Leserbriefe zur Rezension

Regengeschichten

Gert Loschütz lässt die Dunkelmänner loslaufen und nicht ankommen

Von Walter Delabar


Martin Schönemann schrieb uns am 21.01.2022
Thema: Walter Delabar: Regengeschichten

Sehr geehrter Herr Delabar,
da muss ich doch einmal meinen Lieblingsroman in Schutz nehmen: Es geht in dem Buch keineswegs um nichts. Natürlich geht es um nichts rational, moralisch oder gar gesellschaftlich Fassbares. So etwas ließe sich ja auch besser essayistisch sagen – eine Textform, die der Autor durchaus auch beherrscht. Ein Roman darf fabulieren, wie es „Dunkle Gesellschaft“ tut, er darf Dinge unaufgeklärt oder im Vagen lassen, wenn er nur konsistent genug ist, den Leser im Fluss der Geschichte zu halten und zu eigenen Gedanken, eigenen Gefühlen anzuregen.
Und das tut der Roman: Die einzelnen Geschichten stehen eben nicht beziehungslos nebeneinander, sondern lassen immer verwandte Motive anklingen, wobei sich sogar eine allmähliche Entwicklung ausmachen lässt: Nicht zufällig tauchen die geheimnisvollen Dunklen zum ersten Mal auf, als sich der noch pubertierende Protagonist in einem Internat mit privaten Verwicklungen, mit seiner Ichfindung wie auch mit autoritären Machtverhältnissen auseinandersetzen muss. Damit ist das Grundthema gesetzt, die Verquickung privater Beziehungen und bedrückender gesellschaftlicher Umstände – es verwundert nicht, dass im Folgenden ein Schlafwagenschaffner aus den sowieso schon losen Kollegenbeziehungen herausgelöst und von den Dunklen in Nichts entführt wird, dass eine Stasi-und Ehegeschichte in der Katastrophe endet. In späteren Geschichten gibt es dann eine allmähliche Verschiebung hin zum Privaten, auch zum Sexuellen. Es endet damit, dass die Geliebte des Protagonisten, nachdem alle Wasser übergeflossen sind, mit ihrem Ehemann zu den Dunklen in den Bus steigt und alle zusammen endlich verschwinden. „Lose in der Luft“ hängt dieses Ende ebensowenig wie der Anfang – hier wird eine Geschichte folgerichtig bis zu ihrem Ende erzählt; die Erzähllogik ist dabei allerdings eine mentale, atmosphärische, keine, die einem faktisch nachvollziehbaren Plot folgen würde.
Das berühmte Atmosphärische, es ist eben kein bloßes Wabern, es kann so differenziert und klug sein wie ein ausgeklügelter Krimi-Plot. Das ist es, was mich an „Dunkle Gesellschaft“ auch bei wiederholtem Lesen begeistert.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Schönemann