Nur eine geschätzte Statistin?

Michael Schulte stellt dem Publikum Berta Zuckerkandl vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Namen Berta Zuckerkandl dürfte heutzutage nur noch Wenigen etwas sagen. Vor 100 Jahren war das zumindest in den kulturell interessierten Kreisen der deutschsprachigen Metropolen anders. Ein Buch von Michael Schulte, dessen Untertitel sie als Saloniere, Journalistin und Geheimdiplomatin vorstellt, ruft die 1864 geborene Wienerin nun wieder in Erinnerung. Sehr populär gehalten richtet es sich weniger an ein Fachpublikum, sondern zielt vielmehr auf einen breiteren Markt.

Der Schwerpunkt des vorliegenden Buches liegt auf der Zeit um 1900 und reicht bis in die 20er-Jahre hinein. Um und nach 1900 unterhielt Zuckerkandl einen Salon in der Österreichischen Hauptstadt, der regelmäßig von einigen der prominentesten Wiener LiteratInnen und anderen Kunstschaffenden ihrer Zeit besucht wurde. Ihre eher gelegentlich betriebene geheimdiplomatische Tätigkeit erreichte ihren Gipfelpunkt 1917, als sie versuchte, einen Separatfrieden mit Frankreich zu ermöglichen. Nach dem "Anschluss" Österreichs floh Zuckerkandl zunächst nach Frankreich, dann nach Algerien, von wo aus sie mit ihren Möglichkeiten gegen den Nationalsozialismus stritt.

Dass Zuckerkandl nicht nur Journalistin sondern auch Autorin einer Reihe von Büchern war, bleibt - abgesehen von einer regelmäßigen Bezugnahme auf ihre Autobiografie - sehr stark unterbelichtet. Ihre Sachbücher über die bildenden Künste finden kaum Erwähnung und ihr 1915 erschienenes Buch "Polens Malkunst" wird nicht einmal in der Literaturliste genannt.

Lieber schildert Schulte Affären, gibt Anekdoten zum Besten und wärmt den seinerzeitigen Klatsch und Tratsch noch einmal auf. Von und über Zuckerkandl erfährt man dabei eher wenig. Denn der Autor zieht Histörchen aus Zuckerkandls scheinbar so sehr viel unterhaltsameren Kreis prominenter Bekannter offenbar vor. So wird die eigentliche Protagonistin des Buches oft an den Rand gedrängt. Andererseits bettet der Autor sie so tief in die Welt- und Literaturgeschichte ein, dass sie gelegentlich darin zu versinken droht. Laut Alma Mahler-Werfels Memoiren, erklärt Schulte, sei Zuckerkandl "nicht mehr als eine geschätzte Statistin" in Mahler-Werfels Leben gewesen. Eine andere Rolle gesteht er Zuckerkandl in großen Teilen seines eigenen Buches ebenfalls nicht zu, so dass sich die Frage aufdrängt, was ihn veranlasst haben könnte, überhaupt ein Buch über sie zu schreiben. Man kann die Vermutung nicht ganz von sich weisen, dass sie ihm nur wegen ihres illustren und prominenten Bekanntenkreises eine Biografie wert gewesen ist, kaum aber um ihrer selbst willen.

Darauf deutet auch hin, dass eine gewisse Geringschätzung Zuckerkandls das Buch durchzieht. Immer wieder muss sie sich von Männern belehren lassen und immer wieder sind sie es, die ihr Interesse an bestimmten Dingen und Themen wecken. So führte ihr Mann Emil Zuckerkandl "geduldig" in die "komplizierte Materie" seiner Profession ein, Georges Clemenceau machte sie "mit den neuesten Strömungen der Malerei bekannt" und "ein Maler [...] stieß sie in die Politik". Eigeninitiative entwickelt sie in der Darstellung Schultes hingegen kaum. Ihre Urteile in Sachen Kunst beruhten Schulte zufolge "zuweilen [...] mehr auf Sympathie oder Antipathie als auf Kenntnissen", die zumindest in musikalischer Hinsicht "ohnehin nicht sonderlich ausgeprägt" gewesen seien. Überhaupt sei ihr "meist mehr an den Künstlern als deren Werken gelegen" gewesen. Ansonsten habe sie ihrem Ruf, eine "Betriebsnudel" zu sein, "alle Ehre" gemacht. Eine Charakterisierung, die Schulte "nicht unbedingt negativ" verstanden wissen will. Allerdings dürfte auch er wohl kaum jemanden, den er als ernstzunehmende Person schätzt, als "Betriebsnudel" apostrophieren. Bei allen Schwächen und Unzulänglichkeiten sei Zuckerkandl - so addiert er eine weitere hinzu - "nicht frei von Selbstüberschätzung" gewesen.

Von dem insgesamt abschätzigen Subtext ist auch die Darstellung der Journalistin durchdrungen. Zuckerkandls journalistische Arbeiten - eine "Mischung aus Berichterstattung, Engagement, aus Kritik an bürgerlicher Konvention" - habe sie mit "polemischem Mut" und "immer leidenschaftlich subjektiv" verfasst, "ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen". Von einer eventuellen Sachkenntnis der von ihr behandelten Themen ist hingegen nicht die Rede. Statt dessen ventiliert Schulte zwei Weiblichkeitsklischees: das der bescheiden im Hintergrund agierenden und das der subjektiven, gefühlsbetonten Frau.


Titelbild

Michael Schulte: Berta Zuckerkandl. Saloniere, Journalistin, Geheimdiplomatin.
Dressler Verlag, Hamburg 2006.
254 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 385535720X

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