Karl-Josef Müller schrieb uns am 27.03.2022
Thema: Redaktion literaturkritik.de: Songs für den Frieden und das Ende der Kriege
„Ich glaube allerdings, dass Versuche, politischen Protest mit der popular music, also mit der Unterhaltungsmusik zusammenzubringen, deshalb zum Scheitern verurteilt sind, weil die ganze Sphäre der Unterhaltungsmusik, obwohl sie irgendwie modernistisch sich aufputzt, so mit dem Warencharakter, mit dem Amüsement, mit dem Schielen nach dem Konsum verbunden ist, dass also Versuche, dem eine veränderte Funktion zu geben, ganz äußerlich bleiben, und ich muss sagen, wenn dann irgendjemand sich hinstellt und auf eine im Grunde doch schnulzenhafte Musik dann irgendwelche Dinge darüber singt, dass Vietnam nicht zu ertragen sei, dann finde ich, dass gerade dieser Song nicht zu ertragen ist, weil er, indem er das Entsetzliche noch irgendwie konsumierbar macht, schließlich auch daraus noch etwas wie Konsumqualitäten herauspresst.“ Theodor W. Adorno
Das Entsetzliche konsumierbar machen, das wollen wir natürlich nicht. Aber was wollen wir mit diesen Songs in diesen Tagen?
Erinnerungen ans Lagerfeuer werden wach, wenn einer sich die Gitarre greift und alle How Many Roads singen. Übrigens hat der Originaltext von Bob Dylan wenig zu tun mit der deutschen Version, er ist in seiner Botschaft, wenn er denn eine hat, wesentlich offener, unbestimmter.
Adornos Vorbehalten gegen U-Musik muss man nicht zustimmen, aber genau die von ihm geäußerten Vorbehalte gegen Protestsongs stiegen in mir auf, als ich auf die von der Redaktion ausgesuchten Beispiele geschaut habe. Wer ist nicht gegen Krieg, das ist doch eine Selbstverständlichkeit.
Im Falle der Ukraine geht es aber nicht darum, gegen Krieg zu sein, sondern es geht um einen brutalen Angriffskrieg, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Und die Ukrainer erwarten sicherlich nicht, dass wir unser eigenes Unbehagen angesichts der unsäglichen Gewalt mit Protestsongs garnieren – sie wollen Waffen, um sich zu verteidigen. Das allerdings passt nicht zu den von Ihnen ausgewählten Liedern, die sich allgemein gegen Gewalt und Krieg aussprechen – wogegen, natürlich, selbstredend, nichts zu sagen ist. Aber was, wenn eine zur Diktatur mutierte Weltmacht ihre militärische Überlegenheit ohne Skrupel missbraucht? Blood, Toil, Tears and Sweat hat Churchill seinen Landsleuten versprochen, als es darum ging, die freie Welt gegen den Braunauer zu verteidigen. Vergleiche hinken, wir wissen das, aber hat die Ukraine nicht das Recht, sich zu verteidigen? Und wenn sie das hat, welche Botschaft wollen wir ihr mit den hier aufgeführten Liedern vermitteln? Der Potentat im Osten, das wissen wir, lässt sich von Protestsongs nicht beeindrucken.
Vietnam und die Ukraine etwa sind nicht vergleichbar, in den USA konnte gegen den Vietnamkrieg ansingen, wer wollte. Über die Sinnlosigkeit dieses Krieges muss nicht diskutiert werden.
Aber hätten wir den Internationalen Brigaden und der republikanischen spanischen Armee im Bürgerkrieg 1936 bis 1939 mit Liedern wie den hier aufgelisteten irgendeine sinnvolle Botschaft übermitteln können?
In Woodstock hat Jimi Hendrix gegen Ende des Konzerts “Star Spangled Banner” interpretiert und die Hymne in eine infernalische Kriegsapokalypse verwandelt. Ob dieser Auftritt einen Toten in Vietnam verhindert hat, sei dahingestellt, ich bin skeptisch. Aber die Musik von Hendrix begnügt sich nicht damit, für den Frieden zu sein und alle, die in einem Krieg kämpfen, pauschal zu verurteilen („Universal Soldier“), er bringt all die sinnlose Gewalt zur Erscheinung, zu der es als Verteidiger – siehe Spanischer Bürgerkrieg, 2. Weltkrieg, Ukraine heute – dennoch keine Alternative gibt. Es sei denn, wir geben klein bei und unterwerfen uns. Kein No pasaran, kein No surrender.Keine Demokratie, keine Freiheit.
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Karl-Josef Müller schrieb uns am 13.04.2022 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Redaktion literaturkritik.de: Songs für den Frieden und das Ende der Kriege
Ja, das mag 'uns' guttun, diese Lieder zu singen oder zu hören. Und natürlich kann jeder singen, was er will, vielleicht noch von Nicole 'Ein bisschen Frieden'. Ja, Hilflosigkeit und gefühlte Ohnmacht, das trifft unsere Situation. Aber, und das bereitet mir Unbehagen, um uns und unsere Befindlichkeit geht es nicht. Es geht um Tod und Zerstörung, die von Seiten der Angreifer durch nichts zu rechtfertigen sind. Gedanken an Picassos 'Guernica' kommen mir seit dem 24. Februar eher in den Sinn als diese 'Songs für den Frieden`. Ihre Sanftmut erscheint mir als Lüge angesichts eines Schreckens, den, um noch einen Spanier zu nennen, die Desastres de la guerra / Die Schrecken des Krieges von Goya eher zur Erscheinung bringen.
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