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Autoren : Freud, Sigmund

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Sigmund Freud, geb. am 6. Mai 1856 als Sohn jüdischer Eltern in Freiberg (Mähren), gest. am 23. September 1939 in London, zog im Jahr 1860 mit seiner Familie vom Land in die Metropole – in die Stadt jener Moderne, zu deren Entfaltung er selbst wesentlich beitrug. Die geistige Atmosphäre der ‚Wiener Moderne’, die vor allem von Kunst, Literatur und Philosophie getragen wurde, gab den Nährboden ab für die „Revolution der Psychoanalyse“, die sich den konservativ-klerikalen Strömungen, dem fanatischen Nationalismus ebenso wie dem Judenhass der damaligen Zeit mutig entgegenstellte. Es war gerade die Gegensätzlichkeit Wiens zwischen fortschrittlichem Liberalismus (der den Juden volle Bürgerrechte gewährte) und geistiger Repression, die Freuds Produktivität antrieb. „Wenn ich die höheren Mächte nicht beugen kann, werde ich die Unterwelt aufwühlen“: Dieses Vergilzitat, als Motto der Traumdeutung (1900) vorangestellt, steht für Freuds unbeugsamen Willen zum Wissen, mit dem er die psychologischen und anthropologischen Gewissheiten seiner Zeit erschütterte.
Freud studierte Medizin, bekam als glänzender Student eine wissenschaftliche Anstellung in einem physiologischen Labor (bei Ernst Brücke), schrieb seine Promotion (1881) und Habilitation (1885). Die Kontakte mit Jean-Martin Charcot in Paris und mit Josef Breuer in Wien führten zu den Hysteriestudien, dem Ursprungstext der Psychoanalyse (sie wurden als erste Abhandlung der Psychoanalyse von Breuer und Freud im Jahr 1895 veröffentlicht). Die erhoffte Professur an der Wiener Universität blieb ihm bis an sein Lebensende versagt. Dazu waren seine Ideen zu unzeitgemäß und der Antisemitismus, der seit dem Börsenkrach von 1873 neue Nahrung erhalten hatte, zu mächtig. Freud eröffnete eine nervenärztliche Praxis, die ihm den Lebensunterhalt sicherte. Zugleich war sie die Erkenntnisquelle vieler seiner Schriften, in denen er sich immer mehr aus dem Bannkreis der Medizin entfernte und, ausgehend von dem Begriff des ‚Unbewussten’, eine neue kritische Theorie des Menschen entwarf, die er am Modell des ‚psychischen Apparats’ konkretisierte: Das Unbewusste, das psychische Produktionen oft sinnlos erscheinen ließ, erwies sich nicht nur als Triebkraft ‚kranker’ Verhaltensweisen, sondern der menschlichen Psyche überhaupt. Die Einsicht, dass „das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“, bezeichnete Freud als dritte schwere Kränkung, die – nach Kopernikus und Darwin – die Wissenschaft dem Menschen zugefügt habe. Mit der Traumdeutung (1900) und den Schriften Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1901) und Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905) begründete er eine neue Verstehenslehre, die die (unbewusste) Dynamik des Seelenlebens und dessen Kompromissbildungen zu begreifen versuchte. Diese Theorien ergänzte Freud immer wieder in kulturtheoretischen Schriften, die den Ursprung und die Entstehung von Kultur – und deren mögliches Scheitern – kritisch reflektierten.
Das Jahr 1910 markierte einen ersten Höhepunkt der psychoanalytischen Bewegung: Unter Mithilfe Freuds wurde in Nürnberg die Internationale Psychoanalytische Vereinigung gegründet. Damit war die Wissenschaft vom Unbewussten auch institutionell etabliert. Freud kämpfte von Anfang an darum, das Anwendungsspektrum dieser Grundlagenwissenschaft nach möglichst vielen Seiten hin auszuweiten: Die medizinisch-therapeutische Praxis war für ihn nur eine Umsetzungsmöglichkeit unter anderen; außerklinische Anwendungen im Bereich der Literatur, bildenden Kunst, Religionswissenschaft, Mythenforschung, Ethnologie und Soziologie erachtete er von vornherein als der medizinisch-therapeutischen ebenbürtig.
1938 emigrierte Freud, immer mehr bedroht durch den Nationalsozialismus, nach London, wo er etwa ein Jahr später, am 23. September 1939, starb. So blieb ihm das Schicksal von vier seiner Schwestern erspart, die in Konzentrationslagern ums Leben kamen.

Auszug aus Joachim Pfeiffer: Sigmund Freud. Ein Klassiker der Literaturtheorie. In: literaturkritik.de 1/20011.

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Aktualisiert am 2011-01-16 19:22:54
 
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