In Liebe und Freundschaft
Zum Briefwechsel zwischen Friderike und Stefan Zweig
Von Ursula Homann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDen ersten Schritt unternahm Friderike von Winternitz, geborene Burger. Am 25. Juli 1912 schreibt sie an den "lieben Herrn Stefan Zweig" einen fast devoten unsignierten Brief, teilt ihm aber vorsorglich ihre Adresse "postlagernd" mit. Sie drückt ihre Verehrung und Bewunderung für den Adressaten aus und gesteht gleichzeitig, dass auch sie dichte. "Vielleicht haben Sie in den vergangenen Tagen etwas von mir gelesen oder darüber weggeschaut." Im nächsten Brief redet sie ihn mit "Verehrter Herr Doktor" an.
Im September 1912 erreicht den Schriftsteller ein Brief aus Wien: "Mein verehrter Herr Doktor, bitte kommen Sie Montag! Ich bin froh, Sie erwarten zu dürfen Ihre sehr ergebene Maria Friderike v.Wint." Tatsächlich sind sich die beiden in diesem Monat zum ersten Mal begegnet. Leider sind die Briefe von Stefan Zweig aus der Zeit der Annäherung verschollen. Eine gewisse Entschädigung bietet sein Tagebuch. Am 23. September 1912 notiert er: "Nachmittags bei Frau v.Wi. Das nun ein gutes Gespräch mit einer wahrhaft sensiblen Frau, die wohl das Zarteste ist, was man sich erdenken kann." Fast schwärmerisch äußert er sich über seine neue Verehrerin.
Friderike Maria - das sei kurz angemerkt - entstammte einer jüdischen Familie, war im 23. Lebensjahr zum katholischen Glauben konvertiert, und in dem Jahr, in dem sie die Bekanntschaft mit Zweig suchte, mit Dr. Felix von Winternitz verheiratet. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, die 1907 geborene Alix und Suse, die 1910 das Licht der Welt erblickt hatte.
Einen Monat, nachdem sie sich persönlich kennen gelernt hatten, fand die Uraufführung von Zweigs Schauspiel "Das Haus am Meer" statt. "Der Abend war ein ausgesprochener Erfolg für den Dichter", berichtet Friderike für das "Hamburger Abendblatt" und lässt so auch die heutigen Leser des neu herausgegebenen Briefwechsels zwischen ihr und dem Schriftsteller an Zweigs Ruhm hautnah Anteil nehmen.
Friderike schreibt weiterhin an den "Verehrten Herrn Doktor", unterzeichnet mit "Ihre ergebene Friderike Maria Wint" und ist ihrem Briefpartner überhaupt sehr zugetan. Stefan wiederum lobt ihre stille scheue Art, die ihn "unendlich anzieht".
Der Leser erlebt mit, wie die Beziehung langsam, aber stetig wächst und wie aus dem Gefühl der Geistesverwandtschaft Zuneigung wird. Noch im Dezember des selben Jahres kommt es zum "Du". Stefan lässt sich auch über seine Reisen in seinem Tagebuch aus. In Paris lernt er Marcelle kennen, die bald seine Geliebte wird. Währenddessen verfasst Friderike ein Buch "Über das Seelische in der Krankenpflege". Zweig urteilt über Marcelle am 22. April 1913: "Sie ist schweigsam in ihren Dingen, stark im Leiden und groß im Mitleide" und findet zwischen ihr und Friderike manche Ähnlichkeit. Aber er hält auch in seinem Tagebuch einen "Besuch Fri.'s" fest: "Sie ist lieb und zart". In dieser Zeit kam es offensichtlich, wie Andeutungen zu entnehmen ist, zum Austausch von Intimitäten zwischen Stefan Zweig und dem "Lamm", wie er sie liebevoll nennt.
Während Zweig in der Stadt an der Seine sich weiterhin mit Marcelle trifft, ist Friderike fest entschlossen, ihre katholische Ehe zivilrechtlich trennen zu lassen.
Am 4. August 1914, zu Beginn des Einmarschs deutscher Truppen im neutralen Belgien, vertraut Zweig seinem Tagebuch an: "Ich glaube an keinen Sieg gegen die ganze Welt - jetzt nur schlafen können, sechs Monate, nichts mehr wissen, diesen Untergang nur nicht erleben, dieses letzte Grauen. Es ist der entsetzlichste Tag meines ganzen Lebens - ein Glück, dass F. [Friderike] wieder hier ist, sie hat Macht der Beruhigung über mich."
In den Kriegsjahren entsteht Zweigs Tragödie "Jeremias". Sie erscheint 1917 im Insel Verlag zu Leipzig. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern mit der Widmung "Friderike, Maria Winternitz, dankbarst, Ostern 1915 - Ostern 1917."
Ab dem 1. Mai 1919 lautet Zweigs neue Adresse Salzburg, Kapuzinerberg 5. Seine Mutter Ida Zweig hatte kurz zuvor einen herzlichen Brief an ihre zukünftige Schwiegertochter gerichtet. Doch konnte Friderike erst 1920 die Frau ihres Sohnes werden, da sich die Auflösung ihrer ersten Ehe überaus schwierig gestaltet.
Als sie Stefan Zweigs Frau geworden ist, entpuppt sie sich als eine recht resolute Person, die stets ein waches Auge auf die literarischen Arbeiten ihres Mannes wirft. Hin und wieder tadelt sie ihn auch. Stefan Zweig hingegen übt zuweilen Kritik an Friderikes Erziehung ihrer schwierigen Töchter.
Auch nachdem Friderike Zweigs Frau geworden ist, setzt sich wegen seiner häufigen Reisen der briefliche Austausch fort. Seine Briefe kommen aus Frankfurt, Stuttgart, Wien, Zürich, Marienbad, Berlin, Paris, Weimar und Hamburg. Mitunter berichtet er über den Fortgang seiner schriftstellerischen Arbeiten und gesteht, dass auch ihm das Schreiben ab und an Schwierigkeiten bereitet. In solchen Momenten rückt er uns auch als Dichter ganz nahe. Friderike wiederum schickt Grüße aus Warnemünde, wo sie mit ihrer Tochter Suse Ferien macht.
Allmählich werden die Briefe prosaischer. Zweig begnügt sich zuweilen mit der Anrede "L.F.". Einen beginnt er mit der verwunderten Frage nach einem kurzen Dank für Friderikes "melancholischen Brief": "[...] mir ist nicht recht klar, wieso das Haus so viel zu tun gibt und außerdem kommst Du doch gerade von München."
Die Gescholtene wiederum wehrt gegen den "Vorwurfsbrief" von Stefan. In einem anderen Brief vom 9. August 1927 erweist sie sich dagegen großzügig: "Mein Liebes, casanovre, so wie es Dir am Besten behagt, teils so, teils so, wird wohl das Vernünftigste sein."
Obwohl Zweigs Frau nur mäßigen literarischen Erfolg hatte, ließ sie es sich nicht nehmen, auf Zweigs Schreiben einzuwirken und im Literaturbetrieb kräftig mitzumischen. Zunehmend empfand Stefan den Eigensinn seiner Frau als Plage. Vieles nervte ihn.
Leise Vorwürfe klingen in einem Brief vom 7. Juli 1930 an, den Friderike aus der Schweiz schickt: "Es ist ziemlich zweifelhaft, dass Du ausführliche Briefe liest, aber vielleicht interessiert es Dich doch halbwegs, wie es uns hier gefällt." Er fragt zurück: "darf ich bescheidentlich anfragen, weshalb Du Dein Brieflein so giftig beginnst [...]" und weiter unten "hast Du Raupen im Kopf, dass Du mit Grobheiten beginnst?" Ungefiltert und ungeschminkt wird man durch die Korrespondenz mit den Gefühlen und Unstimmigkeiten der beiden konfrontiert.
Als das schlimme Jahr 1933 anbricht, steht das Ehepaar Zweig vor einer schweren Beziehungskrise. Zweig lässt sich in London nieder. Seine dortige neue Sekretärin Lotte Altmann wird bald seine Geliebte und bei Kriegsbeginn seine zweite Ehefrau. In diesen Jahren kommt es immer vor, dass Stefan seine Briefe mit handschriftlichen Ergänzungen in die Maschine diktiert. Nun geht es in erster Linie um geschäftliche Angelegenheiten, die nicht ohne Reibungen und Missverständnisse abgehen. Friderike antwortet betont sachlich und weist alle Unterstellungen zurück. Kurzum, man versteht sich in vielen Dingen nicht mehr. 1938 kommt es zur Scheidung.
Doch der Briefwechsel geht weiter. Man gratuliert einander zum Geburtstag. In einem der Briefe Zweigs heißt es: "Lotte lässt grüßen". Gelegentlich schreibt Lotte direkt an Friderike. Mehr und mehr spiegeln Stefan Zweigs Exilbriefe an Friderike seinen Leidensweg wider bis zum selbst gewählten Ende 1942. Der letzte Brief von ihm ist "in Liebe und Freundschaft" an Friderike gerichtet. Der in Englisch abgefasste Brief ist, wie auch der erste Brief von Friderike an Stefan Zweig, in dem vorliegenden Band zusätzlich im Faksimile wiedergegeben.
Die von Jeffrey B. Berlin und Gert Kerschbaumer vorbildlich betreute Ausgabe enthält zahlreiche revidierte und bisher unveröffentlichte Briefe. Insgesamt sind sie eine gute Ergänzung zu Oliver Matuscheks Zweig-Biografie "Drei Leben", und da die Neuausgabe als Erzählung konzipiert wurde, (zwischen den Briefen stehen kurze Erläuterungen), auch fesselnd zu lesen. Zudem dürften beide Bücher der Wahrheit von Stefan Zweigs Persönlichkeitsbild erheblich näher kommen als seinerzeit Friderike Zweig mit ihrer doch recht subjektiv getönten Lebensbeschreibung "Stefan Zweig, wie ich ihn erlebte", in der sie nebenbei ihr eigenes Bild als Dichtergattin und Dichterwitwe geschönt und seine zweite Ehefrau Lotte ungünstig dargestellt hat.
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