Leserbriefe zur Rezension

Die Idee war gut

Dany Laferrières vielversprechender Roman „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ entpuppt sich als Schaumschlägerei

Von Martina Kopf


Dany Laferrière schrieb uns am 10.10.2020
Thema: Martina Kopf: Die Idee war gut

Liebe Martina Kopf,
es gibt Schriftsteller, die angeblich Kritiken nicht lesen, aber zu denen gehöre ich nicht. Ich glaube sogar, dass die Kritiken untrennbar ein Bestandteil des Buches sind. Wenn man Jahre später an die Zeit zurückdenkt, meint man eine kleine Gemeinschaft von Lesehungrigen habe sich in verschiedenen Sprachen unterhalten, während sie um ein großes Feuer herum saß, das von dem Buch gespeist wurde. Ihr Artikel hat mein Interesse geweckt, weil er das genaue Gegenteil von allem ist, was ich mit dem Buch ausdrücken wollte, und bekanntlich berühren sich die Extreme. Als Sie den Titel (Ich bin ein japanischer Schriftsteller) lasen, waren Sie sofort begeistert, daher die große Enttäuschung. Was für ein tolle Idee! Ihre Intelligenz war in Fahrt. Mir ging es genauso, als mir die Erleuchtung des Titels kam, wollte ich unbedingt daraus ein Buch machen. Klar, im Vergleich zum Titel ist das Buch zweitrangig. Deshalb steht er in Großbuchstaben vorne auf dem Einband. Dennoch habe ich mir die Mühe gemacht, um den Titel herum ein Buch zu verfassen, und Sie daraufhin, ausgehend von dem Titel, einen Artikel! Tolle Idee! Das gleiche wurde schon beim Titel meines ersten Romans gesagt (Comment faire l´amour avec un nègre sans se fatiguer; dt Die Kunst einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden), und doch wurde er fast überall zensiert – vor allem der des Films. Eigentlich haben Sie Ihren Artikel zur Verteidigung des Buches geschrieben, das dieser Titel Ihnen eingegeben hatte. Bei Ihnen war es womöglich ein anderes Wort als „japanisch“, darüber könnten wir uns einmal austauschen. Sie wissen sicher, wer liest, wird auch selbst gelesen, und ich lese Sie wie ein offenes Buch. Wie konnte ich eine so gute Idee derart verfehlen? Ich kenne das schon. Nach dem Erdbeben von Port-au-Prince, wo ich das Buch Tout bouge autour de moi (The world is moving around me/Alles ist um mich ist in Bewegung) geschrieben hatte, meinte ein amerikanischer Kritiker, „es sei erstaunlich, ein so gewöhnliches Buch zu lesen, bei einem so außergewöhnlichen Thema.“ Verrückt, wie viele hervorragende Ideen ich in den Sand setze, etwa wenn ich ausgerechnet in Port-au-Prince bin während jenes schrecklichen Erdbebens, das 300 000 Leute das Leben gekostet hat. Oder dass ich mich als Schwarzer für einen japanischen Schriftsteller halte, anstatt über die Sklaverei zu schreiben, oder dass ich Haitianer bin, aber nicht auf Elend und Diktatur eingehe – ich weiß, das haben Sie weder erwähnt noch angedeutet, aber andere schon. Sie möchten lieber, dass ich der Nationalliteratur an den Kragen gehe. Ihnen ist klar, dass ich genau das getan habe, aber dann haben zu viele Abschweifungen, zu viele Phantasien und andere Irritationen (noch dazu machistische) Sie am Ende entnervt. Sie hatten ein bisschen recherchiert und hätten danach mehr von mir erwartet. Ein schwarzer Exilant aus Haiti, in Kanada lebend, dazu Franzose, die Sterne standen so günstig. Aber unglücklicherweise bin ich zu leichtfertig, zu individualistisch, zu sinnlich, um einen Essay zu schreiben, das heißt, jemand zu überzeugen außer bei einer Tasse Kaffee. Ich bin ein so schlechter Jäger, dass ich einen Elefanten sogar in einem Flur verfehlen würde. Sie haben ein Wort verwendet, das mir allerdings gut gefällt: Amateur. Ich füge hinzu, dass mich nicht etwa Borges (mein Lieblingsautor), Bukowsky, Diderot oder Hemingway am meisten beeinflusst haben, sondern die naiven Künstler in Haiti. Wo wir schon dabei sind, meine Lieblingsfarbe ist gelb, ich liebe den April und den violetten Abendhimmel. Jetzt wissen Sie alles. Ich würde mich über ein längeres freundschaftliches Gespräch freuen, in Paris, Berlin, Port-au-Prince, Montréal, Tokio oder wo immer es uns hin verschlägt,
herzliche Grüße
Dany Laferrière
de l’Académie française