Leserbriefe zur Rezension

Ihr Schreiben war (Über)leben

Helmut Braun hat ein beeindruckendes Lebensbild der Dichterin Rose Ausländer verfasst

Von Klaus Hammer


Martin A. Hainz schrieb uns am 21.03.2018
Thema: Klaus Hammer: Ihr Schreiben war (Über)leben

"Merkwürdig nur, dass Braun Rose Ausländer nicht als „jüdische“ Dichterin einordnen will" ...

Durchaus  nicht. Rose Ausländer ist zwar vom Bilderreichtum des chassidischen Judentums inspiriert, aber der Umstand, dass der Nationalsozialismus sie den Juden zurechnend diese als homogene Gruppe imaginierte, bedeutet nicht, dass sich davon abgesehen die Dichterin so verstanden oder so (wie?) geschrieben hätte.

Ihre Bezugnahmen auf den jüdischen Glauben und dessen Textgrundlage sind auch eher kritisch, etwa den Eva-Mythos betreffend.

"Die Sprache ist die letzte verbleibende Heimat und Behausung geblieben" -- das ist schwerlich ausreichend, die Dichterin dennoch dem Judentum einfach zuzuschlagen, deren vom Rezensenten zitierte "andere Wirklichkeit, die geistige", auch keine so eindeutige Auskunft ist. Die Juden als Opferkollektiv in Czernowitz suchten nicht zwingend das Judentum als diese Wirklichkeit, sondern im Falle Rose Ausländers v.a. die Philosophie Platons und Spinozas sowie ihres Lehrers C. Brunner.

Gerade bei den Spinoza-Gedichten ist übrigens wieder die Distanzierung vom Judentum durch die Dichterin kaum zu übersehen.

Man kann natürlich mutmaßen, "dass Braun aus seiner persönlichen Nähe zur Dichterin über Kenntnisse verfügt, die der Öffentlichkeit nicht weiter bekannt sind", aber in diesem Fall reicht Werkkenntnis. Wenn man möchte, so kann man dazu aber auch die Sekundärliteratur zu Rate ziehen.

_____
cf. neben Biographischem von Helmut Braun sowie Cilly Helfrich etwa Gerhard Reiter: Das Eine und das Einzelne. Zur philosophischen Struktur der Lyrik Rose Ausländers. In: Rose Ausländer. Materialien zu Leben und Werk, ed. Helmut Braun. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1997 (=Fischer Taschenbuch 6498 · Informationen und Materialien zur Literatur), S.154-197 oder meine bescheidenen Beiträge, z.B. M.H.: Ein Dialog – Constantin Brunner und Rose Ausländer. In: »Mein Heiliger heißt Benedict« – Rose Ausländer und die Philosophie, ed. Helmut Braun. Weilerswist: Ralf Liebe Verlag 2016 (=Materialien zur Literatur, vol. 3), S.47-65 bzw. meine Monographie "Entgöttertes Leid".