Leserbriefe zur Rezension

Freud und sein Jahrhundert

Neuerscheinungen zu seinem 150. Geburtstag

Von Ludger Lütkehaus


Dr. Eva Weissweiler schrieb uns am 15.04.2006
Thema: Ludger Lütkehaus: Freud und sein Jahrhundert

Hallo, Herr Lütkehaus,

ich finde es psychoanalytisch hochinteressant, wie einer Gruppe kleinbürgerlich-orthodoxer, vornehmlich männlicher Freudianer der sprichwörtliche Schaum vor dem Mund steht, wenn jemand es wagt, Kritik am heiligen Guru zu üben.
Wird der Wert von Freuds größtenteils genialem Lebenswerk etwa dadurch gemindert, wenn man - oder frau - sich den Nachweis erlaubt, daß er - wie wir alle - Theorie und Praxis nicht immer in Einklang zu bringen vermochte? Daß der Befreier und Theoretiker der Sexualität ein - man höre und staune - eigenes Sexualleben hatte, das vielleicht manchmal vom Pfad bourgeoiser Tugendhaftigkeit fingerbreit abwich? Daß er ein Mensch mit Licht- und Schattenseiten war, mit Abgründen und unbewältigen Konflikten, eine letztlich tragische, aber deshalb nicht weniger bedeutende Persönlichkeit?
Würden Sie, Herr Lütkehaus, es schön finden, wenn Ihr Vater seinen Freunden und Kollegen ausführlich über Ihre angeblichen analen Zwangsneurosen berichtete, so wie Freud es mit seinem Sohn Oliver gemacht hat? Wenn er Ihre Frau als "klinisch meschugge" bezeichnete, so Freud wörtlich über seine Schwiegertochter Esti, eine später bedeutende Professorin für Sprachheilkunde in den USA? Wenn jemand seiner Schwester, deren Tochter sich gerade umgebracht hat, nur zu schreiben wüßte: "Sie war wirklich unmöglich?"
Wo ist, Herr Lütkehaus, Ihr "Beweis", daß diese Aussagen nicht stimmen? Haben Sie die von mir zitierten unveröffentlichten Briefe aus London und Washington selbst überprüft oder argumentieren Sie nur aus dem Unterbauch?
Verzeihung, aber mit kommt Ihr Artikel - von seiner Verkürztheit und Oberflächlichkeit abgesehen - wie in Rezensionsform gebrachte Kastrationsangst vor.
Wäre ich ein Mann, hätten Sie mir vielleicht zugestanden, dies alles gesagt, einige von der Freud-Biographik konsequent ignorierte Mitglieder dieser Familie aus dem Schatten des Meisters herausgeholt und mit ihren furchtbaren Schicksalen beschrieben zu haben.
Zum Glück gibt es auch viele andere Stimmen über mein Buch, die sich nicht nur von neurotischer Verblendung leiten lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Eva Weissweiler


Oliver Pfohlmann schrieb uns am 15.05.2006
Thema: Ludger Lütkehaus: Freud und sein Jahrhundert

Nachdem ich den Leserbrief von Frau Weissweiler gelesen habe, möchte ich auf eine der von ihr beschworenen anderen Stimmen verweisen. Es handelt sich um eine Besprechung ihres Buches im Deutschlandradio
Freud als kalter Despot
geschrieben übrigens von einer Frau; Heidemarie Schuhmacher (Schumacher?). Sie weist auf ein weiteres grundsätzliches Problem dieses Buches hin, nämlich auf welche Weise dem Leser hier mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten Scheinbelege serviert werden.