Leserbriefe zur Rezension

Natur, Nerven und Pollutionen - oder: Trug Max Weber tatsächlich ein Hodenkorsett?

Joachim Radkau verfasst die ultimative BIO-Grafie Max Webers

Von Dirk Kaesler


Prof. Judith T. Marcus schrieb uns am 28.01.2006
Thema: Dirk Kaesler: Natur, Nerven und Pollutionen - oder: Trug Max Weber tatsächlich ein Hodenkorsett?

Endlich konnte man eine eingehende und hoechst zutreffende Kritik der sog. "Biographie" Max Webers lesen. Als eine amerikanische Soziologin, die hauptsaechtlich die Entstehung und Hauptwerke der Klassiker der Sozialwissenschaftlerm lehrt (und sogar in originellen Sprachen liest), war ich an dieser "Biographie" Radkauers interessiert; allerdings, auch ein teilweiliges Lesen brachte nichts als einer Art Entsetzen. Der Grund: Man kann auch einem deutschen Wissenschaftler nicht mehr trauen! Was Radkauer lieferte erhuellte sich als eine Nachahmung der eigenart vieler amerikanischen Pseudo-Biographien, die nicht auf Aufklaerung der Sache sondern auf Verkaufszahlen schielen, und eine Art Sexual-geschichte niedriger Art liefern. Vielleicht kann man das Buch als Lehrmaterial im Klassenzimmer benutzen, wie man keine Historie schreiben sollte.


Reinhard Ueberhorst schrieb uns am 05.02.2006
Thema: Dirk Kaesler: Natur, Nerven und Pollutionen - oder: Trug Max Weber tatsächlich ein Hodenkorsett?

Wie kommt der Rezensent zu der These, daß der Autor Joachim Radkau seiner Frau "rückblickend dafür dankt, dass sie "zwischendurch voller Identifikation in Frauenrollen der Weber-Szene schlüpfte" " - darf/möchte Herr Kaesler unkorrekt zitieren oder ist das nur eine Flüchtigkeit?
MfG Reinhard Ueberhorst


Georg Sieber schrieb uns am 06.02.2006
Thema: Dirk Kaesler: Natur, Nerven und Pollutionen - oder: Trug Max Weber tatsächlich ein Hodenkorsett?

Radkaus sexual-biografischer Versuch über Max Weber

Die Geschichte der O. oder der Josefine Mutzenbacher sind bewährte Regalfeger der erotischen Literatur. Der Aufklärer Oswald Kolle („Dein Mann - das unbekannte Wesen“) stellte deren Umsätze glatt in den Schatten - allerdings nur für kurze Zeit, denn sexuelle Belehrung kann auf Dauer weder Literatur noch Erotik ersetzen.
Nahebei hat sich nun der Historiker Joachim Radkau mit seinem biografischen Versuch über Max Weber auf die vorderen Plätze der Hitlisten des Buchhandels geschwungen. Er kombiniert eine frei im Raum schwebende, psychiatrielastige, laienpsychologische Symptomliste sexueller Phänomene mit dem prominenten Namen Max Weber samt zugehörigem Werkskatalog. Leider bietet er weder Erotik noch Aufklärung, sondern beschränkt sich darauf, überaus pedantisch und redundant banale Sexualfunktionen aufzuzählen, die er dann mit hanebüchenen pseudotherapeutischen Spekulationen dramatisiert. Diese erklären natürlich weder das ebenfalls ausführlich vorgestellte Werk noch die zitierten Lebensstationen des so Portraitierten. Sie erlauben eigentlich nur den Schluss, dass Max Weber ein wohl eher durchschnittlicher heterosexueller Mann seiner Epoche gewesen sein müsse, der andererseits großer und viel beachteter Gedanken fähig war. Beides wurde indessen Im Falle Max Webers bisher kaum bestritten. J. Radkaus Eifer ist daher nicht recht verständlich.
Ärgerlich jedoch ist für den Psychologen die Unverfrorenheit des Historikers, sich als gewiefter Psychodiagnostiker anzubiedern, völlig normale Lebensäußerungen ins Zwielicht zu rücken und verkaufsförderlich schließlich den ganzen Max Weber zu klinifizieren, der sich dagegen nicht zur Wehr setzen kann. Immerhin hat der psychologisch dilettierende Autor J. Radkau eine serien- und sogar drehbuchfähige Konstruktion zustande gebracht, mit der man gewiss auch anderen großen Namen – warum nicht etwa einer Auswahl von Nobelpreisträgern? – rasch beikommen könnte. Angesichts des buchhändlerischen Verfallsdatums möchte man Radkau dann aber empfehlen, statt fetter 1.000 Seiten pro Fall doch lieber fünf Fälle zu je 240 Seiten auf den Markt zu werfen. Dazu würde es genügen, die jeweilige Lebensleistung der Betroffenen zu einer kalendarischen Kulisse einzudampfen, vor der er dann umso freier die sexuellen Reflexe und Reaktionen seiner Opfer psychoanalysieren könnte.

04.02.06 Dipl.Psych. Georg Sieber


Dirk Kaesler schrieb uns am 06.02.2006
Thema: Dirk Kaesler: Natur, Nerven und Pollutionen - oder: Trug Max Weber tatsächlich ein Hodenkorsett?

Wo Leser Ueberhorst Recht hat, hat er Recht:

Die Sorge um die zu große "Identifikation" mit Max Weber war die des Biographen selbst, vor dem die Gemahlin voller "Intuition" in die Frauenrollen der Weber-Szene "schlüpfte".

Was für eine schöne Vorstellung: Weber-Spiele unterhalb des Teutoburger Waldes!

Mit großem Dank fürs genaue Lesen - immerhin, auch Reinhard Ueberhorst schaffte es bis auf die letzte Seite - und freundlichen Grüßen,
Dirk Kaesler


Reinhard Ueberhorst schrieb uns am 21.03.2006
Thema: Dirk Kaesler: Natur, Nerven und Pollutionen - oder: Trug Max Weber tatsächlich ein Hodenkorsett?

Dirk Kaesler und das "genaue Lesen" /Leserbrief 06.02.2006

Meinen Hinweis auf sein falsches Zitat aus dem Radkau-Buch beantwortet Herr Kaesler mit einem "großen Dank fürs genaue Lesen". Wo sind wir, wenn ein schlichtes genaues Lesen schon einen "großen Dank" erfährt? Und warum muß ich mir, wenn ich das Buch schlicht ganz gelesen habe - sagen lassen "immerhin, auch Reinhard Ueberhorst schaffte es bis auf die letzte Seite"? Warum "schaffte"? Dass Herr Kaesler sich mit seiner Lektüre des Buches schwer getan hat, zeigt seine Rezension, die schlicht an der Vielfalt der Themen des Buches vorbeigeht und uns eine kleine Schlüssellochperspektive zumutet.Was Kaeslers Kritik von Seibts, Hübingers und anderen g u t e n Kritiken des Radkaubuches unterscheidet, ist seine Unfähigkeit (oder gar die fehlende Bereitschaft?), die Vielfalt der Themen und Argumente des Buches von Radkau wahrzunehmen. Wer das Buch mit Augen für diese Vielfalt gelesen hat, kann mit dem kleinen Karo der Kaeslerkritik wenig anfangen.Ein Lesevergnügen wird durch diese Kritik aber nicht nachträglich beeinträchtigt.
Reinhard Ueberhorst