergleich mit dem sogenannten "‚sekundären‘ Antisemitismus" widersprechen. Alle die, die den Heidegger-Experten François Fédier persönlich kennengelernt haben, wissen dass er ein Gegner des Antisemitismus ist. Dieser Vergleich beruht bestimmt auf einem Missverständnis. Im Artikel der "Zeit" sprach Fédier nicht von einer "Kritik am Judentum" sondern von "Erwähnung des Wortes Judentum" in den Schwarzen Heften. Nach seiner Meinung gibt es eigentlich bei Heidegger keine direkte Kritik am Judentum. Nur habe er Juden und Kommunisten im Zusammenhang mit einer Kritik an jedem Dogmatismus gleichgesetzt. Heidegger habe ausdrücklich in den Schwarzen Heften erklärt, seine Aussage habe mit Antisemitismus nichts zu tun, und diesen „töricht“ und „verwerflich“ genannt.

Mit freundlichen Grüssen
Joseph Plichart