Bauformen der Festschrift

Eine Hommage an Eberhard Lämmert

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Festschrift ist einer hochstehenden Persönlichkeit gewidmet. Germanistikprofessoren bekamen sie früher quasi automatisch, sobald sie emeritiert wurden, bestenfalls ab dem 65. Geburtstag alle fünf Jahre eine. Das ist heute etwas anders. Heute ist eine Festschrift das, was kein Verlag mehr will, weil sie viel Geld kostet und wenig bringt, da sich außer Bibliotheken fast keine Abnehmer mehr finden. Der schlechte Absatz hat inhaltliche, letztlich aber festschriftstrukturimmanente Gründe. Eine Festschrift wird nur durch den, dem sie gewidmet ist, im Innersten zusammengehalten. Die Beiträge streben auseinander wie Tropfen aus einer Pfütze, in die ein Stein gefallen ist. Höchster Zweck der ersten Kategorie von Beiträgern ist nicht eigentlich die Ehrung des Jubilars, sondern die Schärfung des eigenen Profils, und das geht am besten mit etwas, was so ganz anders ist als alles andere. Die zweite Kategorie von Beiträgern besteht aus arrivierten Professoren, die für ihre Teilnahme eigentlich gar keine Zeit haben, aber natürlich dabei sein wollen oder müssen und deshalb schnell etwas zaubern. Um diese ganz unterschiedlichen Beiträge irgendwie zusammenzubinden, wird dann ein Titel gewählt, der wunderbar allgemein ist. Je allgemeiner der Titel, desto größer ist die Chance, dass es sich um eine Festschrift handelt.

Natürlich gibt es auch Ausnahmen, liebevoll gemachte Festschriften und Beiträger, die wirklich nur dem geschätzen Freund und Kollegen eine Ehre erweisen wollen. Die Festschrift, um die es geht, liegt irgendwo in der Mitte zwischen den beiden skizzierten Extremen. Ihre Grundlegung im renommierten Metzler-Verlag verdankt sie wohl ausschließlich dem Bekanntheitsgrad Eberhard Lämmerts, einem der ganz Großen der Nachkriegs-Literaturwissenschaft. Das Buch ist zweifellos liebevoll und mit Engagement gemacht, auch lassen sich die Beiträge immerhin in vier Kapiteln zusammenfassen: I. Formen des Erzählens in Literatur und Kulturgeschichte; II. Poetik des Romans; III. Literatur und andere Künste, Medien und diskursive Praktiken; IV. Literaturrezeption und politische Kultur. Wer jedoch das Buch nach seinem Haupttitel "Literaturwissenschaft und politische Kultur" gekauft hat, muss einen sehr offenen Politik-Begriff haben, um nicht über die geringe Zahl der Beiträge enttäuscht zu sein, die sich ganz konkret mit der Schnittmenge von Literatur und Politik beschäftigen.

Liebevoll gemacht ist die Festschrift auch deshalb, weil sie ein informatives Vorwort über Lämmerts Werdegang und ein eindrucksvoll umfangreiches Literaturverzeichnis seiner Schriften enthält. Was das Erscheinungsbild der Beiträge angeht, bürgt Metzler für Gediegenheit, auch wenn es natürlich, ein Zeichen der Zeit, vereinzelt Fehler gibt. Bleibt die Frage nach der Qualität der Inhalte. Da ist dieser Band keine Ausnahme von der Regel, die da heißt: höchst durchwachsen.

Beim näheren Hinsehen zeigt sich, dass trotz der vier Großkapitel die Verschiedenheit der Beiträge kaum größer sein könnte. Zuerst erfährt man etwas über Freud, dann über Ufos, gefolgt von einer Analyse der Gattungspoetik des antiken griechischen Schriftstellers Lukian und einem Beitrag, der sich mit "Traumvisionen in der chinesischen Prosa der Ming-Zeit und in der deutschen Romantik" beschäftigt. So geht es bunt gemischt weiter. Nun entwickelt diese Buntheit beim Lesen aber einen ganz eigenen Reiz, und es überrascht nicht mehr, wenn in einem Beitrag zu Kleist ganz selbstverständlich Karl Valentin zitiert wird. Weitere Autoren, über deren Werk man etwas erfährt, sind u. a. (in dieser Reihenfolge) der nicht fehlen könnende Goethe, Friedrich Hebbel, Franz Fühmann, Franz Kafka, Walter Benjamin, Jurek Becker, Christoph Ransmayr, Georg Christoph Lichtenberg, Jonathan Swift, Richard Wagner, Martin Walser, Peter Weiss, J. M. R. Lenz, Bert Brecht und Elias Canetti.

Dazu kommen einige groß angelegte Überblicke: Erhellend Hartmut Eggerts "Roman und Wissenschaft im 19. Jahrhundert", mit Sätzen, zu denen man entschieden mit dem Kopf nicken muss. Ein Beispiel: "Die Unterhaltungsindustrie der Belletristik und von Film / Fernsehen lebt bis heute von ästhetischen Münzen, die im 19. Jahrhundert geprägt wurden." Ein brandneues Thema packt Gundolf S. Freyermuth mit seinem Beitrag an: "Cyberfiktion und Gesamtdatenwerk". Wer sich mit den Möglichkeiten der sogenannten virtuellen Realität noch nicht näher beschäftigt hat, erfährt hier Staunenswertes. Jörn Stückrath gibt kundig post-strukturalistische "Anregungen zur Analyse literarischer Texte". Er probiert ein neues Instrumentarium aus, geboren aus dem Mangel, dass es "nur wenige inhaltsbezogene Begriffe" in der literaturwissenschaftlichen Textanalyse gibt. Als letzter der Beiträger entwickelt Ralf Schnell einige Gedanken über "Kunst, Geist und Macht", sicher ein passender Schluss.

Ein schönes Buch, man kann es nicht anders sagen: Gebunden, dunkelblauer Umschlag, dezent hellblaue und weiße Schrift. Liegt gut in der Hand, sieht teuer aus. Und ist eine Festschrift.

Titelbild

Winfried Menninghaus / Klaus R. Scherpe: Literaturwissenschaft und politische Kultur.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 1999.
320 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3476017346

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