Balsam für die Kartoffelseele

"Küche totalitär - das Kochbuch des Sozialismus": Leichtverdauliches aus dem Hause Kaminer

Von Stefan MeschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Mesch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kochbücher sind kein gutes Zeichen für eine Promi-Karriere. Wer seinen Namen erst einmal für eine Rezeptesammlung zur Verfügung gestellt hat, der ist zu allem fähig: Er wird Anti-Falten-Cremes und Unterwäschekollektionen lizensieren, CDs mit Techno-Pop für Kinder und DVDs mit Pilates-Übungen für Hunde herausbringen, und dann geht's ins Dschungelcamp, zum Frauentausch, zur Wok-WM. Mit Kochen haben solche Publikationen nur am Rande etwas zu tun. Sie müssen Karrieren retten, die eigentlich schon vorbei sind. "Mit 50plus fängt das Leben erst an!", säuseln zum Beispiel die grobkörnigen Schwarzweiß-Pin-Ups in Gudrun Landgrebes "Vom Aufgabeln und Anbeißen". "Nach Dieter Bohlen fängt das Leben erst an!", flöten die quietschbunten Schnappschüsse aus "Naddel kocht - verführerisch gut!". Wenn ein Star nirgendwo mehr hinpasst, dann muss er sich in viele neue, möglichst banale Lebensbereiche einspeisen: Kochen wie Naddel. Grillen wie George Foreman. Würzen wie Paul Newman. Vögeln wie Kim Catrall. "Wir sind einer von euch!", soll das heißen. Und, noch besser: "Du bist einer von uns!"

Das ist die Tradition, in der auch "Küche totalitär - das Kochbuch des Sozialismus" steht. Das Buch ist keine Abhandlung der Esskultur in der Sowjetunion, sondern ein Freundschaftsangebot. Wladimir Kaminer und seine Ehefrau Olga präsentieren Rezepte aus zehn ehemaligen Sowjet-Republiken (Armenien, Weißrussland, Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, Sibirien, Usbekistan, Lettland, Tatarstan und Südrussland): fünf bis sieben Gerichte pro Republik, jeweils Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch. Ab und zu auch Suppe oder Salat. Die Gerichte kommen mit wenigen, recht konventionellen Zutaten aus (viel Fleisch, viele Kartoffeln). Sie sind einfach - wenn auch nicht immer schnell - zuzubereiten. Und in der Regel sehr deftig und fettig. Was ihnen fehlt, ist das Überraschungsmoment, der kulturhistorische Zusammenhang. Meist wird einfach nur Fleisch angebraten und dann nochmal überbacken. Oder durch den Wolf gedreht, und dann paniert. Oder in Teigtaschen gesteckt, gekocht und dann mit anderem Fleisch garniert. Doch was diese Gerichte für Russland bedeuten, spart der Rezeptteil leider aus: Keines der Rezepte erzählt eine Geschichte.

In den Passagen des Buchs, die ohne die Hilfe seiner Gattin verfasst wurden - sprich: dem gesamten Rest - probiert sich Wladimir Kaminer dennoch ein wenig in Kulturgeschichte. Zu jeder Republik gibt es einen kurzen Einführungstext, der die politische Situation umreißt; ein paar Klischees und Anekdoten werden über die Einwohner präsentiert und (sehr, sehr marginal) wird die regionale Esskultur vorgestellt - alles in Kaminers gewohnt flapsig-lakonischem Stil: "In Weißrussland kauften Japan und die USA gerne Chemikalien ein, die sie für zu gefährlich hielten, um sie bei sich zu Hause zu produzieren. Darüber hinaus versorgten die weißrussischen Atomkraftwerke die halbe Sowjetunion mit Strom, die Kartoffeln wurden jedes Jahr größer, und die Bevölkerung strahlte."

Anschließend schildert Kaminer in etwas längeren Texten sein persönliches Verhältnis zur jeweiligen Republik. Eine Aneinanderreihung von Begegnungen und Gerüchten oder lustigen Sachen, die seinen Bekannten passiert sind. Nie so stark auf Pointe getrimmt, dass es albern klänge. Aber auch nicht verdichtet genug, um wirklich witzig zu sein. Einzig die Geschichte eines Armeegenossen, der sich Bratkartoffeln zubereitete, indem er Kartoffelscheiben mit Vaseline bestrich und dann stundenlang auf ein Bügeleisen legte, hat einen gewissen Erinnerungswert. Und die grundlose Begeisterung für Sibirien, die Kaminer bei den Deutschen immer wieder feststellen muss: "Sibirien hatte lange Zeit in der deutschen Geschichte eine geradezu mythische Rolle gespielt. Mal war es das Paradies und mal die Hölle. [...] Kein Volk der Welt hat eine dermaßen umfangreiche Literatur über Sibirien hervorgebracht wie die Deutschen. Allein der Schriftsteller Heinz Konsalik hat in den Sechziger- und Siebzigerjahren mehr über die Taiga geschrieben als der sowjetische Schriftstellerverband insgesamt." Anschließend erzählt Kaminer dann noch, dass Menschen in kalten Regionen größer und widerstandsfähiger werden und unheimlich große Portionen essen müssen, weshalb sibirische Nomaden auch sehr, sehr große Rentierherden brauchen, um es durch den Winter zu schaffen. Ohne Pointe geht es dann gleich weiter - in die nächste Republik.

"Alufolie hieß bei uns 'Silberpapier', und zu Kühen sagte man 'rauhfutterverzehrende Großvieheinheit'!", vor fünf Jahren genügte solches Ost-Wissen bereits, um ganze Bücher daraus zu schreiben. Wesentlich tiefer als die DDR-Memoirchen von Jana Hensel und Konsorten gehen auch die Sowjet-Berichte Wladimir Kaminers nicht: Vieles bewegt sich arg nah am Klischee. Und für den Nicht-Russland-Kenner entsteht der Verdacht, dass man ein vergleichbares "Die Küche Deutschlands"-Büchlein zusammenstellen könnte, indem man einfach ein Rudel Vierzehnjährige über Hessen oder Schleswig-Holstein plappern lässt, und diese Anekdoten anschließend mit 'typischen' Rezepten wie Saumagen, Eisbein oder Ratsherrentopf spickt. Die historischen Fakten bekäme man aus dem Internet. Und die autobiografischen Erlebnisse - nun gut. Wer von uns hat nicht in seiner Jugend unzählige Verrücktheiten mit Leuten aus dem Saarland getrieben? Oder allerlei Zwielichtiges über Niedersachsen aufgeschnappt?

Kurz, schmerzlos, und ohne ausgelutschte Essens-Analogien wie "Einheitsbrei" und "Sättigungsbeilage": "Küche totalitär" ist ein irrsinnig lustloses Buch. Es unterscheidet sich kaum von dem halben Dutzend anderer Publikationen, die Kaminer seit seinem Debüt "Russendisko" (2000) auf den Markt geschleudert hat. Der Moskauer, der 1990 mit seiner Frau nach Berlin zog, schreibt seit Jahren die selben Texte über seine skurrile Jugend in der Sowjetunion und sein nicht minder skurriles Familienleben auf der Schönhauser Allee. Mit einem dieser Texte, der "sehr langen Kurzgeschichte" "Militärmusik", hat Kaminer bewiesen, dass er durchaus etwas zu erzählen hat, und das auch gut kann. Wenn er will. Meist will er aber einfach nur vier, fünf Seiten lang um eine banale These kreisen, Gedanken wie "Kindermund tut Wahrheit kund!" oder "Nach dem Cluburlaub braucht man erst einmal Urlaub vom Cluburlaub!"

Irgend ein Dussel in den Feuilletons hat das mal fälschlicherweise als "Popliteratur" bezeichnet. Wahrscheinlich, weil Kaminer nebenher Tanzveranstaltungen organisiert, seine Buchcover stets bunt und seine Plaudereien stets gefällig sind. Doch wer mit solchen Maßstäben an dieses mittlerweile über 1000 Seiten umfassende Konvolut aus Kuschelkolumnen herantritt, für den müsste Ephraim Kishon so etwas wie Iron Maiden sein, und Else Stratmann der Inbegriff der verdorbenen Rockröhre: Wladimir Kaminer hat das Prinzip der Harmlosigkeit auf die Spitze getrieben. Er ist ein Großmeister des Alltags, der Hohepriester des Banalen. Ein Spießbürger, dessen Wohlfühltexte aus dem Multikulti-Mietshaus am Prenzlauer Berg so subversiv, politisch, verstörend, rockend und witzig sind wie eine durchschnittliche Episode von "Marienhof". Oder der Lifestyle-Teil aus "Meine Familie & ich".

Das mag jetzt sauertöpfisch klingen. Ist es aber nicht: Auch eine solche Methode ist schließlich legitim. Kaminer heizt kalten Kaffee auf Körpertemperatur hoch, und allen schmeckt's. Er hält Deutschland einen Spiegel vor, und keiner fühlt sich verkannt. Zu sagen hat er nichts. Aber er sagt es nett. Unglaublich nett! Wladimir Kaminer ist der netteste Kolumnist auf der ganzen Welt! Und das Beste: Er ist einer von uns! Als ein befreundeter Armenier darüber lamentiert, dass die Germanen unbedingt die Römer in die Flucht schlagen mussten, statt sich (auch kulinarisch) ins Großreich zu integrieren ["Und was haben sie jetzt davon? Döner Kebap!"], befiehlt Kaminer sofort: "Hände weg von der deutschen Kultur, die so unaufdringlich ist."

"Unaufdringlich", in der Tat. Darin ist er gut, der lustige Russe. Und deshalb verzeiht man ihm auch seine "alle drei Sätze ein kleiner, braver Kalauer!"-Lesebühnen-Mätzchen. Und seine "Russendisko"-T-Shirt-Kollektion. Und seine Musiksampler. Und den selbstgesungenen "Biene Maja"-Klingelton, den man auf der offiziellen Website herunterladen kann. Aber jetzt, nach "Küche totalitär", ist dann bitte auch mal wieder gut! Wozu denn noch den Eindruck erwecken, hier fände eine Entwicklung statt? Warum nicht einfach einen Zyklus ausrufen, "Allerlei Nettes zum Kurz-drüber-Schmunzeln und Sofort-wieder-Vergessen"? Und jedes neue Buch dann schlicht mit einer neuen Nummer versehen, statt einem Pseudo-Titel und einem Pseudo-Konzept! Wladimir Kaminer hat keine als Kochbücher verkleideten Kolumnensammlungen nötig, um Publikumsnähe zu suggerieren: Er ist einer von uns. Sein Kosmos erstreckt sich zwischen "Zuhause ist es doch am Schönsten!" und "Home is where the heart is!" und "Man sieht nur mit dem Herzen gut!" Und der Kommunismus war ziemlich krass, das stimmt. Aber die Gegenwart ist auch nicht ohne, irgendwie. Und trotzdem gibt es immer was zu Lachen. Oder wenigstens was zu Trinken. Und Familie ist auch wichtig. Und eigentlich ist es hier doch nicht schlecht. Eigentlich ist es hier sogar schön. Ja, eigentlich ist das alles doch sehr, sehr schön.


Titelbild

Wladimir Kaminer: Küche totalitär. Das Kochbuch des Sozialismus.
Manhattan Verlag, München 2006.
224 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3442546109

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