Leserbriefe zur Rezension

„Unsere Familie war eher ein Klumpen Geschichten“

Die Erzählerin und Historikerin Dana von Suffrin (geb. 1985)

Von Irmela von der Lühe


Franz Horvath schrieb uns am 11.01.2024
Thema: Irmela von der Lühe: „Unsere Familie war eher ein Klumpen Geschichten“

Sehr geehrte Frau von der Lühe,
haben Sie vielen Dank für Ihre Auseinandersetzung mit dem Werk von D. Schiffrin. Bitte erlauben Sie mir eine kleine Korrektur. Sie schreiben: "Die 40er Jahre brachten die Katastrophe für die Kronstädter Juden, für alle Juden im Grenzraum zwischen Ungarn, Rumänien und der Ukraine [...]" Dieser Satz bedarf einer kleinen Richtigstellung: Die Zahl der jüdischen Gemeinde Kronstadts betrug 1930 etwa 2.200 Personen und 1957 etwa 1.700 Personen. Man sieht also keine gravierende Veränderung. Die Abnahme um 500 Personen ist hierbei wohl v.a. auf die mehreren Auswanderungswelle von Juden aus Rumänien nach Israel Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre zurückzuführen. Die Kronstädter Juden haben den Krieg meines Wissens und Erachtens zumindest biologisch gut überstanden. Wieso? Der Nordwesten Rumäniens, Siebenbürgen im weiteren Sinne, gehörte seit 1920 zu Rumänien. Aufgrund des II. Wiener Schiedsspruchs (30.8.1940) wurde Siebenbürgen zwischen Ungarn und Rumänien geteilt: in Nord- und Südsiebenbürgen. In Nordsiebenbürgen wurden sofort die antisemitischen Gesetze Ungarns eingeführt und 1944, nach der Besetzung des Landes durch die Wehrmacht, innerhalb weniger Wochen und mit eifriger ungarischer Kooperation etwa 130.000 Juden ghettoisiert und deportiert. Davon sind etwa 100.000 Juden umgebracht worden, einige Tausende kehrten nach dem Krieg nach Rumänien zurück. In Südsiebenbürgen, das also zwischen 1940-45 weiterhin zu Rumänien gehörte, galten zwar die antisemitischen Gesetze Rumäniens und die Pogrome der Eisernen Garde im Januar 1941 betrafen wohl auch Kronstadt. Dennoch überlebten die Juden Südsiebenbürgens den Krieg relativ unbeschadet, d.h. ohne Deportation und Ghettoisierung. Deshalb nur relativ, da einige Tausend Juden aus dem Banat wohl nach Transnistrien deportiert wurden und es auch Pläne in Bukarest gab, 1942 alle Juden des Gebietes dahin zu deportieren. Dazu ist es allerdings nicht gekommen (wegen des Widerstands unterschiedlicher politischer Kreise). Nebenbei bemerkt: aus der Moldau und der Bukowina wurden sehr wohl Hunderttausende von Juden nach Transnistrien deportiert und dort verhungert, andere sind getötet und umgebracht worden. Dies alles betraf allerdings die Kronstädter jüdische Gemeinde wohl nicht. Harald Roth, der Verfasser einer Stadtmonographie ("Kronstadt in Siebenbürgen"), geht sogar davon aus, dass die Zahl der Kronstädter Juden Anfang der 1940er Jahr wohl sogar zugenommen haben muss, weil aus Nordsiebenbürgen und aus der Moldau etliche Juden dahin geflüchtet waren.  Ich hoffe, mit dieser kleinen Anmerkung die obige Aussage etwas nuanciert zu haben. Mit freundlichen Grüßen, Franz Sz. Horváth
P.s. Die Geschichte der Juden Siebenbürgens ist eine sehr spannende, dramatische und vielfältige Geschichte und die Gemeinde brachte zumal im 20. Jahrhundert z.B. mit György Ligeti, Imre Tóth usw. eine Reihe bemerkenswerter Persönlichkeiten hervor.