Jugend schreibt

Benjamin Leberts Romandebüt "Crazy"

Von Manu SlutzkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manu Slutzky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Benni ist sechzehn Jahre alt, aber im Unterschied zu seinen Freunden hat er sich noch keine Halbstarken-Allüren zugelegt. Er fühlt sich schwach, wie ein Kind, ein "Junge", der sich noch gern bei den Eltern anlehnt und es zu Hause am schönsten findet. Er ist brav und angepaßt, aber seine schulischen Leistungen sind derart schlecht, daß er von den Eltern in ein Internat unweit von Rosenheim gegeben wird.

Lange hält es ihn dort nicht: Noch vor Ende der Sommerferien muß er die Schule bereits wieder verlassen. Benjamin Leberts Roman "Crazy" erzählt von diesem kurzen Intermezzo auf Schloß Neuseelen. Benni, der autornahe Ich-Erzähler, hat von Geburt an ein Handicap, einen Halbseitenspasmus. Das Gehen fällt ihm schwer, die Lähmung der linken Hand und des linken Beines machen ihn zum Krüppel. Dennoch wird er von den anderen Schülern sehr schnell akzeptiert, denn sie haben alle mit Integrationsproblemen zu kämpfen: "In meinen Augen bist du weder behindert noch normal", sagt Janosch. So sehen es auch die anderen. Nach allgemeiner Ansicht ist Benni vor allem eines: cool.

Benni und die Internatsschüler haben Angst vor dem Leben, vor den Erwartungen, die an sie gestellt werden. Zugleich wollen sie "auf die Bühne des Lebens" treten und nicht immer nur Zuschauer sein. Die nachtaktive Clique um Benni und seine Freunde erobert daher bierschwer und entsprechend leichtsinnig den Flur der Mädchen, die schon weiter und reifer sind und ihre bleichen Verehrer pragmatisch in die körperliche Liebe einweisen.

"Crazy", der Debütroman des erst sechzehnjährigen Benjamin Lebert, ist im Berichtston geschrieben. Seltsamerweise aber wird damit der Eindruck einer längst vergangenen Welt hervorgerufen: Benni hat kaum Maries Brüste zum ersten Mal erblickt, da denkt er auch schon an ein späteres Leben: "Ich glaube, ich werde sie nicht so schnell vergessen". Die "Hundemarke", die er bei seinem Antrittsbesuch vom Internatsleiter bekommen hat, möchte er dereinst seinen Enkeln zeigen. Für den Augenblick also kann er nicht leben, nur für die Erinnerung an den Augenblick.

Die Welt, die hier beschrieben wird, verläuft weniger dramatisch als in den "Verwirrungen des Zöglings Törleß" oder im Film "Der Club der toten Dichter". Auch sprachlich ist Leberts Roman eher unspektakulär. Lange, in sich nicht konsequente Strecken indirekter Rede, die aus dem Berichtston störend herausfallen ("Niemand wisse, was hinter seiner Fassade vorgeht"), erwecken den Verdacht der Lektorenprosa. Hier und da sind unstimmige Bilder stehengeblieben: "Er stopft gerade ein Gummibärchen in sich hinein." Bisweilen auch verliert der Erzähler seine Figuren aus dem Blick. Dennoch ist der Roman stimmig, spannend zu lesen und als Jugendbuch zu empfehlen.

Titelbild

Benjamin Lebert: Crazy.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
7,60 EUR.
ISBN-10: 3462028189

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