Leserbriefe zur Rezension
Kafka zwischen Ich und Über-Ich
Gerhard Rieck legt mit „Kafka ist nicht rätselhaft“ eine sehr enggeführte, aber gleichwohl lesenswerte Analyse seines Werks vor
Von Martin Lowsky
Stefan Neuhaus schrieb uns am 02.04.2024 Ohne das besprochene Buch schon zu kennen, möchte ich als Literaturwissenschaftler doch kurz gegen den Furor, der sich bereits im Titel ausspricht, doppelten Einspruch einlegen. Erstens: Literatur ist Literatur, also metonymische Sprache (und Sprache ist zuerst immer Sprache, keineswegs die Abbildung von Realität), die somit deutungsoffen wird, um anschlussfähig für Lektüren unterschiedlicher Menschen in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen zu werden. Fiktionale Literatur auf eine einzige Bedeutung festzulegen würde heißen, sie wie einen Sachtext zu lesen. Roland Barthes hat bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert in "Kritik und Wahrheit" das Notwendige zu solchen Zumutungen (in der Geschichte nicht selten totalitär gewordener Denkmuster mit unguter Tradition) gesagt. Zweitens: Psychologische Deutungen dieser Art, bei aller Achtung vor der historischen Leistung von Sigmund Freud, gelten in der Psychologie schon lange nicht mehr als wissenschaftlich und auch andere Disziplinen und Theorien finden es schon lange nicht mehr vertretbar, psychische Prozesse monokausal zu deuten, zumal auch, ohne den blinden Fleck der Individualität des Deutenden mit zu bedenken. Für die informative und um Differenzierung bemühte Rezension möchte ich mich zugleich bedanken. Vielleicht lässt sie der Studie auch mehr Gerechtigkeit widerfahren als mein kurzer Einwurf, jedenfalls hoffe ich es. Einen Diskurs durch das Verteilen roter Karten an oftmals mindestens ebenso renommierte Fachkolleg*innen stillzustellen, wird hoffentlich auch nicht in der Absicht des Verfassers gelegen haben, und streitbare Schriften haben durchaus auch ihre Qualitäten. |