Heimat Deutschland mit Rückfahrkarte
In seinen neuesten Balladen berichtet Wolf Biermann von seiner Heimat an der Wasserkante - und aus Südfrankreich
Von Volker Strebel
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" - dieser Satz von Wolf Biermann kennzeichnet treffend nicht zuletzt seine eigene Entwicklung. Als Sohn kommunistischer Eltern am 15. November 1936 in Hamburg geboren, übersiedelte er 1953 in die DDR. Bald fiel er dort allerdings in Ungnade, seit 1965 unterlag er einem Veröffentlichungs- und Auftrittsverbot. Seine Ausbürgerung aus DDR nach einem legendären Auftritt in Köln im November 1976 erwies sich aus der Rückschau als Anfang vom Ende der DDR selbst. Nicht nur Intellektuelle, vor allem Schriftsteller und Künstler, hatten in bislang nie dagewesener Deutlichkeit die rigide Entscheidung der Machthaber in der DDR kritisiert und sie zur Zurücknahme aufgefordert.
Vergeblich! Der Kommunist Biermann saß fortan gegen seinen Willen in der Bundesrepublik fest - und entwickelte sich, ganz dialektisch, in ungeahnten Bahnen weiter. Zwei Stränge korrespondierten lose miteinander - die politisch-ideologischen Positionen und die künstlerisch-literarische Produktion. Es geht hierbei nicht darum, die eine Entwicklungslinie gegen die andere auszuspielen. Mäanderartig hatten sie sich in allen Entwicklungsphasen Wolf Biermanns immer wieder einander bedingt, einander überkreuzt und zugleich auch für eine gesunde Distanz gesorgt. Insofern waren Biermanns politisch motivierte Texte künstlerisch ausgereift genug, um nicht in plumper Agitation zu verharren - und seine Balladen gaben gleichzeitig immer mehr her, als verspieltes Wortgeklingel. Dieses Oszillieren findet sich auch in etlichen Texten des vorliegenden Bandes. "Im Languedoc" spielt Biermann seine Lebensstationen noch einmal durch und bündelt im Refrain sein Resümee: "Die Menschheit erretten ist sicherlich / ein Haschen nach Wind und ein eitler Wahn / Doch gar nix mehr tun / und klein beizugeben / ist leichter für mich / gesagt als getan".
Wolf Biermanns neuester Gedichtband ist zweigeteilt - kein Wunder bei einem Dichter, der die Dialektik als Denkstruktur zu schätzen gelernt hat. Der erste Teil ist mit "Heimat" überschrieben, der zweite Teil, der in der Fremde entstand, mit "Heimweh". Gattungsmäßig dominieren Lieder und Balladen, in der Motivik überrascht auf den ersten Blick die Häufigkeit von Naturbildern, die, wie im Gedicht "Boeing über der Geltinger Bucht" gut gelungen sind: "Der wilde Apfelbaum wirft rosa Blüten ab / Und die Kastanie strahlt mit ihrer Kerzenpracht / Des Baches Wasser singen stumm ihr Lied im Bett / Es klatscht vom Rand mit ordinärem Rot der Mohn".
Doch die Idylle täuscht. Biermann beobachtet ein Rebhuhn im Feld, während das Düsenflugzeug das blaue Firmament zerteilt, und wieder einmal fällt ihm das Schicksal der Mythenpaarung Dädalus und Ikarus zu. Die scheinbar unscheinbare Wirklichkeit eines namenlosen Augenblicks verknüpft sich mit Träumen und Visionen, die das Gedächtnis der Menschheit kennzeichnen. Biermann führt auf diese Weise vor, wie er sich vom wahren Leben anregen lässt. Dass sein Ton schnoddrig und keck ausfallen kann, ist bekannt. Seine zuweilen deftige Sinnlichkeit ist kraftvoll und unbegrenzt vitalistisch, wenn auch manch andere Verse von einem neuartigen Schatten gestreift werden. "Seit mein Leib sich wichtig macht mit Schwäche / Es ist, als ob ich manchmal unsre Ehe breche / Schwul mit dem Tod, der mir versteckte Zeichen schickt" reimt Biermann und gesteht sich sein Alter ein.
Wolf Biermann als bloßen Barden abzutun, greift zu kurz. Gerade in seinen Balladen belegt er behende die Kunst, die deutsche Sprache souverän zu formen und zu modellieren. Im südfranzösischen Banyuls denkt er bei Tag und bei Nacht an Deutschland, findet Verse über seine alten Kämpfe in der DDR. Die Distanz regt ihn zur Nähe an und so trifft er sich ausgerechnet mit Gottfried Benn zu einem anregendem Plausch. Die Pyrenäen sind nicht weit, in denen Walter Benjamin zu Tode kam.
Zuhause in Hamburg liest Biermann im Himmelsgestirn und schreibt "Milchstraße", eine Hommàge an Rosi Biermann, der jüngeren Schwester seines Vaters Dagobert Biermann. Beide hatten die Judenverfolgung in der Nazizeit nicht überlebt. An dieser Stelle gerät Biermann in einer als Erklärung gedachten Anmerkung ins Erzählen. Auch in früheren Büchern finden sich derlei Einlassungen und haben längst gezeigt, dass Biermann nicht nur ein Liedermacher, Dichter und Essayist, sondern auch ein hervorragender Erzähler ist. Es ist seine Autobiografie, sein Lebensbericht, der ansteht und an dem er hoffentlich längst schreibt. Nicht zuletzt um seiner ermordeten Familie Willen.
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