Allein gegen den Rest der Welt

Jo Nesbø und Frode Grytten lassen ihre Ermittler unter heißen Sommern leiden

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Norden Europas scheint einiges an verbrecherischem Charme zu haben, der zumindest auf die deutschen Leser nachhaltig einwirkt. Nachdem Henning Mankell das Erbe der schwedischen Sozialkrimis höchst erfolgreich fortgesetzt hat - trotz einiger sprachlicher Ungelenkheiten, die wenigstens die ersten deutschen Übersetzungen aufwiesen -, hat sich der Erfolg anscheinend auch auf Norwegen ausgeweitet. Parallelen gibt es einige: Heiße, nie endende Sommer (nie endende Winter gibt es allerdings auch), die alles, was morden kann, aus seinen Schlupflöchern treiben, besonders grausame und blutrünstige Mörder wie eigenbrötlerische Ermittler, die sich mit dem Gang der Welt nicht einverstanden erklären können und dagegen ankämpfen, so gut es nur geht. Es scheint fast so, als ob Skandinavien die USA als Brutstätte der negativen Folgen der Zivilisation ablösen wolle: Ritualmorde, Serienverbrechen, mafiöse Kartelle, die die Unterwelt und damit auch die eigentliche Welt bestimmen, Verbrechensbekämpfer, die angesichts solcher Verhältnisse selber zu Mitteln jenseits der Legalität greifen müssen. Dabei leiden sie sehr, denn im Grunde ihres Herzens wissen sie, dass das, was sie tun, falsch ist - und richtig zugleich. Jo Nesbøs Harry Hole ist so einer: Seit dem Tod einer Kollegin ist er aus dem Ruder gelaufen, er säuft, er hat sich in die Idee verbissen, ein Kollege, Tom Waaler, stecke hinter dem Mord an einer Kollegin, und gerade mit Waaler muss er an einer Mordserie arbeiten, die Oslo in Atem hält. Es ist Sommer. Kaum anders bei Frode Grytten, außer dass wir uns nicht in Oslo, sondern in der tiefsten Provinz befinden, in Odda (wo auch immer das ist).

Es ist wie beinahe immer in einigermaßen erfolgreichen Kriminalromanen: Wir steigen nicht nur in die Welt dieses Verbrechens und die Denkweisen dieses besonderen Verbrechers ein, wir nehmen auch noch intensiv an den Obsessionen und Schnurrigkeiten des ermittelnden Polizisten (Nesbø) oder Journalisten (Grytten) teil. Wie er sich morgens fühlt, wie er über den Tag kommt, wie sein Verhältnis zum anderen Geschlecht ist (meistens schlecht, aber angesichts des schlechten körperlichen Zustands und der olfaktorischen Belastung, die diese Figuren meist für ihre Umgebung sind, wäre anderes ein drastischer Verstoß gegen die Wahrscheinlichkeitsrechnung des realistischen Romans). Natürlich lernen wir seine bevorzugten Alkoholsorten kennen, welche Musik er hört (Duke in Nesbøs Fall), welches Auto er fährt (meist rostig und klapprig) und welches Trauma er mit sich herumschleppt. Das ganz normale Leben eben, das bei diesen Figuren jedoch eine besondere Note erhält. Sie werden auf diese Weise zu spezifischen Außenseitern stilisiert, zu Erkenntnissonden, zu Wahrheitssuchern, zu den privilegierten Kritikern einer Gesellschaft, analog zu den Künstlerfiguren in der Literatur zur Wende zum 20. Jahrhundert. Auch die konnten ihre Gesellschaft ganz besonders deshalb so gut unter Beobachtung und Beschuss nehmen, weil sie jenseits ihrer Grenzen lebten und trotzdem zu ihr gehörten, die ausgegrenzt wurden und dennoch dringend notwendig waren, wenn diese Gesellschaften etwas über sich selbst erfahren wollten.

Harry Hole nun, der in "Das fünfte Zeichen" bereits das fünfte Mal ermittelt, hat es dieses Mal mit einem offensichtlichen Ritualmörder zu tun. Entstellte Leichen werden aufgefunden, immer ähnlich misshandelt. Und immer ist klar, dass noch weitere folgen werden. Schnell wird auch klar, dass der Täter nach einem Muster arbeitet, bald auch, dass er seine Opfer nicht aufgrund eines gemeinsamen Profils aussucht - ehemalige Prostituierte, Ähnlichkeit mit der misshandelnden Mutter, Parallelen zu der Frau, die den armen Kerl in der Jugend abgelehnt, blamiert, traumatisiert haben dürfte. Nein, die Opfer verdanken ihr Schicksal dem unangenehmen Zufall, dass sie an den Spitzen eines Pentagramms leben, das sich auf einen Stadtplan von Oslo zeichnen lässt. Damit scheint zwar alles mehr oder weniger klar zu sein, denn sogar die Reihenfolge der Morde, die kommen werden, lässt sich erschließen. Im Grunde genommen brauchen Hole und Kollegen sich nur dorthin zu positionieren, wo der nächste Mord stattfinden wird, und nur solange zu warten, bis der Täter auftaucht. Allerdings bekommt kein Autor seine knapp 500 Seiten gefüllt, wenn er nicht den einen oder anderen Störer und diverse ablenkende Spuren einbaut, die zum einen das Ganze komplizierter machen als es ist und zum anderen das Lektürevergnügen erhöhen. So auch hier: Vor allem der Umstand, dass neben der Mordermittlung auch die Auseinandersetzung zwischen Hole und Waaler eskaliert, Hole sogar untertauchen muss, bringt dem Band die nötige Fülle und Spannung. Die Zeit der einfachen Geschichten ist eben doch vorbei.

Wesentlich knapper und direkter ist hingegen Gryttens Romanplot: Ein Auto stürzt in den Fluss, ein Toter wird darin aufgefunden, die Umstände sind merkwürdig, aber nur der abgehalfterte Provinzjournalist Robert Bell stellt die richtigen Fragen nach Zusammenhängen, nach Korruption und dem Sinn des Lebens. Das Letztere fragt er natürlich nicht wegen des Mordes, sondern weil er die Frau seines Bruders liebt und beide das seit Jahren bald halbherzig, bald innig pflegen. Dass sich solche Verunsicherungen (ja, vor allem die unglückliche Liaison) auf seine journalistische Karriere nicht förderlich auswirken, ist nahe liegend. Bell muss sich sogar gefallen lassen, dass ihm die Redaktion einen karrieregeilen jungen Kerl vor die Nase setzt, der vor allem an einer heißen Story, nicht aber an der Wahrheit interessiert ist. Zumal dann, wenn sie nicht angenehm Vorurteile bedient, sondern mit ihr die angeblichen Säulen der Gesellschaft angegriffen werden. In diesem Fall geht es um den merkwürdigen Konkurs einer Fabrik und deren Ausverkauf. Da sind natürlich wieder Millionen im Spiel.

Anders dagegen unser Wahrheitssucher, der anscheinend vor allem deshalb gern dahin geht, wo es weh tut, weil er sonst nichts rechtes mit sich anzufangen weiß. Und auch er muss an zwei Fronten kämpfen, in diesem Fall gegen diejenigen, die die Wahrheit nicht preisgeben wollen, und gegen seinen Kollegen, der ihn beobachtet und verfolgt. Dass sich am Ende nicht alles wirklich löst, vor allem nicht in Wohlgefallen auflöst, ist nicht zuletzt dem misanthropischen Weltbild zu verdanken, dass Robert Bell mit seinem Seelenverwandten Wallander gemein hat.


Titelbild

Jo Nesbø: Das fünfte Zeichen. Ein Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob.
Claassen Verlag, München 2006.
490 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3546003977

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Titelbild

Frode Grytten: Die Raubmöwen besorgen den Rest. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger.
Nagel & Kimche Verlag, München 2006.
237 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3312003695

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