Dem Lebensende ein Schnippchen geschlagen

Eine neue Veröffentlichung verdeutlicht den anhaltenden Einfluss des verstorbenen Dieter Roth - unter anderem vertont mit isländischen Musikern

Von Christian WerthschulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Werthschulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer den Kölner A-Musik Laden betritt, wird dort auf ein Unikum der Schallplattenkategorisierung stoßen. "Künstlerplatten" steht mit Edding über einem schmalen Fach geschrieben, das Tonveröffentlichungen aus dem Umkreis der "Jungen Wilden" um Albert Oehlen oder amerikanischer Künstler wie Stephen Prina, Mayo Thompson oder dem omnipräsenten Mike Kelley zusammenfasst. Gemeinsam ist ihnen eine verzweigte Karriere, die beständig zwischen den Polen bildender Kunst und Popmusik wechselt und sich aufgrund theoretischer Einsichten weder für das eine noch das andere entscheiden mag. Auch Dieter Roth hat sich hier einen Platz gesichert. 1973 nahm er für die Reihe "Selten gehörte Musik", die er zusammen mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm herausgab, das Doppelalbum "Novembersymphonie" auf. Doch leider sollte dies das einzige Tondokument des Schweizer Tausendsassas bleiben, der zwar mit seinen Gemälden bekannt wurde, dessen Interesse jedoch in erster Linie der schriftstellerischen Arbeit galt.

Nachdem der Suhrkamp Verlag bereits im letzten Jahr mit der von Johannes Ullmaier herausgegebenen Anthologie "Da drinnen vor dem Auge" einige der in Sammlerkreisen mit fünfstelligen Eurosummen gehandelten Prosa- und Lyrikstücke Roths einem breiteren Publikum nicht nur bekannt, sondern wohl auch zugänglich machte, zieht das von Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris) gegründete "Dieter Roth oRchester" jetzt mit der CD "Das Dieter Roth oRchester spielt kleine wolken, typische scheiße und nie gehörte musik" nach und hält gleich eine eigene Gegenerzählung für den dem Kunstmarkt hämisch gegenüberstehenden Zuhörer bereit.

Drei Mark habe er 1981 in einer Ramschbuchhandlung am Ku'damm für seine Ausgabe von Roths Gedichtband "Frühe Schriften und typische Scheiße" bezahlt, gibt der geniale Dillettant im Booklet der CD bekannt, und daraufhin beschlossen, dass das Werk an die Öffentlichkeit gehört, und zwar nicht nur an die kleine der Literaturbegeisterten, sondern an die breite der Popmusikfans. Zu diesem Zweck versammelte er eine Reihe von Dauerbrennern der Studentendisco- und Vernissagenbeschallung, wie die Neo-NDWler Stereo Total, das Elektronikduo "Mouse on Mars", den eigenen Bruder Max Müller, der sowohl solo als auch mit seiner Band "Mutter" seine Ehrerbietung gibt, und eine Reihe aus Island stammender Musiker, die den Gedichtband als Inspirationsquelle für ihre musikalischen Beiträge nehmen.

Die starke Beteiligung isländischer Künstler ist kein Zufall. Neben der multimedialen Begabung eint Müller und den 1998 verstorbenen Roth ihre Begeisterung für das Land der Geysire und Fjorde. Roth selbst machte mehrmals auf der Insel Station und schuf dort unter anderem seine "Reykjavik Slides", eine Serie von Fotografien aller 30.000 Häuser der Landeshauptstadt, während Müller ein botanisches Lehrwerk von Walter von Goethe ins Isländische übersetzte. Das gleichnamige Quartett unter Müllers Leitung eröffnet dann auch die CD mit einer minimalistischen Rendition von Roths Gedicht "Das Leben": "Wenn sich das Leben richtet / nach dem Falle wieder auf, / hab ich die Falle schon gesichtet / und haue dem Leben eins drauf."

Musikalisch schlägt Müller allerdings mit durchaus bekannten Mitteln zurück: sparsame Sequenzen aus alten Analogsynthesizern und Drumcomputern, kombiniert mit einem tonlagenunsicheren Sprechgesang. Leider scheint er damit die Marschrichtung für das gesamte Album vorgegeben zu haben, denn der Großteil der beteiligten Künstler setzt auf die musikalischen Spielarten, denen ungeübte Hörer gerne das Attribut "trashig" verleihen. Nicht das dies besonders störend wäre, stellen die Interpretationen doch hervorragend den aphoristischen Charakter von Roths Lyrik heraus, die trotz einer Neigung zum kalauernden niemals in sinnfreie Spaßzonen abdriftet. Zwar säuseln einem die Keyboards gerne die bedrückend-gemütliche Atmosphäre eines Alleinunterhaltergastpiels vor, aber sobald Wolfgang Müllers Stimme "Lache wider Willen / Lache wider Welt" zitiert, wird der überaffirmative Charakter der Klangfarbenwahl deutlich. Und wenn Khan "MAN SAH DAS MEER SO WIE MAN SAH" über einem monotonen Schlagzeugbeat buchstabiert, wird man daran erinnert, dass Roths Interesse an Sprache auch gleichzeitig ihrer Plasitizität geschuldet war.

Niemand scheint dies allerdings besser erkannt zu haben, als "Mouse on Mars", deren alle Fähigkeiten zur Wahrnehmung vertikaler musikalischer Strukturen überfordernder Remix ihres Tracks "Doit" dieses Interesse auf die Organisation von Klängen überträgt und so vermutlich die überzeugendste Hommage an das Gesamtwerk Dieter Roth darstellt. Und verwunderlich ist es ebenfalls nicht. Das Plattenlabel der Beiden residiert am Alten Griechenmarkt in Köln-der Adresse von A-Musik.


Titelbild

Dieter Roth: Das Dieter Roth Orchester spielt kleine wolken, typische Scheiße und nie gehörte musik.
Herausgegeben von Wolfgang Müller und Barbara Schäfer.
Intermedium Records, München 2006.
55,52 Minuten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3939444014

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