Menschen und Geschichten aus der "Welt von Gestern"

Stefan Zweigs Meistererzählungen in einer Sonderausgabe

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum 125.Geburtstag des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig hat der S. Fischer Verlag die bekanntesten seiner Novellen in einem Sonderband zu einem günstigen Preis neu herausgegeben, in der Hoffnung, "dass Zweig auch künftig auf den Bücherregalen so präsent bleibt wie bisher." Im Mittelpunkt der zwischen 1911 und 1942 erstmals veröffentlichten Erzählungen, von denen viele verfilmt worden sind, steht oft eine "unerhörte Begebenheit" (Goethe), ein seltsames Schicksal oder eine große Leidenschaft.

Der Band beginnt mit der Erzählung "Brennendes Geheimnis". Sie spielt in einem Hotel auf dem Semmering. Edgar, der zwölfjährige Junge einer "sehr soignierten und mit sichtbarer Eleganz gekleideten Dame", fühlt sich durch einen österreichischen Baron erstmals von einem Erwachsenen ernst genommen. Um so größer ist seine Enttäuschung, als er merkt, dass es der Baron nur auf seine attraktive Mutter abgesehen hat und er lediglich Mittel zum Zweck war.

In der nächsten Geschichte "Der Amokläufer" - sie gehört zu den bekanntesten Novellen Zweigs - schildert ein Arzt einem Passagier an Bord eines Schiffs zwischen Kalkutta und Neapel seine Lebensgeschichte. Als die Schiffsreise in Neapel mit einem tragischen Ereignis endet, kennt nur der Zuhörer die Hintergründe. Zweig erzählt diese aus gegenwärtiger Sicht etwas melodramatische Geschichte über einen exzentrischen Menschen, der die Kontrolle über sich verliert und sich im Übermaß des Gefühls selbst zerstört, mit viel Pathos und rhetorischer Eindringlichkeit.

Um seelische Abgründe und übermächtige Triebe geht es auch in "Verwirrung der Gefühle": ein junger Student wird mit einem verzweifelt gegen seine Homosexualität ankämpfenden Anglistikprofessor konfrontiert. Unverkennbar übt hier Zweig Kritik an einer Gesellschaft, die jegliche Abweichung von der Norm mit Sanktionen belegt und den Außenseiter zur Heuchelei zwingt. Geradezu rührend wirkt dagegen die Geschichte des blinden Kunstsammlers, der seine "Unsichtbare Sammlung" präsentiert, ebenso die poetische Liebestragödie "Brief einer Unbekannten", in der die morbide Stimmung des alten Wien geschickt eingefangen wurde und die durch die behutsame Erzählweise des Autors für sich einnimmt.

Den Schluss bildet in diesem Band die berühmte "Schachnovelle". Sie gilt, obwohl der Schriftsteller selbst seine letzte Prosaarbeit thematisch für abseitig und für "zu abstrakt für das große Publikum" hielt, als Höhepunkt in Zweigs literarischem Schaffen.

Schon in Salzburg soll Zweig zu seiner Entspannung das Schachspiel gepflegt haben. Im brasilianischen Exil kaufte er sich ein Schachbuch und spielte mit seiner zweiten Frau Lotte die Turniere der großen Meister nach. Aus dieser Beschäftigung erwuchs die Idee zu seiner "Schachnovelle".

Sie war sein Abschiedsgeschenk. Denn kaum hatte er die Erzählung im brasilianischen Exil beendet, nahm er sich im Februar 1942 mit seiner Frau Lotte das Leben. Den Erfolg der vielfach übersetzten und millionenfach verkauften "Schachnovelle" hat ihr Verfasser folglich nicht mehr erlebt.

In all seinen Geschichten zeigt sich Stefan Zweig als feinfühliger Beobachter geheimer menschlicher Regungen und Neigungen. Viele seiner Novellen sind vollendete Seelenstudien, die den Autor als Schüler Freuds ausweisen und ihn zum Mittler der Psychoanalyse gemacht haben. Zweig sprach einmal von der "verwegenen Lust schöpferischen Spiels", verborgene Herzensregungen und dunkelste Hintergründe der Seele unter der Oberfläche bürgerlichen Daseins aufzudecken.

Unverkennbar jedoch gehören die Menschen, die er beschreibt, einer vergangenen Epoche an: Frauen, denen das Altern Schwierigkeiten bereitet, die sich von einem bestimmten Zeitpunkt an nur ihrem Kind widmen wollen; neben alternden Mädchen tauchen "armselige Kleinbürgerinnen" auf, vornehme junge Herrn, die mit Dienern reisen, leichtlebige Müßiggänger, Schriftsteller, feinnervige Einzelgänger, Menschen der gehobenen Klasse, die in Kaffeehäusern und Hotels, im Theater und auf Luxusdampfern zu Hause sind. Häufig ist die Rede von einer "wundervollen süßen Angst, von schlanken jungfräulichen Schultern", von der "heiligen Lust des Träumens", von Schwüle und Leidenschaft. In heutigen Ohren klingt manches aus der Feder Stefan Zweigs leicht überschwänglich. Dennoch, auch wenn die Sorgen und Nöte von damals nicht mehr unbedingt die unseren sind, so taucht man doch, trotz mancher Klischees, nicht ungern hinab in "die Welt von Gestern".

Zahlreiche Novellen Zweigs hatten beim Publikum der 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts auf Anhieb großen Erfolg. Im Rückblick auf diese produktiven und glücklichen Jahren konnte daher der Schriftsteller feststellen: "In meinem persönlichen Leben war das Bemerkenswerteste, dass in jenen Jahren ein Gast in mein Haus kam und sich dort wohlwollend niederließ, ein Gast, den ich nie erwartet hatte - der Erfolg."

Ob es auch diese Ausgabe schafft in unserer, von ganz anderen Problemen und Themen beherrschten Zeit hohe Auflagen zu erzielen, bleibt abzuwarten.


Titelbild

Stefan Zweig: Meistererzählungen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
491 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3103970226

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