Haben die denn keine Probleme?

Die Klagenfurter Texte "Die Besten 2004" und "Die Besten 2005" versammeln und diskutieren Überraschendes, Außergewöhnliches und Überflüssiges in seiner weltfremdesten Form

Von Jule D. KörberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jule D. Körber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man nehme als Basis: Eine amüsante oder auch tragische Anekdote aus dem eigenen Leben. Darüber klebe man Schichten von Metaphern, die man sich international entleiht. Das Ganze filtere man durch eine unzuverlässige Erzählerfigur, der weder der Leser trauen kann noch sie sich selbst. Das schmecke man mit ein wenig Nabokov ab und schon hat man einen nahezu perfekten Text für den Ingeborg Bachmann Literaturpreis. Wenn dazu noch eine gekonnte Selbstinszenierung des Autoren kommt, ist das Preisgeld so gut wie sicher.

So einfach ist das? Mehr steckt da nicht hinter? So hat es angeblich die Gewinnerin des Ingeborg Bachmann Preises 2006, Kathrin Passig, gemacht. Viel geisterte über sie und ihre "Zentrale Intelligenz Agentur" durch die Feuilletons. Sie hätte Klagenfurt unterwandert und den Text auf den Wettbewerb hin geschrieben. Doch da fragte die Gewinnerin zu Recht, ob nicht alle Texte, die beim Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb antreten, speziell für diesen geschrieben worden seien - oder zumindest von den Autoren aus vorhandenen Texten für diesen Anlass ausgewählt wurden.

Kathrin Passig wurde vom dem Ende Juli erschienen "Spiegel"-Artikel "Auf Nummer unsicher" mit ihrer "Zentralen Intelligenz Agentur" als gutes Beispiel genannt für die Generation Ungewiss, Generation Prekär, Generation Praktikum oder wie auch immer man die Generation zwischen Überqualifizierung und unbezahlten Praktika nennen will. Sie wäre ein Beweis dafür, dass man sich die neuen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt auch zunutze machen könne.

Kathrin Passig könnte eine Heldin für diese Generation sein, die mit ihrer "Zentralen Intelligenz Agentur" zeigt, dass man das System durch Humor und Kreativität aufs Kreuz legen kann. Allein deswegen hat sie es verdient, den Klagenfurter Literaturpreis 2006 zu gewinnen - und mit "Sie befinden sich hier" in der im vergangenen September erschienenen Anthologie "Die Besten 2006 - Klagenfurter Texte" zu stehen.

Doch eines stört an Passigs Bild als Paradebeispiel einer prekären Generation: Warum handelt ihr Gewinnertext nicht von ihrer Lebenssituation? Oder besser gefragt: Warum handeln die in Klagenfurt gelesenen Texte fast nie von der Lebensrealität der jungen Autoren?

Denn auch die beiden Gewinner in den Vorjahren - 2005 Thomas Lang und 2004 Uwe Tellkamp - haben die Nöte ihrer Generation nicht in ihren Texten aufgegriffen. In den Texten der beiden Anthologien "Die Besten 2005 - Klagenfurter Texte" und "Die Besten 2004 - Klagenfurter Texte" sucht man Wirklichkeit und größere Gesellschaftsrelevanz zumeist vergebens. In welch einer Wirklichkeit sich die Klagenfurter Literaturtage allerdings befinden, das vermögen die Anthologien sehr wohl zu zeigen.

Dadurch, dass den Gewinnertexten jeweils Ausschnitte der Jurydiskussion beigefügt sind. Dadurch, dass die wichtigsten Beiträge aus der nach dem Literaturtagen heftigst geführten Feuilleton-Diskussion angehängt sind. Und natürlich durch die sehr einseitig positiven, aber doch sehr treffenden Vorworte der Jury-Vorsitzenden Iris Radisch in beiden Bänden. So findet in beiden Büchern die Diskussion über die in ihnen versammelten Texte auf drei Ebenen statt: Sehr allgemein und zurückhaltend in den Vorworten Iris Radisch, sehr fachlich verpackt durch die Jury und sehr kritisch - auch über die gesamte Veranstaltung - in den Feuilletonbeiträgen. Was besonders spannend ist, weil die Kritikpunkte der Jury eher selten die selben sind wie die des Feuilleton. Und vielleicht hat der Leser, der durch die Anthologie die Texte parallel zur Kritik lesen kann, noch eine völlig andere Sicht, die er aufgrund des nicht vorliegenden Textes bei der Fernsehübertragung vielleicht nicht gewonnen hätte.

Was fehlt, ist das Wett-Lesen. In den Anthologien sind alle Texte der Endrunden versammelt - also die besten 9 beziehungsweise 11 der 17 beziehungsweise 18 in Klagenfurt gelesenen Texte. Doch welcher der Autoren aufgrund einer miserablem Selbstinszenierung mit einem vielleicht passablen Text nicht in die Endrunde kam, darüber geben nur die angehängten Feuilletonbeiträge Auskunft.

Und auch ein Favoritensterben vermisst man. Denn wer hätte nicht gern gelesen, mit welchem Text und warum Juli Zeh beim Ingeborg Bachmannpreis 2004 von der Jury komplett verrissen wurde? Aber da sie nicht in die Endrunde gekommen war, schaffte es ihr Text auch nicht in die Anthologie. Und Ausschnitte aus der Jurydiskussion kriegt man leider auch nur über die Gewinnertexte zu lesen. So hat sich die Herausgeberin Iris Radisch anscheinend zugunsten einer handlichen Seitenanzahl gegen den Gesamtüberblick entschieden. Womit den Anthologien einer der ganz großen Reize des Klagenfurter Literaturwettbewerbes fehlt - nämlich wie manche Texte von der Jury geradezu zerfetzt werden. Und natürlich ist das Bild des Wettbewerbes in den beiden Bänden auch deswegen unvollkommen, weil sie nicht die kurzen Autorenfilmporträts wiedergeben können. Trotzdem: "Man muss nicht dabei sein in Klagenfurt, um zu wissen, was geschieht, um zu wissen, was gelesen wird. Man muss die Rituale auch nicht im Fernsehen verfolgen. Am besten ist es, man lädt sich in der ausgelosten Reihenfolge Text für Text aus dem Internet herunter und liest. Für sich."

Das schrieb Volker Weidermann über Klagenfurt 2006 in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und geht man wirklich nach seiner Methode vor, so bemerkt man, wie viel Wahres daran ist. Denn lenkt nicht die mediale Inszenierung viel zu sehr von dem eigentlich Relevanten, den Texten, ab?

Die beiden Anthologien zum Ingeborg-Bachmann-Preis 2005 und 2006 behaupten großspurig auf dem Buchrücken "Die besten Texte, die die junge deutschsprachige Literatur 2004/2005 zu bieten hat!" zu versammeln. Diese Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen ist genauso sinnlos wie die jedes Jahr vom Feuilleton wieder aufgeworfene Frage, ob die Klagenfurter Literaturtage nicht an sich abgeschafft gehören. Denn wie jedes Jahr gab es auch in den Jahren 2004 und 2005 Überraschungen, Entdeckungen und viel, viel Überflüssiges.

Man kann nur über einen Durchschnitt urteilen, und dieser ist in "Die Besten 2005" eher mau im Vergleich zu den Texten aus "Die Besten 2004". Denn die 2005er Texte zeichnen sich doch eher dadurch aus - bis auf wenige Ausnahmen wie Anne Webers titellosen essayistischen Text über den Alltag in einem Großraumbüro - anscheinend nach Schema F geschrieben worden zu sein. Gleicht man diese Texte mit dem Wie-schreibt-man-einen-gelungen-Klagenfurttext-Rezept der Gewinnerin 2006, Kathrin Passig, ab, so entdeckt man doch viele der von ihr genannten Zutaten.

Die 2004er Texte dagegen überraschen fast von Text zu Text neu und fallen erfreulicherweise häufiger aus den bekannten Klagenfurt-Schema. Und doch kann man auch den 2004er Texten genau wie den 2005ern den Vorwurf machen, bei all dem perfekten erzählerischen Handwerk blutarm zu sein. "Die Bilder hängen gerade an den Wänden. Aber man interessiert sich nicht dafür. Sie können erzählen, wissen aber eigentlich nicht was. Sie riskieren nichts, schreiben ungefährdete, ordentlich geschnittene Literatur", schrieb Elmar Krekeler in der Welt über die Klagenfurter Texte 2005.

Und schaut man sich die Lebensläufe der Klagenfurtgeladenen an, so findet man hauptsächlich Schreibschüler und Geisteswissenschaftler, die anscheinend in ihrem Leben kaum etwas anderes gemacht haben als zu schreiben. Und selbst wenn einer der Lebensläufe einmal abweicht - wie bei dem Gewinner 2004, Uwe Tellkamp, der Mediziner ist - beschäftigt der Text trotzdem nicht mit der Problematik dieses Berufsbildes. Wer könnte besser einen Text über von Übermüdung verursachte ärztliche Kunstfehler schreiben als Uwe Tellkamp? Aber nein, er gewinnt mit einem barocken Text über eine Straßenbahnfahrt durch die Dresdner Geschichte. Ein großartiger Text, keine Frage. Aber kann man die junge deutschsprachige Literatur über Themen wie diese definieren? Wo ist Hartz IV? Wo sind die unbezahlten Praktika und die Studiengebühren? Wo ist die finanzielle Abhängigkeit von den Eltern bis zum 30. Lebensjahr? Wo ist die Fernsehverdummung und die nicht funktionierende Politik?

Wenn man nach den Klagenfurter Texten geht, lebt die junge deutsche Literatur in einer anderen Welt als der Rest Deutschlands. In einer Welt, in der Eskapismus gelobt wird, solange er handwerklich perfekt ist.


Titelbild

Iris Radisch (Hg.): Die Besten 2004. Klagenfurter Texte.
Piper Verlag, München 2004.
269 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3492046487

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Titelbild

Iris Radisch (Hg.): Die Besten 2005. Klagenfurter Texte. Die 29. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt.
Piper Verlag, München 2005.
234 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3492047734

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