Ein roter Faden durch Biografie und Forschung

Gerda und Hermann Weber sind Fälschungen in der Geschichtsschreibung der SED auf der Spur

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frage: "Was ist im stalinistischen Kommunismus am schwersten vorherzusehen?" - Antwort: "Dessen eigene Vergangenheit". Hermann Weber beschreibt mit diesem Bonmot nicht nur ein Strukturmerkmal der Geschichtsschreibung des "real existierenden Sozialismus", sondern indirekt sein eigenes Forschungsfeld. Zu Recht gilt heute Hermann Weber als "Nestor der deutschen DDR- und Kommunismusforschung".

Weniger bekannt ist, dass der im Jahr 1928 gebürtige Mannheimer in jungen Jahren selbst überzeugter Kommunist gewesen ist. In seinen Erinnerungen "Damals, als ich Wunderlich hieß" hatte Weber seine Erlebnisse einer kommunistischen Kaderschmiede geschildert; 1947/49 war er unter einem Decknamen Teilnehmer an der SED-Parteihochschule "Karl Marx".

Die vorliegenden Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten füllen jene Lücke, die sich zwischen dem heimlichen Kursanten von damals und dem heutigen Professor und international anerkannten Marxismus-Experten auftut - und sie beginnen mit der Verhaftung Webers am 12. März 1953 in Düsseldorf. Auch Webers Frau Gerda war als überzeugte Kommunistin in der Bundesrepublik der 50er-Jahre verhaftet worden: Vom 17. Juni 1953 hörten sie in westdeutschen Gefängnissen. Freilich waren die Webers bereits während ihrer SED-Schulung ideologisch misstrauisch geworden. Anschaulich und eindringlich beschreiben Gerda und Hermann Weber ihren politischen Reifungsprozess, durch den es gelang, die stalinistischen Herrschaftsstrukturen immer deutlicher zu erkennen, ohne die "linke" Prägung einer kommunistischen Arbeiterfamilie gänzlich zu verleugnen. Hermann Weber lernt den von ihm als "Zwei-Lager-Theorie" bezeichneten Reflex zu überwinden, dass es den Kapitalismus stärkt, wenn man den Stalinismus kritisiert. Eine seiner Schlussfolgerungen, die sich in der Tat wie ein roter Faden durch seine weiteren Forschungen gezogen hat, war die Erkenntnis, dass es sich beim sowjetischen Stalinismus nicht um eine ledigliche Entartung oder Abweichung von einem richtigen Weg gehandelt habe. Stalin selbst war der Verrat.

Und Weber fragt sich eindrücklich, warum er sich nicht frühzeitig von einer Ideologie trennte, die "alle mir wichtigen linken Ideen diskreditierte". Die Glaubwürdigkeit der Weber'schen Wandlung liegt in den Einblicken in dessen schmerzhafte Prozesshaftigkeit. Nicht über Nacht, sondern über Jahre hinweg erfolgte eine politische Klärung, die immer auch im intensiven Austausch mit anderen Persönlichkeiten aus dem linken Spektrum zu sehen ist. Im Laufe der Jahrzehnte hat Weber bewusst den Kontakt zu Altkommunisten gesucht und deren zum Teil abenteuerliche Biografien zwischen den Mühlsteinen Nationalsozialismus und Stalinismus dokumentiert.

Verschiedenen Persönlichkeiten verschafft Hermann Weber in seinen Erinnerungen ein freundschaftliches Gedenken, wie zum Beispiel Joseph Schölmerich, einem ehemaligen NS-Widerstandskämpfer, der nach dem Krieg nach Sibirien verbannt wurde, oder Kurt Müller, der als Kommunist unter Hitler elf Jahre Gefängnis und KZ überlebte und 1950 in der DDR verhaftet wurde. Fünf Monate hatte er die Nacht über stehen müssen - in einer Zelle auf deren Fußboden ein bis zwei Zentimeter Wasser standen.

Seit dem Bruch mit der vertrauten Ideologie und ihren Parteivertretern hatte Hermann Weber es sich zur Aufgabe gemacht, die Verbrechen des Stalinismus an die Öffentlichkeit zu bringen. Die rücksichtslose Offenheit gegenüber diesen politischen Verbrechen bot sich ihm als einzig mögliche Methode. Im Jahr 1990 war eine Neuauflage von Webers Recherchen der KPD-Opfer erschienen: "'Weiße Flecken' in der Geschichte". Im vorliegenden Buch schildert Weber, wie empfindlich, ja geradezu schrill die Führung der DDR auf seine Enthüllungen, die 1964 erstmals unter dem provokativen Titel "Ulbricht fälscht Geschichte" erschienen war, reagierte. Aufschlussreich beschreiben Gerda und Hermann Weber ihre Entwicklung in der Bundesrepublik, die sie von jungen Kommunisten über die Ideen eines "Dritten Wegs" in die Reihen der SPD geführt hatte. Mit Marx, Engels und Karl Kautsky vermag Hermann Weber zu begründen, warum er auch die PDS oder eine wie auch immer geartete "Linkspartei" aus einer dezidiert linken Position heraus ablehnt: "Jeder Versuch, die SED-Diktatur zu rechtfertigen, zu beschönigen oder zu relativieren, ist - auch als 'links' drapiert - reaktionär und steht im Widerspruch zum 'Prinzip links', das untrennbar mit Freiheit, Aufklärung und Emanzipation verbunden ist." Hermann und Gerda Weber stehen deutlich für Werte ein, an die sie seit ihrer Jugend geglaubt haben und deren Inhalte sie sich über ideologische Wirren hinweg um den Preis eines bewussten und politischen Lebens erkämpft haben.


Titelbild

Hermann Weber / Gerda Weber: Leben nach dem "Prinzip links". Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten.
Ch. Links Verlag, Berlin 2006.
480 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3861534053

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