Der Teufel steckt im Prozessualen

Peter Paul Schnierers diabolisch-dämonische Fingerübungen

Von Rita Unfer LukoschikRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rita Unfer Lukoschik

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Uferlos ist die Bibliografie der motiv- und stoffgeschichtlichen Studien zum Diabolischen, das Peter Paul Schnierer zum Gegenstand seiner Untersuchung macht, galt es doch schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als publizistisches Lieblingsthema. Zunächst begegnet man der vorliegenden Studie mit einer Mischung aus Respekt und Missmut: Respekt für den unerschrockenen Mut ihres Verfassers, sich wissenschaftlich in diesem Feld mit einem nicht gerade dickleibigen Buch zu betätigen; Missmut, da man die Arbeit in Verdacht hat, eine der vielen Modererscheinungen einer literarisch-kritischen Renaissance des Bösen in der Gestalt des Teufels und seiner Adlati zu sein. Das Spektrum reicht von den mittlerweile recht üppig ausgestatteten, obgleich inhaltlich eigenwilligen Sites im Web bis zur Ringvorlesung „für interessierte Bürger“, die im WS 2005/2006 an der Freien Universität Berlin veranstaltet wurde, bei den Theologen, Religions-, Medien-, Geschichts-, Literatur- und Kulturwissenschaftler „verschiedene Modelle der Teufelsfigur“ vorstellten und die „Stationen seiner Karriere“ durch die Kulturgeschichte Europas im Laufe der Jahrhunderte behandelten.

Schnierers Untersuchung aber, das sei gleich gesagt, ist eine originelle, anregende und ertragreiche Arbeit, die sich selbstbewusst und entschieden einem uralten Thema unter intelligent gewählten neuen methodologischen Ansätzen nähert. Aus der Beschäftigung mit dem Bösen in Teufelsgestalt wird eine Untersuchung der literarischen Dämonisierung und der Verteufelung der ein diabolisches Thema behandelnden Autoren in der englischen (wohl vielleicht besser: englischsprachigen?) Literatur seit der Renaissance.

Aus der kaum zu überblickenden Materialfülle, die der gewählte, überaus breit angelegte zeitliche Rahmen bietet, struktuiert Schnierer die in chronologischer Ordnung präsentierten Texte anhand der Frage „wer verteufelt wen auf welche Weise zu welchem Ende“, die dem Leser als Ariadnefaden im breit verzweigten stofflich-motivischen Irrgarten des Diabolischen von der Renaissance bis fast an die unmittelbare Gegenwart dienen soll. Warum, fragt man sich nunmehr mit Schnierer, wird immer (noch) der Teufel (mit Erfolg) bemüht, um Autoren wie Rushdie abzuwerten? Wer oder Was wird „aufgewertet, wenn Diabolisierung zur Abwertung funktionalisiert wird und umgekehrt?“

Schon intensiv untersuchte und diskutierte Texte wie unter anderem Marlowes und Shakespeares Dramen sowie William Blakes „Jerusalem“ werden nunmehr herangezogen, Shelleys und Byrons „Experimenteller Satanismus“ aber auch „neue Dämonologien“ mit Norman Camerons und W. H. Audens „Poems“, die fast populär zu nennenden „Teufelsromane“ Williams Goldings und Joseph Conrads „Heart of Darkness“ – aber auch Autoren wie Alister Crowley und Salman Rushdie sowie „satanische“ Texte von Rockgruppen wie „Judas Priest“ oder gar den Rolling Stones. Die Auswahl wirkt zunächst etwas verwirrend und nicht wenig befremdlich, doch leuchtet sie unmittelbar ein, sobald man den Ansatz des Verfassers nachvollzieht. Unter Berücksichtigung methodologischer Ansätze aus den postkolonialen Studien und Jean Baudrillards Theorem des Simulakrums (in: „The Evil Demon of Images“, 1987), kann er dem Vielbehandelten neue Aspekte abgewinnen – nicht zuletzt, indem er die Dynamik des Dämonischen und seine Subversivität aufzeigt. Dankenswerterweise darauf verzichtend, einen erneuten Beitrag zur modischen Strömung der alteritäts- bzw. mentalitätsgeschichtlichen Studien zu liefern, betrachtet Schnierer sein Material unter dem Gesichtspunkt seiner Prozessualität, und es gelingt ihm dadurch, scheinbar Inkommensurables überzeugend mit einander zu verbinden.

Die Dynamisierung der Begrifflichkeit – vom Diabolischen zur Diabolisierung – die der Verfasser einführt, ermöglicht es in der Tat, unterschiedlichste Autoren aus unterschiedlichsten Zeiten, die Gottloses bzw. Diabolisch-Satanisches zum Gegenstand ihrer Dichtung mach(t)en, als Dichter in einen gemeinsamen, fruchtbaren Dialog treten zu lassen. Gemeinsam ist diesen Autoren zudem, dass sie nicht mehr (nur) Teuflisches zum Gegenstand ihrer Werke machen, sondern selbst zum Gegenstand eines Prozesses der Dämonisierung und Verteufelung durch die jeweilige Öffentlichkeit werden – ein Vorgang der bedauerlicherweise überzeitlich und ‚grenzenlos‘ bei Grenzüberschreitenden aller Epochen und kultureller Landschaften anzutreffen ist. Durch die Berücksichtigung „dieser stärksten Waffen der ‚character assassination‘“, wie sie Schnierer mit Nieves Mathews nennt, ist es nunmehr statthaft, Marlowe und Rushdie miteinander in einer ideellen Linie zu verbinden oder den „Satansrocker“ mit Milton zu vereinbaren.

Auf die letztlich zu stellende Gretchenfrage kann man also nur antworten: Das Buch von Schnierer? – Eine verteufelt anregende Angelegenheit, die unbedingt nach Filiationen in Bezug auf Erscheinungen der Literatur und Kultur anderer kultureller Konkretionen und Epochen verlangt.

Titelbild

Peter Paul Schnierer: Entdämonisierung und Verteufelung. Studien zur Darstellungs- und Funktionsgeschichte des Diabolischen in der englischen Literatur seit der Renaissance.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005.
281 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 3484450371

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