Petra Brixel schrieb uns am 28.02.2024
Thema: Rolf Löchel: Am Kaffeehaustisch mit Hermann Bahr und Peter Altenberg
Vielen Dank an Rolf Löchel für diese kritische und detailreiche Rezension. Es ist davon auszugehen, dass die "Bohème" noch viele Bücher gebären wird, denn zu spannend und illustre ist doch das Thema und ist bzw. war vor allem die damalige Gesellschaft. Sicher schwingt in allen neuzeitlichen Werken auch ein bisschen Neid oder Sehnsucht mit: Warum kann es heute nicht mehr so schaurig-libertär-alternativ sein? Wenn nun auch noch das Kiffen freigegeben wird, was bleibt uns dann?
Gut ist der Hinweis darauf, dass sich die Caféhaus-Kultur bzw. -gesellschaft nur auf einen ganz bestimmten und zudem vergleichsweise winzigen Teil der Gesellschaft erstreckte. Der gutbürgerliche und vor allem der sehr hart arbeitende Teil ("Proletariat") der Nation huldigte nicht dem Café Größenwahn.
Was die Details zu Otto Gross angehen, so gehören sie zu der Problematik des Auswählens. Eine vollständige Biografie von OG - als Beispiel für andere Biografien - würde ein Buch mit dem Anspruch des obigen Titels überfordern. Und so ist auch hier - wie oftmals bei komplexen Persönlichkeiten - nur das zitiert, was dem Autor (!) wichtig erschien. (Vielleicht sagt das mehr über den Autor als über Otto Gross aus.) Es ist "Künstlerfreiheit", doch in diesem Fall bedauerlich, nicht auf biografische "Schwachstellen" hinzuweisen. Löchels Kritik lässt sich noch hinzufügen: Sexueller Missbrauch, Pädophilie und andere "Kavaliersdelikte", die heutzutage offen thematisiert und scharf verurteilt werden, erscheinen auf die Vergangenheit bezogen eher als Aperçus. Dass immer noch verwerfliche Handlungen der Vergangenheit mit einem Augenzwinkern durchgehen, daran ist zu erkennen, wie viel Bewusstseinsarbeit zu leisten ist, auch in der Literatur.
Und dass Sofie Benz mal mit "f", mehrheitlich mit "ph" geschrieben wird, lässt sich kaum ändern, nicht einmal, nachdem Sofie Benz` Biografie erschienen ist. Auf ihrer Geburtsurkunde steht Sofie, aber auch Otto Gross schrieb in seinen Briefen an sie: Sophie. Es scheint "wurscht" zu sein, damals wie heute.
Anzumerken ist bei dieser Gelegenheit, dass Sofie Benz und Otto Gross nicht auf dem Monte Verità gelebt haben, sondern immer in Ascona in der Trattoria delle Isole (heute Hotel Tamaro), und dass Sofie nur zum Blumenpflücken auf den Wahrheitsberg kam. Aber auch diese Differenzierung wird sich kaum durchsetzen, solange nicht erkannt wird, dass oben auf dem Monte Verità die Aussteiger lebten, die sich von der Welt zurückgezogen hatten, und unten, in Ascona, die Anarchisten waren, die Weltverbesserer, die wieder in die Welt hinausgehen wollten.
Dies nur als kleiner Beitrag zur Differenzierung, angeregt durch Löchels Rezension.
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