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Klaus Müller-Salget schrieb uns am 19.08.2015
Thema: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Ich schlage vor, meine Besprechung noch einmal in Ruhe zu lesen, meine Argumente anhand der Bezugstexte zu überprüfen und dann zu einem sachgerechten Urteil über Machart, Wahrheitsgehalt und Überzeugungspotenzial der Replik zu kommen. Im Übrigen stehe ich für Rückfragen gerne zur Verfügung. Klaus Müller-Salget
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Klaus Müller-Salget schrieb uns am 01.09.2015
Thema: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Da bislang außer mir niemand sich zu der offenbar weitestgehend von Yahya Elsaghe verfassten und wiederum mit Zitatmanipulationen und Unwahrheiten hantierenden Replik geäußert hat, halte ich es für angebracht, meine Bemerkungen dazu doch auch hier mitzuteilen:
Klaus Müller-Salget: Bemerkungen zur „Replik von Yahya Elsaghe, Franziska Schößler
und Melanie Rohner in der August-Ausgabe von Literaturkritik.de
1. Die Fama von Max Frischs unangefochtener Stellung in der Schweiz ist nachweislich falsch. Man muss ja nur den Stiftungsrat der Max Frisch-Stiftung fragen. Das Konstrukt vom sakrosankten Nationalschriftsteller lässt den geplanten „Ikonoklasmus“ natürlich viel bedeutender erscheinen.
2. Dass sich mein Vorwurf „zu viel der Selbstvermarktung“ auf Elsaghes Selbstzitate (Hölderlin etc.) bezöge, ist ebenfalls falsch: Es geht um seinen „Epilog“ (E 347-362), der über 15 von 16 Seiten fast wortwörtlich identisch ist mit seinem Beitrag zu Hermann Kortes Max-Frisch-Heft, ohne dass das hier oder da vermerkt würde. Vgl. dagegen in Melanie Rohners Nachwort den korrekten Hinweis, dass und wo es Vorveröffentlichungen gegeben hat (R 260).
3. Die Amerika-Schelte im "Homo faber":
Ich zitiere S. 177, Z.8-20:
"Brief an Marcel. / Marcel hat recht: ihre falsche Gesundheit, [...] ihre obszöne Jugendlichkeit - / Ich ruderte weit hinaus. / Hitze auf dem Meer -/ Sehr allein. / Ich las meine Briefe an Dick und Marcel und zerriß sie, weil unsachlich; [...] -"
Wenn Elsaghe diesen offenkundigen Widerruf nicht als solchen erkennen und anerkennen will, dann darf man wohl an seiner Lesekompetenz zweifeln.
4. Der Inzest in „Homo faber“:
In Avignon ahnt Faber noch nicht, dass „das Mädchen“ seine Tochter sein könnte. Das kommt erst in Rom, wenn er erfährt, dass Hanna ‚Sabeths‘ Mutter ist (+ panisch-unehrliche Rechnereien). Es wäre schön, wenn Elsaghe Geschehensabläufe als solche wahrnehmen wollte (vgl. auch Punkt 3).
5. Der "Mexican boy":
Nicht ich behaupte, "die historischen Figuren hätten mit den Doppelgänger-Jims in dieser Episode nichts zu tun", sondern Stiller sagt das, indem er den verwirrten Knobel darüber aufklärt, dass er NICHT identisch ist mit dem historischen Höhlenentdecker Jim White von 1901: "'Nein', lache ich, 'das gerade nicht!'" - Schon von daher verbietet es sich, den 'anderen' Jim in Stillers Erzählung mit dem historischen "Mexican boy" von 1901 zu identifizieren, erst recht, weil dieser andere Jim in keiner Weise als fremdartig, mexikanisch, indigen oder dergleichen gekennzeichnet wird. Er ist ein Alter Ego von Stiller, der 'frühere' Stiller, den er überwunden, erledigt haben möchte. - Dass Melanie Rohner von ihrer postkolonialen Perspektive her mit dem "Mexican boy" einen Fund getan zu haben glaubte, kann ich gut nachvollziehen; gleichwohl ist ihr Verfahren philologisch nicht tolerabel.
6. "Andorra":
Dass das Stück sich weder um die Shoah noch um den Antisemitismus drehe, habe ich nicht behauptet, wohl aber, dass es allgemein um ethnische Vorurteile geht - und man dem Stück natürlich vorwerfen kann, dass es den Antisemitismus als nur ein, wenn auch prominentes Beispiel dafür behandelt.
Eine wie auch immer geartete "Umsetzung der Endlösung" ist es natürlich nicht und hat es auch nie sein wollen. Meine Überlegungen zur Problematik des 6. Bildes werden schon in Elsaghes Buch und erst recht in der Replik unseriös verkürzt und entstellt.
7. "Cortez und Montezuma":
Dass ich den Text "systematisch vereindeutigt" hätte, ist unzutreffend. Wem meine Zitate nicht genügen, der möge den ganzen Text lesen und mir Stellen nennen, die meiner Auffassung widersprechen.
8. "Johanna":
Die slapstickhaften Bemerkungen hierzu sollen wohl davon ablenken, dass ich nachgewiesen habe, dass Elsaghes und Rohners Behauptung, von dieser angeblichen Fahnenkorrektur an nenne Faber Hanna Johanna, schlicht falsch ist. Im Übrigen ist es mir neu, dass ein vom Verfasser übersehener Setzerfehler als "passive Autorisierung" gilt; das müsste dann ja auch für den offensichtlichen Fehler auf der vorangehenden Seite ("ein Kind gewünscht") gelten. Auch steht der Satz da nicht als indirekte Rede Hannas, sondern Faber gibt in seinen Worten wieder, was Hanna ihm erzählt hat (Methode „Stiller“)
9. Krebs:
In der Tat kann man über die Gründe für den Krebstod von Prof. O. und Walter Faber streiten, - weshalb ich meine Deutung ja auch als Frage formuliert habe und nicht als "à tout prix" durchzusetzen. Wenn man eine Begründung ablehnt, müsste man sich wohl doch der Frage stellen, warum Frisch denn O. und Faber an Krebs sterben lässt, warum er von Anfang an das Buch als "Bericht eines sterbenden Technikers" (an Peter Suhrkamp, 19.4.1956) geplant hat. Bloß, weil Krebs damals ein beunruhigendes Gesprächsthema war? Und warum Techniker? Wegen der Durchkreuzung von Fabers Glauben an die Berechenbarkeit von allem und jedem?
10. Elsaghe bezeichnet es als perfide, dass ich die methodischen Voraussetzungen der drei Publikationen nicht ins rechte Licht rückte. In der Tat bin ich vor allem an den Ergebnissen interessiert und an einem Abgleich mit Frischs Texten. Schiefe bis falsche Ergebnisse werden ja nicht besser durch den Hinweis auf honorable Methoden (den ich übrigens, Melanie Rohner betreffend, nicht versäumt habe). Bei Elsaghe ist ja wohl das erklärte ikonoklastische Vorhaben das erkenntnisleitende Interesse gewesen.
Wenn Elsaghe meine Kritik als „Auslassungen“ eines unbelehrbaren Frisch-Fans abqualifizieren möchte, will ich ihm das Vergnügen daran nicht rauben. Mir geht es einfach um die Wahrheit.
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Yahya Elsaghe, Melanie Rohner schrieb uns am 06.12.2015 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
1. Nachdem sein einziger Versuch, Frischs angeblich noch immer ubiquitäre Anfeindungen an der Häme der Tagespresse nachzuweisen, sich als ganz und gar unhaltbar erwiesen hat, nimmt KMS nun wieder bei den von uns offenbar umsonst monierten Mitteln Zuflucht: anekdotischer Evidenz und Rekurs auf Autoritäten. Warum soll denn ausgerechnet einem Stiftungsrat die Entscheidungshoheit darüber zukommen, welchen Status Frisch in der Schweiz hat? (Benennt man nach verfemten Autoren Plätze und Schwimmbäder?)
2. Der Vorwurf der Selbstvermarktung bezog sich sehr wohl auf die Publikationen zu anderen Autoren („auch wenn sie mit dem Thema […] nichts zu tun haben“). Dass man „grundsätzlich“ auf einschlägige Vorarbeiten zurückgreifen dürfe, hat KMS ja kulanterweise selber eingeräumt. Die betreffenden Aufsätze sind in der Bibliographie samt und sonders aufgeführt.
3. Woher will KMS denn wissen, was in den vernichteten und nur eben erwähnten Briefen stand oder dass sie etwas mit der antiamerikanischen Tirade zu tun hatten? Die Scheltrede auf The American Way of Life setzt lange vor der Erwähnung der beiden Briefe ein und muss nach deren Vernichtung autorisiert sein („19. Juli“ ff. versus „9.–13. VII.“).
4. KMS liest nach wie vor unbeirrt und unbelehrbar an der Argumentation vorbei: Ausphantasiert wird ein Inzest von Vater und Tochter, geadelt durch eine dicht geschlossene Reihe von Reminiszenzen an den Oedipus-Mythos, d. h. an einen Inzest von Mutter und Sohn. Der wiederholte Einwand, dass Faber ja nicht wusste usw., träfe auf diesen Mythos geradeso zu, der dennoch oder gerade deswegen, so jedenfalls das psychoanalytische Argument, einen verbotenen Wunsch artikuliert.
5. Stiller gibt Knobel gegenüber einzig zu, nicht identisch zu sein mit Jim White, dessen Geschichte er gerade nacherzählt haben will: „‚Ich weiß nicht, […] welcher von den beiden Freunden eigentlich den mörderischen Streit begonnen hat, der Ehrlichere vermutlich, und jedenfalls ist nur einer aus der Kaverne gestiegen, der Stärkere vermutlich. Sein Name ist bekannt, sogar mit metallenen Lettern auf einen Denkstein geschrieben. Jim White. In einer Publikation, die heutzutage den Touristen verkauft wird, heißt es etwas genauer: James Larkin (Jim) White, a young cowboy who made his first entry trip in 1901. Von dem Freund hingegen, der immerhin als Begleiter erwähnt wird, heißt es bloß: a Mexican boy. Sein Name ist verschollen, und ich denke, dieser Verschollene wird sich auch nicht mehr melden!‘ / Knobel scheint etwas verwirrt zu sein. / ‚– sind Sie denn Jim White?‘ fragt er. / ‚Nein‘, lache ich, ‚das gerade nicht!‘“
Wie auch immer KMS diesen Passus verstanden oder missverstanden haben mag: Eine ‚Aufklärung‘ vonseiten Stillers darüber, dass „die historischen Figuren“ „mit den Doppelgänger-Jims“ „nichts zu tun“ hätten, ist hier beim besten Willen nicht zu finden; das ist „‚Dichtung‘ statt Interpretation“. Der Fall ist genau das Gegenteil: Stiller gibt Knobel zu verstehen, woher er seine Geschichte hat und dass es sich bei den Jims seiner Erzählung um James Larkin (Jim) White und einen „Mexican boy“ handelte.
6. KMS, der nun doch „nicht behauptet“ haben will, „dass das Stück sich weder um die Shoah noch um den Antisemitismus drehe“, in seiner Rezension: „‚Andorra‘ ist kein Stück über den Holocaust und kein Stück über den Antisemitismus.“
KMSs „Überlegungen zur Problematik des 6. Bildes“ — „den Soldaten […] als Vergewaltiger zu kennzeichnen, kann nicht recht überzeugen“ — seien „unseriös verkürzt und entstellt“ worden. Inwiefern? Sie wurden doch in extenso (in einer der beanstandeten „Zitataufblähungen“) Wort für Wort wiedergegeben? Oder nicht?
7. „Noch weiß niemand in der Welt von diesem indianischen Kaiserreich, niemand außer Cortez; er begreift seine einmalige Chance, geht hin und verbrennt insgeheim seine eigenen Schiffe. Jetzt bleibt ihnen nichts anderes als der Mut ins Ungewisse, der Marsch in das goldene oder tödliche Geheimnis jenseits der Berge. Und dieser Marsch, der die Geschichte der Menschheit für immer verändert, wird angetreten mit dreihundertfünfzig Mann, mit dreizehn Pferden, mit vierzig Armbrusten, mit sechzehn Hakenbüchsen, mit sechs kleinen Mörsern, mit einem begrenzten Vorrat an Blei und Pulver – und mit Marina, einem indianischen Mädchen, das in der Umarmung mit Cortez so viel Spanisch erlernt, daß es die Dolmetscherin wird zwischen zwei Kontinenten, zwischen zwei Kulturen, wovon die eine an der andern verbluten soll –.“ Dass hier auch Faszination für Cortez hineinspielt, ist offensichtlich. Solche Stellen blendet KMS systematisch aus.
8. Das Verdienst der Vermutung, dass die Lesart „Johanna“ nicht unbedingt erst auf die Fahnenkorrektur zurückgehe, sei KMS unbenommen. Auch die Vermutung, dass es ein Setzfehler sein könnte, ist originell; wobei sie allerdings in einen seltsamen Widerspruch gerät zu einem anderweitigen Kommentar, in dem KMS keine Volten scheut, um dem Namen „Johanna (‚Gott gibt Gnade‘)“ einen theologischen Tiefsinn abzupressen: „die auf ‚Jehova‘ verweisende erste Silbe […] oder […] die patriarchale ‚Ordnung‘ […] wiederherstellen“; „diskrete Hinweise auf die je andere und je anders begründete Haltung […] gegenüber der göttlichen Autorität“; „Joachim und (Jo)Hanna sozusagen die Eltern der Jungfrau Maria“ (ein Prachtbeispiel für die Mentalität, die der erratischen Namensform zugrunde liegt, ob es sich dabei nun um eine Autorkorrektur oder einen fort- und fortgeschriebenen Druckfehler handelt: nämlich für die bedenkliche Nonchalance, mit der jüdische Figuren christlichen Narrativen integriert werden).
9. Handelte es sich „nicht doch“ um eine rhetorische Frage?! — „Wenn man eine Begründung ablehnt, müsste man sich wohl doch der Frage stellen, warum Frisch denn O. und Faber an Krebs sterben lässt, warum er von Anfang an das Buch als ‚Bericht eines sterbenden Technikers‘ geplant hat.“ Non liquet. Was soll der Arbeitstitel denn mit der besonderen Todesursache zu schaffen haben, die darin ja ungenannt bleibt? — Jenseits der oberlehrerhaft-autorintentionalistischen Frage nach dem, was der Dichter sagen wollte, ging es uns innerhalb eines diskursgeschichtlichen Frageinteresses um die Resistenz der Krankheit gegen alle Versuche, ihr à la KMS eine höhere oder tiefere Bedeutsamkeit zu verleihen. Das Gewagte und Unerhörte ihrer Sinnleere, die das Argument von ‚Illness as Metaphor‘ um Jahrzehnte antizipiert, bezeugen gerade auch solche verbissenen Anstrengungen, sie mehr oder auch weniger scharfsinnig wegzuinterpretieren.
10. Es spricht wiederum für sich und bedarf keiner Entgegnung, wenn KMS, sichtlich pikiert durch die gelegentliche und bisher unwiderlegte Kritik an seinen eigenen „Überlegungen“, zu guter Letzt auch noch den monopolistischen Anspruch erhebt, es gehe ihm allein um „die Wahrheit“, im Gegensatz nämlich zu uns, die wir unseriös mit Unwahrheiten hantierten.
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Klaus Müller-Salget schrieb uns am 31.01.2016 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Klaus Müller-Salget: Einige Klarstellungen
Zu 1. Dass Frisch ein 'verfemter Autor' sei, habe ich nicht behauptet; von erheblichen Ressentiments war die Rede. Man frage die Fachleute.
Zu 2. Mein Vorwurf bezog sich auf die (auch hier wieder verschwiegene) fast hundertprozentige Identität von Elsaghes "Epilog" und seinem Beitrag zu Kortes "Text + Kritik"-Heft, - auf die weder hier noch dort hingewiesen wird.
Zu 3. Was in Fabers Brief an Marcel steht, ergibt sich aus den auf "Marcel hat recht:" folgenden Zeilen. Die angebliche nachträgliche Autorisierung der Amerika-Schelte in den Athener Aufzeichnungen ("'19. Juli' ff.") würde genauso den Widerruf betreffen ("weil unsachlich").
Zu 4. Dass die Bezüge auf Oedipus den Inzest Faber-Sabeth "rechtfertigen" (Elsaghe, S. 252), bleibt indiskutabel.
Zu 5. Dass Stiller seine Nichtidentität mit Jim White eingesteht und die Geschichte nur erzählt, weil er angeblich "genau das gleiche" erlebt hat (was ja nur im übertragenen Sinne verstanden werden kann), entzieht der Identifizierung des 'anderen Jim' mit dem historischen "Mexican boy" den Boden. (Auch ist dieser 15jährige den Berichten zufolge nicht in der Höhle umgekommen.)
Zu 6. Zunächst wieder eine Zitatverkürzung; mein Satz lautet: "'Andorra' ist kein Stück über den Holocaust und kein Stück über den Antisemitismus, sondern ein Stück über kollektive Vorurteile." (was anschließend begründet und problematisiert wird). - Meine Überlegungen zu den Problemen der Barblin-Handlung füllen im Original zwei Seiten; Elsaghe zitiert nur eine (in dieser Form unbegründete) Schlussfolgerung, um den Eindruck zu erwecken, ich sagte Barblin nach, "dass sie 'offenbar' doch nichts dagegen habe, von dem stinkigen Soldaten penetriert zu werden" (so in der Replik). Das Vergnügen an solchen Formulierungen überlasse ich gerne Herrn Elsaghe. - Mit "Zitataufblähungen" waren Elsaghes Interpolationen in Frisch-Zitate gemeint, z.B. über den Soldaten: "Peider stinkt, 'wie ein Bock' sozusagen" (Elsaghe, S. 143).
Zu 7. Die Figur Cortez wird in "Cortez und Montezuma" systematisch abgebaut, was Rohner verschweigt.
Zu 8. Meine Mutmaßungen über den erratisch auftretenden Namen "Johanna" datieren aus einer Zeit, als ich die korrekte Lesart im Typoskript noch nicht kannte. Sie sind hinfällig.
Zu 9. Meine Frage wird nicht beantwortet.
Zu 10. Meine Berufung auf Wahrheit erhebt keinen monopolistischen Anspruch, sondern richtet sich lediglich gegen die Verfahrensweisen des Berner Ordinarius. Ich bin nicht pikiert, sondern entsetzt über seinen Umgang mit Texten.
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Yahya Elsaghe schrieb uns am 19.07.2016
Thema: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Ein Blick in die Tages- und Boulevardpresse des 4. April 2016 hätte KMS davon überzeugen können, wie überholt und haltlos seine unbeirrt repepetierte Behauptung von der Verfemung, nein, pardon, von den erheblichen Ressentiments ist, die nach wie vor in der Schweiz gegen Max Frisch bestehen sollen; mögen hierzulande mittlerweile auch Salatbars und Imbissbuden nach diesem benannt sein. KMS konnte seine Behauptung mit keinem Zeugnis belegen, sondern nur mit einem irreführenden Verweis auf die Neue Zürcher Zeitung, der sich ganz mühelos entkräften ließ. Einmal überführt, blieb ihm nur die nun nochmals vorgeschobene Berufung auf irgendwelche „Fachleute“. Die frage man. Wer auch immer dazu zählen soll — außer KMS selber, versteht sich —: Solche Experten, literatursoziologisch spezialisiert auf das öffentliche Standing von Schweizer Autoren und auf deren Ranking im kollektiven Bewusstsein, müssten ja doch, um die Behauptung zu stützen, dafür ihrerseits Belege beibringen können, wie KMS selbst halt keinen einzigen anzuführen weiß.
Dagegen hat Frischs 25. Todestag wieder hübsches Belegmaterial für das Gegenteil geliefert. In der auflagenstärksten Schweizer Tageszeitung stand zu lesen, Frisch sei „unser aller Nationaldichter“, und anderswo, er sei „das Gewissen in unserem Land“, „der große Frisch“, „ein Klassiker“, „Aushängeschild“ der Schweiz. Gerade deswegen, weil man Frisch inzwischen ganz selbstverständlich als moralische Instanz herumreichen darf, können die fragwürdigen Seiten seiner Texte so leicht übersehen bleiben. Deshalb auch, fanden wir, war es einmal an der Zeit, die darin mitlaufenden Sexismen, Rassismen, Chauvinismen herauszustellen. Dass diese gewissermaßen zwangsläufig und notgedrungen in Frischs Romane und Dramen verschleppt wurden, braucht man dem Autor persönlich nicht anzulasten. Die besprochenen Texte sind eben Erzeugnisse ihrer Epoche, von der uns, KMS offenbar ausgenommen, mehr als ein halbes Jahrhundert feministische und postkoloniale Theoriebildung trennt.
KMSs Verfahren ist hier indessen sehr aufschlussreich, ein Paradebeispiel für die Machinationen der Diskurse, ihrer Meinungsführer oder derer, die es gerne wären. Zuerst der Schuss in den Ofen, ein an den Haaren herbeigezogener und gründlich danebengegangener Versuch, eine kreuzfalsche Behauptung zu retten; dann, weil keiner Argumente mehr habhaft, die Selbstverschanzung des Ofenschützen hinter einer fachmännischen communis opinio, die es hier erstens nicht gibt und die zweitens, wenn es sie gäbe, ja noch immer falsch sein könnte.
Dass KMS in Ermangelung von Belegen und Argumenten sich hinter einer vorgeschützten Diskursgemeinschaft von Fachmenschen versteckt, um aus einem so behüteten Refugium heraus einfach weiter zu behaupten, was erwiesenermaßen nicht der Wahrheit entspricht, — diese wenig couragierte Rückversicherung bei scheint’s immer schon etablierten Mehrheits- und Machtverhältnissen ist symptomatisch für seine Art, die Auseinandersetzung zu führen oder ihr vielmehr aus dem Weg zu gehen. Sie ist das Symptom eines wild entschlossenen Willens, Diskursmacht auf Biegen und Brechen auszuüben, zu behalten oder wiederzugewinnen. Als Mandatar und Vollstrecker der „wissenschaftlich“ einzig „ernstzunehmenden“ Diskursform glaubt KMS das Vorrecht zu haben oder sich nehmen zu dürfen, ohne weitere Argumentation zu bestimmen, was an Aussagen „indiskutabel“ ist und was nicht — mag Frisch auch in seiner Korrespondenz zum Beispiel eigens bekannt haben, dass er sich sehr wohl vorstellen könne, wie einer sich in seine eigene Tochter verliebt. Die These, um sie einmal korrekt wiederzugeben: dass in Homo faber gewisse Männer- oder Väterphantasien ausgesponnen oder angeboten, nobilitiert „oder“ mythisch gerechtfertigt werden, „versehen mit dem Index eines gottgewollten Verhängnisses; sei es nun ober- oder unterhalb der Bewußtseinsschwelle, sei es schon auf der Produktions- oder lediglich auf der Rezeptionsseite“, — diese These bräuchte also gerade einen schulmeisterlich auf die Intentionen des Autors eingeschworenen Leser wie KMS durchaus nicht gleich zu „entsetzen“.
Wie eben an den Kautelen beziehungsweise an der Unterschlagung der Kautelen ersichtlich geworden ist, unter die wir das Argument vom besonderen appeal des erzählten Inzests und seiner mythologischen Unterlegung gestellt hatten, versimpelt KMS dieses wie andere Argumente zur Unkenntlichkeit, um sie erst in solch entstellter Form zu disqualifizieren. Es entbehrt daher nicht der Pikanterie, wenn er sich über unsere Wiedergabe seiner eigenen „Überlegungen“ empört, die wir immerhin am Stück und zu einem ‚guten‘ Teil ihres Umfangs wortwörtlich zu zitieren uns die Mühe machten. Im Übrigen hat KMS tatsächlich behauptet — indem er auch noch der germanistischen „Einflussforscherei“ erlag, über die sich Frisch so genüsslich zu mokieren pflegte —, dass Barblin kein Vergewaltigungsopfer sei; eine Meinung, die vielleicht nicht ganz zufällig an gewisse Gerichtsplädoyers erinnert. Der sie vertritt, und zwar ausdrücklich gegen die in diesem Fall schwarz auf weiß protokollierte Absicht des Autors, befindet sich damit in großer, teils auch gar nicht so schlechter, aber eben, wen wundert’s, durch die Bank männlicher Gesellschaft. Dass ihm bei seiner Fehllesung sein eigenes Geschlecht in die Quere gekommen sein könnte — wie seinem Frisch etwa bei den patent sexistischen Tagebuchnotaten über „das Weib“ —, daran scheint er bisher keinen Gedanken verschwendet zu haben.
Einen nicht weniger bedenklichen Mangel an Problembewusstsein gibt die dorftyrannische Attitüde zu erkennen, mit der sich KMS anmaßt, einem vorzuschreiben, welchen Fragen man gefälligst „sich stellen müsste“. Solch ein peremptorisch einforderbares Recht auf Beantwortung soll die Frage haben: „Warum lässt Frisch“ den und den „an Krebs sterben“? Wobei wir die einzig richtige Antwort darauf gleich noch hinterherserviert bekamen, aber vorsichtshalber doch nur in Gestalt einer rhetorischen Frage: „Durchkreuzung von Fabers Glauben an die Berechenbarkeit von allem und jedem?“
Erstens einmal: Warum soll denn ausgerechnet ein Krebstod — ausgerechnet Krebs, of all maladies, vor allen anderen natürlichen Todesarten! — den Glauben an die Berechenbarkeit von allem und jedem zu durchkreuzen so prachtexemplarisch geeignet sein? Verstehe das, wer kann. Vor allem aber scheint KMS in den letzten fünfzig, sechzig Jahren noch überhaupt nichts gehört oder verstanden zu haben von so etwas wie intentional fallacy. Dabei hätte ihn gerade das zum Fremdschämen peinliche Schicksal seiner eigenen „Mutmaßungen“ eines Besseren belehren müssen — in Wahrheit handelt es sich freilich um keine als solche relativierten „Mutmaßungen“, sondern um einen „Kommentar“, abgegeben im Brustton der Fachmännlichkeit. Spätestens sein Kommentar zu den „diskreten Hinweisen“, die uns ein „hinter Faber stehender Erzähler“ (sic!) zur theologischen Tiefgründigkeit des Namens „Jo(Hanna)“ geben wolle, hätte den Fachmann schon etwas an der Klugheit einer Fragestellung zweifeln lassen können, wie er sie uns in puncto Krebs aufzwingen zu sollen meint. Denn er selber muss ja nunmehr doch einräumen, dass sein Kommentar ganz und gar „hinfällig“ geworden sei, seitdem nämlich die Lesart des Typoskripts ihm, KMS, bekannt sei. Und wem, bitte schön, verdankt er diese Bekanntschaft? Könnte es vielleicht nicht doch sein, dass unser entsetzlicher Scharlatanismus „denn doch“ nicht ganz so ertraglos war?
Staunenswert auch, wie angestrengt und verbissen KMS auf anderen unhaltbaren Behauptungen beharrt, indem er Gegenargumente nicht entkräftet, sondern diffamiert. Fabers antiamerikanische Philippiken seien „angeblich nachträglich“ autorisiert. Sie sind es nicht „angeblich“; sondern sie sind es. Punkt. Das kann jeder und jede nachlesen. Die stehengebliebene Tirade gegen „the American Way of Life“ behält darum ihre volle und ganze Geltung; anders als die vernichteten Briefe an Dick und Marcel, deren Inhalt ohnedies unbekannt bleibt und von denen KMS dennoch steif und fest behauptet, dass sie in der Scheltrede auf die Amerikaner ausbuchstabiert seien — nur wegen einer Rekurrenz des Namens des einen (nur des einen) Empfängers, und das in einem extrem sprunghaften und assoziativen Textpassus. Ganz abgesehen davon, dass es in Homo faber durchaus nicht nur theoretische, sondern reihenweise mimetische und als solche keinesfalls mehr subjektivierbare Sätze sind, die in die Kerbe des seinerzeit nun einmal gang und gäben Antiamerikanismus schlagen; so in der Szene an der Via Appia. Usw. usf.
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Klaus Müller-Salget schrieb uns am 11.11.2016 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Da meine Überlegungen zur Problematik der Barblin-Peider-Andri-Szene weiterhin wahrheitswidrig 'zitiert' werden, verzichte ich auf weitere Bemerkungen. Was Frisch zeigen wollte, ist klar. Es fragt sich aber, ob ihm das auch überzeugend darzustellen gelungen ist. - Dass Herr Elsaghe versucht, mich in eine üble Gesellschaft einzureihen, richtet sich selbst.
Klaus Müller-Salget
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Yahya Elsaghe schrieb uns am 14.11.2016
Thema: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
KMSs „Überlegungen zur Problematik der Barblin-Peider-Andri-Szene“ wurden zuletzt nicht mehr „zitiert“, sondern paraphrasiert. Eine Paraphrase kann selbstverständlich „wahrheitswidrig“ oder auch bloß bona fide falsch sein. Deshalb noch einmal KMS im Original:
„Wenn dann die Kammertür von innen verriegelt wird […] und es während der ganzen Zeit still bleibt in der Kammer, dann muß man zumindest annehmen, daß es Peider gelungen ist, sich das Mädchen gefügig zu machen.“ Oder: „Angedeutet werden soll offenbar, daß der protzig selbstbewußte Peider das Mädchen wider Willen beeindruckt mit seiner primitiven ‚Männlichkeit‘, die dem selbstzweiflerischen Andri fehlt.“ Oder: „Von hierher bekommt der Vorgang in der Kammer den Charakter einer Trotzreaktion […].“ Ist es „wahrheitswidrig“, das alles so zu paraphrasieren: Barblin hat kein Vergewaltigungsopfer zu sein?
Im Übrigen haben wir KMS ausdrücklich attestiert, dass er sich mit alledem durchaus nicht einfach in „üble[r]“, sondern schlicht in männlicher Gesellschaft befindet. Derselben Vorstellung, dass das Opfer ‚es‘ eben wollte, sind keine Geringeren als Friedrich Torberg oder Carl Zuckmayer aufgesessen.
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Klaus Müller-Salget schrieb uns am 25.11.2016 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Die Auslassung in eckigen Klammern ist wieder einmal bezeichnend: Da steht: "Andri ein langes Selbstgespräch führt, auch noch eine Auseinandersetzung mit seinem Vater hat". Ich leugne keineswegs die Vergewaltigung, frage mich nur, wie man das darauf Folgende verstehen soll.
Wenn ich recht sehe, lag für Frisch das Problem darin, dass Andri sich auch noch von Barblin verraten wähnen sollte, dass also für ihn die Möglichkeit bestehen sollte, Barblin habe freiwillig mit Peider geschlafen. Deshalb durfte für ihn der Tatbestand Vergewaltigung nicht eindeutig sein. Das führt zur Problematik von Bild 6. Für den Zuschauer klarer geworden wäre der Fall, wenn nach der Verriegelung der Kammertür die Szene abgebrochen und erst mit dem Schluss wiederaufgenommen worden wäre. Da es ja Vorfassungen im Archiv gibt, müsste man einmal nachsehen, ob es da Alternativen gibt.
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Yahya Elsaghe schrieb uns am 27.11.2016 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Es wäre wohl doch klüger gewesen, das einmal gegebene Versprechen zu halten und tatsächlich „auf weitere Bemerkungen“ zu verzichten. Denn inwiefern genau werden die zitierten „Überlegungen“ zu der „ganzen Zeit“ triftiger und schlauer, wenn man den „wieder einmal“ so überaus bezeichnender-, sprich natürlich: unredlicherweise ausgeklammerten Text mitliest?
Vor allem aber: Es kann hier nicht darum gehen, was Frisch wollte und wie er es in dieser oder jener Bühnenfassung umsetzte — denn er hat es in der Tagespresse und anderwärts ja eigens zu Protokoll gegeben —; sondern es ging um die Ängste und Phantasien, die das sechste Bild trotz dieses Protokolls freizusetzen vermag, und sei es auch unterhalb der Bewusstseinsschwelle. Nur so lässt sich die Regelmäßigkeit erklären, mit der die Rezipienten der Vorstellung erlagen, dass „die Barblin sich diesem widerlichen Stinker von Soldaten hingibt“ (Zuckmayer). In die stattliche Reihe solcher Fehllesungen gehören nun salva venia auch KMSs „Überlegungen“; mögen sie ihrem Urheber jetzt begreiflicherweise noch so peinlich geworden sein und mag er deshalb noch so verzweifelt versuchen, sie zu verharmlosen und ihre Wiedergabe als „unseriös“ oder „wahrheitswidrig“ zu diffamieren. Deshalb also noch einmal mit etwas erhöhter Belegdichte:
Frischs Versuch, „den Soldaten […] als Vergewaltiger zu kennzeichnen“, konnte KMS „nicht recht überzeugen“. („Die Auslassung in eckigen Klammern ist“ vermutlich „wieder einmal bezeichnend.“) In KMSs Worten „nimmt“ der Soldat die Frau oder das Mädchen einfach. Sie ist oder er macht sie sich „gefügig“, nachdem er sie mit seiner „Männlichkeit“ beeindruckt hat. Das eine „muß man zumindest annehmen“, und das andere „soll offenbar“ „[a]ngedeutet werden“; womit KMS nun also doch wieder, wie so oft und so gerne, auf die Absichten seines Autors rekurriert, über die er so erstaunlich gut Bescheid weiß — intentional fallacy hin oder her. Und dann hat „der Vorgang in der Kammer“ auch noch „den Charakter einer Trotzreaktion“ zu bekommen. Die Frau wechselt somit vom receiving end eines Sexualobjekts und -opfers auf die Position einer Agentin, und agiere sie auch nur aus Trotz. Doch damit leider längst nicht genug. Der Soldat soll sage und schreibe — seat belts! — „der Nutznießer“ eines sexuellen „Begehren[s]“ sein — sic! —, das Andri in Barblin „entfacht“ habe, „ohne es zu befriedigen“.
Aber dennoch will KMS nunmehr die Vergewaltigung „keineswegs“ geleugnet haben. Entweder, hoffentlich, ist das einfach nur eine fadenscheinige und scheinheilige Schutzbehauptung, die selbstverständlich um gar nichts glaubwürdiger wird dadurch, dass sie KMS immer wieder aufs Neue aufstellt. Oder aber, sehr viel schlimmer noch, der Tatbestand der Vergewaltigung schließt in KMSs Sprachgebrauch und Vorstellungswelt durchaus nicht aus — wenn er nicht nahelegt —, dass der Täter mit seiner Tat ein Begehren des Opfers bedient hat. Si tacuisses!
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Klaus Müller-Salget schrieb uns am 27.11.2016 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Wenn Herr Elsaghe in der Lage wäre, in Abläufen zu denken, wäre es sinnvoll, mit ihm zu diskutieren. So aber geb' ich's auf.
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Yahya Elsaghe schrieb uns am 02.05.2018 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Was immer das nun wieder heißen soll, „in Abläufen denken“ — aber wie sollte das auch einer verstehen, der dazu schlicht und einfach nicht in der Lage ist —: Die Abläufe, ganz ohne schon darin zu denken, gestalteten sich bisher so.
1. Unsere Arbeiten begannen im Oktober 2013 zu erscheinen. Darin unterstanden wir uns, KMS im Rahmen eines weiteren Argumentationszusammenhangs zu kritisieren: KMS befinde sich mit seinen fragwürdigen Auslassungen zu Andorra in großer, teils auch gar nicht so schlechter, aber durchwegs männlicher Gesellschaft. Er habe die Vergewaltigung der Barblin mit einer Eroberung oder Verführung durch ihren Vergewaltiger verwechselt; und zwar gegen den von ihm, KMS, selber so hoch gehaltenen Primat der Autorintention, die gerade hier mit seltener Eindeutigkeit bezeugt sei.
2. Um sich für die erlittene Schmach schadlos zu halten, diente KMS literaturkritik.de von sich aus eine Rezension an, zu der ihn also niemand mandatiert hatte. Jene Kritik an ihm kam darin nicht zur Sprache. Somit blieb auch vertuscht, dass er seine persönlich-allzupersönlichen Gründe dafür haben mochte, den Gegenstand seiner Rezension im Namen der „Wahrheit“ und aller „philologischen Grundtugenden“ herabzuwürdigen; ein einziges abschreckendes Beispiel von Einseitigkeit und Voreingenommenheit, mit dem eine spätere Rezension denn auch ins Gericht ging (Comparatio 2016).
3. Literaturkritik.de lud uns fairer- und dankenswerterweise ein, auf KMS zu replizieren. Wir berichtigten ein paar der schlimmsten unter seinen Behauptungen und Unterstellungen, wiesen auch auf seinen „bedenklichen Mangel an Problembewusstsein“ hin, zum Beispiel bei der Verwechslung von ‘jüdisch’ und ‘hebräisch’ etc. Auch deuteten wir suaviter in modo seine notgedrungen persönliche Befangenheit an, indem wir die Kritik an seiner Bände sprechenden Verkennung jener Vergewaltigung erneuerten.
4. In so unermüdlichen wie ermüdenden Entgegnungen repetierte KMS halsstarrig seine Schutzbehauptung, er „leugne keineswegs die Vergewaltigung“. Ihm so etwas nachzusagen sei „unseriös“ und „wahrheitswidrig“. Auf die Zitate seiner selbst, die wir in der Sache eigens nochmals ausbuchstabierten, wusste er indessen nichts, aber auch gar nichts zu entgegnen. Mit dem Rücken zur Wand, blieb ihm wieder einmal nichts anderes übrig als hilflose Diffamierung. Mit uns, weil zu dumm, um in Abläufen zu denken, sei halt nicht zu diskutieren. Und es wiederholte KMS sein leider zu wiederholten Malen gebrochenes Versprechen, er „geb’“ „’s auf“.
5. KMS hat es mitnichten aufgegeben. Sondern er hat bloß in ein anderes Medium gewechselt, wohlweislich in eines, in dem man ihm nicht ebenso prompt widersprechen kann. In print publizierte er die „Funde“, „meine Funde“, die er aus einem neu aufgetauchten Typoskript des Homo faber gehoben haben will. Um bei der Gelegenheit auch gleich etliche der Fehler richtigzustellen — längst nicht alle —, die ihm bei seinen „Arbeiten für die ‘Erläuterungen und Dokumente’“ zum Roman unterlaufen seien, habe er sich der Mühsal unterzogen, den neuen Textzeugen „akribisch“ zu studieren. Das sei „im September 2014“ geschehen — mit anderen Worten zu einer Zeit, da unsere Arbeiten schon vorlagen. Nicht, dass KMS diese rundheraus verschwiege. Er geruht sehr wohl, sie ein, zwei Mal zu erwähnen, wenn auch nur nebenher und erst in der zweiten Hälfte seines Beitrags, dort aber jeweils in ausschließlich wieder extrem polemischer Absicht, indem er seine frühere Kritik rezykliert:
In der Mutation des Namens „Hanna“ zu „Johanna“ eine christliche Expropriation zu sehen, womit wir spekulierten, sei deswegen „unhaltbar“, weil die Variante „Johanna“ allem Anschein nach auf einem Setzfehler beruhe. Das mit dem Setzfehler ist jetzt ungeschmeichelt keine schlechte, ja die beste, nein die einzig gute Idee KMSs. Großzügig nachsehen dürfte man es ihm auch, wenn er sich in diesem Zusammenhang nicht weiter mit unserer unbedarften Entgegnung aufhält, dass nämlich auch ein Setzfehler, zumal man ihn mehr als ein halbes Jahrhundert lang einfach hinnehmen und verschleppen konnte, wiederum auf eine kollektive Indifferenz gegenüber dem Eigenrecht jüdischer Überlieferung schließen lasse. Und man muss es KMS auch hoch anrechnen, dass er hier seiner eigenen Rezension widerspricht. Dort nämlich hielt er unserer albernen Spekulation noch entgegen, man solle „ja wohl annehmen, dass Joachim Hanna Johanna genannt hat“; ein Interpretationsmanöver, wie er es schon in seinen „Erläuterungen und Dokumenten“ veranstaltete, die er, im Unterschied zu seiner Rezension, hier auch explizit zu widerrufen die Größe hat — ohne freilich zu erwähnen, was sich einst daran anschloss und was ihm besonders peinlich geworden sein muss, zu Recht. Gemeint ist der Kommentar, den er Joachims angeblicher Restitution oder Abwandlung des Frauennamens angedeihen zu lassen sich nicht entblödete und der sich mit der nunmehr lancierten Vermutung eines Setzfehlers noch sehr, sehr viel schlechter verträgt als unsere „zweifelhafte Lesung“: Die „auf ‘Jehova’ verweisende erste Silbe“ des Namens „Johanna“ stelle „die patriarchale ‘Ordnung’ wieder her“; und dergleichen habe nichts Geringeres zu bedeuten als einen „diskreten Hinweis auf die je andere und je anders begründete Haltung gegenüber der göttlichen Autorität“ — oder was der hochtrabenden Plattitüden und prätentiösen Sottisen noch mehr sind.
Noch viel verräterischer ist der andere Anlass, aus dem uns KMS anzugehen beliebt. Er betrifft Frischs systematische Tilgung solcher Textpartien, die deutlich, vielleicht allzu deutlich an die NS-Vergangenheit zu erinnern geeignet waren — etwa dass Herbert Hencke in der Partei und sein Bruder Joachim bei der Waffen-SS war —; „Streichungen“, von denen wir „meinen“, dass sie mit Rücksicht auf deutsche Empfindlichkeiten erfolgten. (Um es etwas genauer zu nehmen, ‘meinten’ wir das nicht, sondern gaben es lediglich als eine Erklärungsoption zu erwägen, nicht ohne einzuräumen, was alles dagegenspricht — ausgenommen, zugegeben, das nun wirklich blitzgescheite argumentum ex silentio, das KMS gegen unsere dümmliche ‘Meinung’ ins Feld führt: „Im Briefwechsel mit Suhrkamp findet sich nichts dazu.“)
Selbstverräterisch ist KMSs Kritik hier natürlich wegen ihrer Präsuppositionen. Ungewollt lässt sie ja mit einfließen, dass KMS nicht der Einzige und vor allem auch nicht der Erste gewesen sein kann, der sich die Mühe gemacht hat, die Lesarten des sensationellen Typoskripts auszuwerten. Wem dieses „Verdienst“ oder „große Verdienst“ gebührt, daran ließ nicht einmal die skeptischste oder einzig skeptische unter allen anderen Rezensionen den geringsten Zweifel (Gegenwartsliteratur 2016). Dass es unsere Arbeit war, die KMS im September 2014 zu seinem Beitrag inspirierte, gehört anscheinend seinerseits noch mit zu ihren kleineren Verdiensten. Aber das eigens auszuweisen wäre vom Verfasser desselben zu viel verlangt.
Etwas anders liegen die Dinge allerdings dort, wo KMS, ungeachtet seines Monopolanspruchs auf Wahrhaftig- und philologische Tugendhaftigkeit, die Resultate unserer Arbeit repliziert oder reproduziert, um es höflich zu sagen. So etwa in Hinblick auf Walter Fabers Schweizer Rivalen, der im Typoskript noch ungleich schlechter wegkommt als später; ein Befund, den wir wiederholt und ausführlich zum Untersuchungsgegenstand machten — ohne dass es KMS seinen philologischen Kardinaltugenden schuldig zu sein glaubt, darauf auch nur in einem Fußnötchen hinzuweisen.
Oder noch eine kleine Kostprobe aus den „Funden“ KMSs, der es sich im Übrigen nicht hat nehmen lassen, sich vor Kurzem auch zur Plage des Plagiarismus zu Wort zu melden: KMS zitiert und paraphrasiert des Längeren und Breiteren einen „denn wohl doch zu kolportagehaften“ Passus, den Frisch später zu streichen klug genug war. Darin sollte sich Faber als Held und Ritter ohne Fehl noch Tadel gerieren. Wagemutig hätte er einst die Frau und Jüdin in letzter Minute vor den Nazikaffern retten sollen (auf etwa dieselbe unsäglich verlogene und rettungslos verkitschte Art und Weise, wie es ein zeitweise enger Freund Frischs in seinem Œuvre tatsächlich zusammenphantasiert und wie es W. G. Sebald im Essay über den Schriftsteller Alfred Andersch nicht zu Unrecht aufs Korn genommen hat). Auch die Trouvaille dieser zum Glück doch noch kassierten Heldenphantasie präsentiert KMS als Frucht seiner eigenen Akribie und Knochenarbeit. Kein Sterbenswörtchen davon — weder im Fließtext noch im Anmerkungsapparat —, dass die phantastische Erzählung von der echt männlichen Heldentat bereits vor Jahr und Tag entdeckt und qua Gegenstand unseres Frageinteresses auch schon in extensissimo zitiert worden war, als sich KMS im September 2014 ganz spontan ans Werk machte.
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Klaus Müller-Salget schrieb uns am 14.05.2019 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Was die als Tatsachen maskierten Prioritätsbehauptungen des Herrn Elsaghe betrifft, ist leider doch noch eine Entgegnung nötig.
Auf die Existenz des Typoskripts aufmerksam geworden bin ich durch die Biographie von Julian Schütt (Berlin 2011; Lektüre: Dezember 2012). Am 9. April 2013 habe ich deshalb erstmals an die damalige Leiterin des Max Frisch-Archivs, Frau Dr. Margit Unser, geschrieben. Eine längere E-Mail-Korrespondenz mit ihr und mit dem Präsidenten der Max Frisch-Stiftung, Prof. Dr. Thomas Strässle,schloss sich an, bis ich dann im September 2014 die digitale Fassung des Typoskripts und zugehörige Materialien erstmals im Archiv studieren konnte. Meiner Absicht, eine kritische Edition des Typoskripts herauszubringen, ist, wie mitgeteilt, von der Spitze des Suhrkamp Verlags eine Absage erteilt worden.
Im Januar 2014 hatte ich im Text+Kritik-Heft zu Frisch den Aufsatz von Franziska Schößler entdeckt, der mich ziemlich entsetzt hat (Korrespondenz mit Hermann Korte). Auch dass es Herrn Elsaghe gab, habe ich dem Heft entnehmen können.
Nach der Absage bezüglich der kritischen Edition (23. Januar 2015)habe ich mich an die mühselige Vergleichung des Typoskripts mit den Druckversionen gemacht (und gefunden, dass die "Gesammelten Werke in zeitlicher Folge" von Fehlern wimmeln. Peter von Matt: eine "philologisches Ärgernis").
Am 20. Februar 2015 habe ich den Aisthesis Verlag brieflich gebeten, mir die Bücher von Yahya Elsaghe und Melanie Rohner zu schicken, die ich dann, ebenso wie einen Teil des besagten Aufsatzes, im August 2015 in literaturkritik.de besprochen habe.
Davon, dass ich die Anregung für meine Arbeit am Typoskript und anderes den Publikationen von Elsaghe und Rohner verdankte, kann also keine Rede sein. Es handelt sich um eine mit den üblichen Elsagheschen Gehässigkeiten garnierte Unterstellung.
Da sich meine Angaben Punkt für Punkt belegen lassen, erwarte ich eine Entschuldigung.
Klaus Müller-Salget
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Yahya Elsaghe schrieb uns am 29.05.2019 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Entschuldigung, aber hat KMS bei seiner Darlegung der Abläufe vielleicht nicht doch etwas ausgelassen? Er will erst im Januar 2014 von der Existenz unserer Wenigkeit Kenntnis genommen haben. Gut. Dies sei bei seiner Lektüre des Max Frisch-Bands in der Reihe Text + Kritik geschehen; das jedoch müsste seinen eigenen Angaben zufolge heißen: ein Dreivierteljahr bevor er das Typoskript des Homo faber überhaupt erstmals zu Gesicht bekam. Was KMS jetzt wieder einmal unterschlägt, im halbschlauen Vertrauen darauf, dass es ‘denn doch’ keiner merkt, ist der Zusammenhang, in dem er hier mit unseren Arbeiten bekannt wurde. Es geht in unserem Beitrag zu Text + Kritik nämlich um eine erste Auswertung ebenjenes Typoskripts. Genau gesagt geht es um die Rolle, die Walter Fabers Schweizer Konkurrent darin einmal spielte und die KMS 2017 als einen der von ihm höchstselbst gehobenen „Funde“ umherzubieten sich nicht zu schade war. Als solche „Funde“ paradierte er damals wie gezeigt auch noch anderes, was er, wieder selbst nach der Chronologie seiner eigenen Angaben, bereits aus unseren Arbeiten gekannt haben musste. So viel oder so wenig zu seinem Monopolanspruch auf philologische Tugendhaftigkeit und zu der Autorität, als die er sich neuerdings auch noch in Sachen Plagiarismus zu gerieren geruht.
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Klaus Müller-Salget schrieb uns am 29.05.2019 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Mit seiner Weigerung, die von mir geforderte Entschuldigung auszusprechen (die Daten habe ich geliefert), zeigt sich nun die ganze Miserabilität des Herrn Elsaghe. Wenn er so tut, als hätte ich in meinem ZfdPh-Aufsatz nur Dinge genannt, die auch er schon genannt habe, so ist das wieder einmal eine Unwahrheit. Mit dem unterschwelligen Vorwurf des Plagiarismus begibt der Gute sich dann in die allerunterste Schublade. Dass man, wenn man etwas zitiert, was auch er schon zitiert hat, eine Verbeugung vor ihm machen muss, war mir unbekannt; ich werde es mir allerdings auch nicht zu Herzen nehmen, da ich weitere Hervorbringungen dieses Herrn nicht mehr zur Kenntnis nehmen werde.
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Yahya Elsaghe schrieb uns am 13.06.2019 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Yahya Elsaghe, Melanie Rohner, Franziska Schößler: Unbequeme Fragen an einen Nationalschriftsteller
Entschuldigung, aber geht es hier wirklich einfach nur um etwas, das KMS bloß zitiert hat, oder nicht doch vielmehr darum, dass er das Zitierte mir nichts, dir nichts als seine eigenen, und das heißt per definitionem: erstmaligen „Funde“ ausgibt? Soll oder kann seine wieder einmal sehr agitierte Cholerik über diesen kleinen Unterschied so ganz hinwegtäuschen? Und unterliegt sie nicht einem mittlerweile schon ad nauseam bekannten Reaktionsmuster? Wenn ihm die Argumente ausgehen, behilft sich KMS faute de mieux halt immer mal wieder gerne mit persönlichen Diffamierungen. Dermaßen großzügig ad hominem auszuteilen fühlt sich da nota bene einer berufen, der Vergewaltigung als „Nutznießung“ weiblichen „Begehrens“ hinstellt und solche, die ihm das vorhalten, kurzerhand der Lüge und üblen Nachrede bezichtigt.
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