Leserbriefe zur Rezension

Thomas Mann – ein politischer Aktivist?

Über eine Studie von Kai Sina

Von Günther Rüther


Karl-Josef Müller schrieb uns am 07.02.2025
Thema: Günther Rüther: Thomas Mann – ein politischer Aktivist?

Es geht um folgende Passage:
"der im Ersten Weltkrieg mit seinen Kriegsschriften seine Solidarität mit dem Kaiser bezeugte, der verspätete Republikaner, der entschiedene Antifaschist, der dennoch zögerte, sich endgültig Mitte der dreißiger Jahre von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft abzuwenden,"
Was genau ist mit der Formulierung "der dennoch zögerte, sich endgültig Mitte der dreißiger Jahre von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft abzuwenden," gemeint? Nun bin ich kein Fachmann in Sachen Thomas-Mann-Biografie, aber eine solche Bemerkung sollte genauer belegt werden.
Weiterhin die Frage, ob folgender 'Vergleich' nicht historisch vollkommen unangemessen ist:
"Ich jedenfalls reagierte zunächst ablehnend. Mich erinnert das Wort politischer Aktivist zu allererst an Umwelt- und Friedensaktivsten, an die ebenso mutigen wie radikalen Männer und Frauen von Greenpeace und anderen verwegenen Protestgruppen." Kann man Aktivisten, welcher Art auch immer, die in der Bundesrepublik Deutschland ihrem Protest nachgehen, wirklich vergleichen mit einem wie auch immer gearteten Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Da kann ich nur sagen, dass ich darauf in ganzer Linie ablehnend reagiere.


Günther Rüther schrieb uns am 24.02.2025 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Günther Rüther: Thomas Mann – ein politischer Aktivist?

Für das Interesse an dem von mir rezensierten Buch von Kai Sina danke ich. Der Rahmen einer Rezension ließ es leider nicht zu, die von Ihnen angesprochene Frage aufzugreifen und zu vertiefen. Dies hole ich hier gerne in dem gebotenen Rahmen nach.
Die erste Phase des Exils von Thomas Mann zwischen 1933 und 1936 hätte gewiss eine vertiefte Betrachtung verdient, denn sie war von einer kaum nachvollziehbaren öffentlichen Zurückhaltung gegenüber dem Nazi-Regime geprägt. Während sein Bruder Heinrich schon im ersten Jahr nach seiner Emigration eine flammende Bekenntnis-Schrift gegen die nationalsozialistische Schreckensherrschaft publizierte, der er den Titel „Der Haß“ gab, hüllte sich Thomas in Schweigen. Mitte der dreißiger Jahre verstärkte sich der Druck in seiner Familie auf ihn endlich auf die dunklen Verhältnisse in Deutschland zu reagieren so sehr, insbesondere sind hier seine Frau Katia und unter seinen Kindern Erika hervorzuheben, dass er ihm nachgab. Erika ging dabei sogar soweit, anzukündigen, sich von ihrem verehrten Vater abzuwenden. So entschied er sich nicht zuletzt auf familiären Druck hin Anfang 1936 und zum Jahreswechsel 1936/7 dazu, aus der selbst gewählten Reserve herauszutreten und der Öffentlichkeit seine Haltung zum NS-Regime kundzutun. Dabei handelte es sich zunächst um den sog. Korrodi-Brief, der Anfang Februar 1936 in der „Neuen Zürcher Zeitung“ erschien. Thomas Mann notierte dazu in seinem Tagebuch: „Ich bin mir der Tragweite des heute getan Schrittes bewußt. Ich habe nach drei Jahren des Zögerns mein Gewissen und meine feste Überzeugung sprechen lassen“.  Zum Jahreswechsel 1936/7 verschärfte er den Ton gegenüber den Machthabern in Berlin, nachdem ihm die Bonner Universität die Ehrendoktorwürde aberkannt hatte und er von den Nazis ausgebürgert worden war. Die letzten Zeilen dieses Briefes an den Dekan der Uni-Bonn lauteten: „Gott helfe unserm Vaterland und mißbrauchten Lande und lehre es, seinen Frieden zu machen mit der Welt und mit sich selbst“! Der Brief wurde veröffentlicht und fand viele Leser. Damit war sein Verhältnis zum sog. „Dritten Reich“ endgültig öffentlich geklärt.
Nun zum zweiten Punkt.
Zu ihrem abschließend geäußerten Gedanken vermag ich in meiner Rezension keinen unmittelbaren Anknüpfungspunkt zu erkennen. Dennoch so viel. Das Wort „Widerstand“ kommt darin nicht vor. Auch liegt es mir fern, die Friedens- und Klimaaktivisten mit dem aktiven Widerstand zur Zeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gleichzusetzen. Vergleiche dürfen allerdings gezogen werden, etwa um auf Unterschiede zwischen den Aktivisten heute und den Widerstandkämpfern zwischen 1933 und 1945 aufmerksam zu machen, die ihr Leben riskierten. Allerdings spielt auch diese Betrachtung in meiner Rezension keine Rolle.