Elke Riemer-Buddecke schrieb uns am 06.03.2025
Thema: Thorsten Schulte: Orientierungsversuche im Meer der Illustrationen
Antwort der Autorin:
Schulte ist um ein ausgewogenes Urteil bemüht und hebt zunächst die Qualitäten des Buches hervor, wie z.B. den „beeindruckenden“ Abbildungsteil und den Versuch der Autorin, eine „Orientierung im Meer der Illustrationen“ zu ermöglichen. Der Abbildungsteil befriedige, so Schultes Fazit, das Verlangen des Lesers, „die Szenen aus Hoffmanns Texten zu sehen“. Es stelle sich sogar „Lesegenuss“ ein, wenn man „zwischen den Beschreibungen und den Abbildungen springe“.
Dass die Autorin Hoffmanns einzelne Werke nach ihrer „Beliebtheit unter den Illustratoren sortiert“ und in dieser Reihenfolge die einzelnen Werke mit ihren Illustrationen vorstellt, scheint Schulte zu befremden. Die Plätze 7 und 8 (nicht 6 und 7) wurden dabei aus Versehen in der Rangfolge vertauscht – ja, das ist korrekt. Dieser ‚Fehler‘ war bekannt: bei nochmaliger Kontrolle ergab sich eine nur um einen Illustrator verschobene Reihenfolge, die aber wegen des schon fertigen Layouts nicht mehr zu korrigieren war. Jeder, der dieses ‚opulente Kompendium‘ (Rückentext) zur Hand nimmt, wird unschwer erkennen, wie mühsam und zeitaufwändig allein das Durchzählen der Illustratoren mit ihren einzelnen Werken war. Im Katalog indes ist die Autorin um historische Vollständigkeit der Angaben bemüht, werden Lücken von 1973 durch neue Informationen ergänzt, wenngleich immer in dem Bewusstsein, dass umfassende Vollständigkeit eine Illusion ist. Deshalb erübrigten sich genauere Angaben im zweiten Kapitel (Ranking), in dem es nur um die zeitliche Reihenfolge und die Zahl der Illustratoren zu einem Werk Hoffmanns ging. Das kann Herrn Schulte eigentlich nicht entgangen sein.
Es trifft auch zu, dass eine gründliche inhaltliche Darstellung zu Hoffmanns Nachtstück Der Sandmann fehlt. Da es aber hierzu bereits eine Fülle von divergierenden Interpretationen gibt und es längst mit Handreichungen zur Schullektüre gehört, meinte ich anfangs, darauf verzichten zu können. Später wollte ich diese dann doch noch ergänzen, was aber aus Versehen unterblieben ist. Mein Buch bietet jedoch gerade zum Sandmann so viele Illustrationsbeispiele, dass auch auf diese Weise Inhalte und unterschiedliche Deutungen sichtbar werden.
Weder mein Buch von 1976/78 noch das neue von 2024 sind bloße Kataloge, sondern Bände mit integriertem Katalog. Ist das eine beabsichtigte Disqualifizierung? Fast 300 Seiten im neuen Band zur E.T.A. Hoffmann-Illustration gelten der Bildanalyse und dem Illustrationsvergleich. Kaum anders verhält es sich im ersten Band, in dem das Vorgehen zunächst (erste Hälfte) kunsthistorisch bestimmt ist, begleitet von Kapiteln zu einzelnen, herausragenden Künstlern, wie z.B. Carl Blechen, Hugo Steiner-Prag und Paul Klee.
Dass eine Auswahl unter den über 900 Illustratoren und angesichts „der Fülle der Illustrationen“ getroffen werde musste und Wertung impliziert, räumt Schulte zwar ein, aber ihm ist das Auswahlprinzip zu undurchsichtig und subjektiv, so, als entwerfe die Autorin „emphatisch ihre eigene Identität der Werke Hoffmanns“. Dann nennt er Künstler, die unbedingt hätten berücksichtigt werden müssen, wie z.B. Hugo Steiner-Prag. Nur sind kongenialen früheren Hoffmann-Illustratoren wie Steiner-Prag, Carl Blechen, Eugène Delacoix, Paul Gavarni, Paul Klee, Karl Georg Hemmerich bereits in meinem ersten Buch eigene Kapitel gewidmet! In Anmerkungen des neuen Buches wird darauf auch verwiesen. Selbst auf die entsprechenden Abbildungen. Das scheint Schulte entgangen zu sein.
Der neue Band zur Hoffmann-Illustration sollte vor allem die Illustrationen der letzten fünfzig Jahre erfassen. Ältere Arbeiten wurden nur zum Vergleich herangezogen, wenn sie im ersten Buch nicht im Abbildungsteil vorkamen oder damals (1973) mir noch nicht bekannt waren, aber als herausragend erkannt wurden (Arbeiten von Gustave Doré und Hemmerich z.B.). Mir wie der Chemnitzer Hochschullehrer Uwe Hentschel angesichts der präsentierten Fülle der Illustrationen, dem „Meer der Illustrationen“ nach Schulte, eine hobbyistische Sammlerleidenschaft fernab wissenschaftlichen Vorgehens zu unterstellen, ist schlichtweg böswillig. Dass Hentschel wie Schulte mir dann noch die durch und durch fehlerhafte Dissertation des Inders Sahib Kapoor „E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann (1816) und seine Darstellung in expressionistischen Buchillustrationen“ als vorbildlich empfehlen, die nicht einmal als Masterarbeit durchkäme, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Keiner der beiden Rezensenten wird dieses Buch wirklich kennen oder gelesen haben. Das wäre nur peinlich. Wissenschaftliche Glaubwürdigkeit? Fehlanzeige.
Dass Hörspiele und Hörbücher zu E.T.A. Hoffmann als neueste Zeugnisse interessanter Illustrationen auch noch zu meiner Arbeit gehört hätten, nehme ich als Anregung gern zur Kenntnis und überlasse deren Analyse jüngeren Hoffmann-Forschern. Im Übrigen habe ich ein Hörbuch zu E.T.A. Hoffmanns Erzählung Die Automate mit den Illustrationen von David von Bassewitz vorgestellt und ferner etliche Comics mit Zeichnungen von Dino Battaglia, Andrea Grossi Ciponte, Vitali Konstantinov, Alexandra Kardinar und Volker Schlecht – alles bemerkenswerte Illustrationen zu Werken Hoffmanns wie Der Sandmann, Die Automate, Das Fräulein von Scuderi, Vampyrismus, wenn diese ‚persönliche Wertung‘ erlaubt ist. Die Vielseitigkeit meiner Darstellung zur E.T.A. Hoffmann-Illustration dürfte wohl kaum infrage werden. Für weitere Forschungen zu diesem Themenbereich bleibt also Raum genug.
Im Übrigen: Auswahl bedeutet immer Wertung, auch persönliche und mit entsprechenden Attributen. Das ist anhand gängiger kunstgeschichtlicher Veröffentlichungen leicht zu verifizieren. Oft befinden sich Prädikate dieser Art bereits im Titel, wie z.B. bei Iris Berndt / Helmut Börsch-Supan: Carl Blechen. Innenansichten eines Genies. Nachprüfbar ist jedoch, dass in erster Linie Künstler ausgewählt wurden, die sich überregional als Hoffmann-Illustratoren einen Namen gemacht haben, wie z.B. Alexej Borutscheff, Fritz Fischer, Josef Hegenbarth, Nika Goltz, Bernard Schultze, Horst Janssen, Steffen Faust, Stephan Klenner-Otto, Rainer Ehrt, Johannes Häfner, Wolfgang Held, Hans Günter Ludwig, Michael Blümel, Lisbeth Zwerger, Friedrich Hechelmann, Uwe Bremer (unter anderen). Natürlich galt es auch, unbekanntere Künstler zu ‚entdecken‘, deren Arbeiten durch besondere Qualität auffielen. Das gehört zum Geschäft des Kunsthistorikers, sich auch auf unbearbeitetes Terrain zu wagen. Gerade dies, so dachte ich eigentlich, würde diesen neuen Band zur Hoffmann-Illustration, spannend‘ machen und mich als deren Kenner ausweisen.
Unzutreffend ist auch, dass der neue Band zur Hoffmann-Illustration vor allem die Buchillustration im Auge hat. Im Gegenteil! Über die Hälfte der Illustrationen aus dem Abbildungsteil sind freie Arbeiten! Ihnen galt mein besonderes Interesse und dies ist durch zahlreiche Hinweise im Buch selbst zu überprüfen.
Elke Riemer-Buddecke
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