Asymmetrische Konflikte

Herfried Münkler zum Wandel des Kriegs

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krieg hat sich verändert: Das ist im letzten Jahrzehnt auch dem zeitungslesenden Zivilisten aufgefallen. Symptom waren etwa die Luftbilder, die zuerst von den Bombardierungen Bagdads und Belgrads die Öffentlichkeit erreichten. Sie erinnerten an nachlässig programmierte Computerspiele und wurden denn auch schnell und ganz richtig als Versuche interpretiert, das tatsächlich immer noch blutige Geschehen auf Erdhöhe zu verharmlosen. Das Neue an ihnen war jedoch nicht, dass sie Bestandteil einer Bildpolitik waren, sondern dass sie auf ein historisch unbekanntes technologisches Ungleichgewicht zwischen den Kriegsgegnern verwiesen.

Ein weiteres Zeichen ist der ungeklärte Status der Gefangenen, die den USA in ihrem Krieg gegen den islamistischen Terrorismus in die Hände fallen. Deren Zwischenposition zwischen Kriminellen und Soldaten, mit all den daraus folgenden Rechtsproblemen, ist weniger Folge amerikanischer Willkür als ein Problem der Sache selbst: Man hat es mit organisierten Kämpfern zu tun, die keiner Armee angehören, doch als Objekte von Verhören zu nützlich werden können, als dass man sie, wie bislang in Partisanenkriegen üblich, als illegale Kombattanten einfach liquidieren würde. Als ein dritter Bestandteil der neuen Kriege sind vielleicht jene Warlords zu nennen, denen es auf Entscheidungsschlacht und Sieg gar nicht mehr ankommt, sondern die an einer Verstetigung von Kriegsökonomien interessiert sind. Diese Kriege, zumeist in Afrika, bestehen aus einer kaum überschaubaren Folge von Gemetzeln, Raubzügen und Vergewaltigungen, bringen aber selten den Versuch einer Entscheidung. Deshalb erreichen sie kaum je und allenfalls als humanitäre Katastrophe das Bewusstsein der Bevölkerungen in den Industriestaaten, obgleich gerade sie hohe Opferzahlen fordern.

Man kann nun überlegen, ob und wie der Wandel definitorisch zu fassen ist. Eine Möglichkeit ist, wie Erhard Eppler für das Neue überhaupt den Kriegsbegriff abzulehnen und von "organisierter Gewalt" zu schreiben. Das führt, die Herfried Münkler in seinen vorliegenden Studien zum "Wandel des Krieges" darlegt, nicht viel weiter, weil Krieg stets sehr viel mehr umfasste als den rechtlich eingehegten europäischen Staatenkrieg. Zweierlei wird in dieser Argumentation deutlich: zum Einen Münklers profundes historisches Wissen über die Formen militärischer Konfliktaustragung, zum Anderen eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber optimistisch-gefälligen Darstellungen von Gefahrenpotentialen. Nicht einmal erwähnt ist, dass der Begriff der "organisierten Gewalt" eine andere, nämlich polizeiliche Antwort auf gegenwärtige Risiken nahe legt als die Interpretation, dass man es immer noch mit Kriegen zu tun hat.

Bei Münkler wird die Gegenüberstellung von symmetrischen und asymmetrischen Kriegen zum definitorischen Leitfaden. Symmetrische Kriege waren Staatenkriege; sie wurden grundsätzlich innerhalb eines bestimmten Regelsystems zwischen Rechtssubjekten ausgefochten, die sich als gleichwertig anerkannten und auch im Falle einer Niederlage nicht in ihrer Existenz bedroht waren. Technologische Unterschiede waren innerhalb eines überschaubaren Zeitraums aufzuholen. Beteiligte und Opfer des Kriegs waren vor allem Soldaten.

Münkler weiß natürlich, dass solche Kriege historisch gesehen Ausnahmeerscheinungen waren; im Wesentlichen sind nach diesem Schema innereuropäische Kriege zwischen dem Westfälischen Frieden 1648 bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts beschrieben. Dabei entspricht der Zweite Weltkrieg zumal im Osten dem Muster schon kaum mehr; der Kalte Krieg mit dem Gleichgewicht zweier Mächte mit ähnlicher Handlungslogik bei gegenseitiger Anerkennung wirkt da wie ein Aufschub. Die Gegenwart aber bringt vieles, was Kriege in Kolonien wie auch den Randgebieten Europas seit je kannten: der Kampf als Vernichtung der schwächeren Seite - mitsamt großer Teile der Zivilbevölkerung; die Nichtexistenz einer Seite als Rechtssubjekt.

Wäre das alles, so könnte man mit einem Achselzucken über das also nur vorgeblich Neue hinweggehen. Doch kann man wiederum auf zwei Ebenen gegen diese Gelassenheit argumentieren. Zum Einen beruhen sämtliche Versuche der letzten Jahrzehnte, den Krieg zu bannen, auf der Einbindung von Staaten in ein internationales Rechtssystem. Der Bedeutungszuwachs nichtstaatlicher Kriegsakteure bedroht diesen Ansatz. Der Versuch einer Reaktion ist die Verschiebung des internationalen Rechts von einem Staatenrecht zu einem Völkerrecht. Davon profitieren Minderheiten, besonders solche, die für Selbstständigkeit kämpfen. Eine wirksame Intervention der internationalen Gemeinschaft, de facto der USA und gerade verfügbarer Verbündeter, gibt es aber erst im Krisenfall, das heißt als Gewaltprämie erfolgreich agierender Separatisten wie der UCK im Kosovo 1999. Es kennzeichnet nun Münklers Realismus, dass er sich mit dem gescheiterten Versuch einer Verrechtlichung staatlicher Konflikte wie mit der völkisch bestimmten Anpassung an Konfliktlagen im osteuropäischen Zerfall nicht weiter aufhält. Auch fehlen allzu strapazierte Momente wie Kultur und Religion fast durchgehend. Akteure im Krieg, soweit sie irgend ernst zu nehmen sind, folgen eben keinen Traditionen, sondern aktuellen Erfordernissen, nach denen sie umgekehrt eben auch zu bekämpfen sind. Zudem, und gegen Kulturkampfthesen: Die meisten Opfer muslimischer Attentäter sind immer noch andere Muslime.

Beunruhigender ist die zweite Argumentationsebene, die Münkler weitaus mehr interessiert. Hier wird deutlich, dass, mögen auch alle einzelnen Elemente der neuen Kriege bekannt sein, ihre Kombination durchaus neu ist. Eine dauernde waffentechnische Überlegenheit einer Seite im Krieg gab es auch früher schon; doch ist sie in westlichen Gesellschaften heute notwendiger denn je, denn selbst geringe Verluste bedrohen in postheroischen Gesellschaften die Legitimität militärischer Einsätze. Erst das macht den für sich genommen gar nicht so außergewöhnlichen Partisanenkampf im Irak und in Afghanistan für den Westen so gefährlich.

Ähnliches gilt für den Terrorismus. Der Terrorist der Gegenwart ist, anders als der Partisan, nicht lokal eingebettet. Das unterscheidet Al Quaida von der Hisbollah. Münkler versucht, daraus auch eine Spezifik des Terroristen der Gegenwart zu entwickeln. Sein Gegenbild sind linke und antikolonialistische Kämpfer im 20. Jahrhundert, für die Attentate tatsächlich ein Vorstadium zum Guerillakrieg waren und zum Zweck hatten, entweder direkt oder über erhoffte Repressionen des attackierten Staates eine Zielgruppe zum Mitkämpfen zu bewegen. Das galt für die vom deutschen Staat bekämpfte RAF ebenso wie noch auf freilich mafiosem Niveau für die UCK, die denn auch durch NATO-Bomber honoriert wurde. Der islamistische Terrorismus will, so Münkler, vor allem die verwundbare Infrastruktur des hochtechnisierten Westens treffen und Angst verbreiten.

Gerade mit letzterem aber haben Al Quaida und wer immer da noch bomben mag europäische Vorläufer im rechtsradikalen Terror. Prominent ist etwa das Attentat von Bologna 1980 - das den Morden von Madrid und London vergleichbar - 85 Todesopfer forderte; nur vergleichsweise harmlos war das Münchner Attentat im selben Jahr mit 13 Toten. Solcher Terror, der gerade aufs blinde Morden zielt, stellt Schrecken gegen ein vermeintlich allzu gutes Leben; während linker Terror einen kollektiven Kampf für ein besseres Leben zum Ziel hat. Während aber die europäischen Rechten so anonym wie möglich blieben, mit der Hoffnung, die Bewohner der Zielorte zu autoritären Lösungen zu treiben, tritt ein Osama Bin Laden im Video auf. Anders als Münkler meint, gibt es noch den interessierten Dritten, für den das Attentat durchgeführt wird. Er lebt im Nahen oder Mittleren Osten und soll über US-amerikanische Tote jubeln. Als militärisches Ziel zumal nach der Zerstörung der Basen in Afghanistan kaum greifbar, zeigt sich hier doch etwas wie territoriale Verortung.

Ist hier eine Schwäche von Münklers Analyse feststellbar, so ist sie durch viele Stärken ausgeglichen. Äußerst differenziert ist die Darstellung symmetrischer Kriege. Die Epoche ist nicht idealisiert - zumal die Schlachten des Ersten Weltkriegs Opfer forderten, die demokratische Gesellschaften kein zweites Mal zu begründen versuchten. Ausführlich schildert Münkler, wie und warum Territorialstaaten in Europa zum einzigen Subjekt der Kriegsführung wurden. Eingehend beschrieben sind die napoleonischen Kriege mit ihrem Zwang zur Entscheidungsschlacht, die allein dem eigentlich zu schwachen Frankreich die Kontrolle über Kontinentaleuropa sichern sollte, mitsamt dem Übergang zum "Kleinen Krieg" in Spanien. Mit all diesen Entwicklungen verbunden ist die Geschichte der Wehrpflicht: eine ambivalente Einrichtung, die den liberalen Bürger sowohl unterwirft wie sie ihn zum vollwertigen Staatsbürger macht.

Das alles ist prägnant dargestellt; historisch Konkretes und übergreifende Thesen stehen stets in einem überzeugenden Verhältnis. Dennoch liest man den Band gerade in den späteren Kapiteln mit einem gewissen Missmut. Dem Versprechen im Vorwort entgegen, es liege keine Aufsatzsammlung vor, weist das Buch doch alle Nachteile einer solchen auf: zahlreiche Wiederholungen, allmählich vertraute Beispiele sowie Zitate, die man beim dritten Mal fast schon mitsingen kann. Eine straffende Bearbeitung hätte hier viel geholfen und die drei Teile, die "symmetrische Kriegen", "asymmetrische Kriegen" und "Handlungsoptionen" zu bringen versprechen, tatsächlich auf ihre Gegenstände konzentrieren können.

"Handlungsoptionen" sind nun Problem jedes vor allem analytischen Zugriffs. Münklers Schwierigkeit ist hier die eines wissenschaftlichen Beraters, der die Handlungsrationalität aller Beteiligten untersuchen kann bis auf die der zu Beratenden, hier: der deutschen und europäischen Sicherheitspolitiker. Allein auf dieser Ebene muss Münkler eine sicherheitspolitische Rationalität voraussetzen, von der jedoch nicht auszugehen ist. Zwar kann man diskutieren, ob Gerhard Schröders anti-amerikanischer Wahlkampf von 2002 dem Weltfrieden oder auch der deutschen Außenpolitik genutzt hat. Aus Sicht der Planer in der SPD dürfte eine andere Frage im Vordergrund gestanden haben: Ob eine Ablehnung des Irak-Kriegs vielleicht doch noch den Wahlsieg retten konnte (bekanntlich konnte er, knapp und mit Elbflutunterstützung). Verallgemeinert: Der politikberatende Realist kann nur die Interessenlage auswärtiger Akteure untersuchen, muss jedoch unterstellen, dass die eigenen Politiker vor solchen Egoismen gefeit sind. Ein solch amputierter Realismus, der Interessengegensätze im eigenen Staat ausblendet, beschädigt zwar diesen Schlussteil ebenso wie den von Münklers sonst so klarem Buch zu Imperien von 2005. Doch selbst hier lässt man sich gerne durch das profunde Wissen und die Darstellungsgabe eines Autors belehren, der am meisten dort überzeugt, wo er sich nicht bemüht, konstruktiv zu sein.


Titelbild

Herfried Münkler: Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie.
Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2006.
397 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3938808098

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