Mehr als ein Schauspieler
Neues von und über Klaus Kinski
Von Horst Schmidt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAls der Rezitator und Schauspieler Klaus Kinski 1991 nach einem dramatischen und rastlosen Leben auf der Überholspur im Alter von erst 65 Jahren in Kalifornien an einem Herzinfarkt starb, schien sein Stern am cineastischen Himmel schon fast erloschen. Seine Erfolge als Rezitator lagen bereits Jahrzehnte zurück, dem Theater hatte er schon lange den Rücken zugekehrt, Regisseure und Produzenten weigerten sich, mit dem als unberechenbar geltenden, von den Medien als "Irrer vom Dienst" bezeichneten Schauspieler zusammenzuarbeiten, sein 1989 beendetes Filmprojekt "Paganini" hatte sich als künstlerische und kommerzielle Katastrophe erwiesen. Kinski war ausgebrannt. Er war zum Zeitpunkt seines Lebensendes erloschen wie eine Kerze, die zu lange an beiden Enden gebrannt hatte.
Erst seit einigen Jahren wird Kinski, der 1926 als Nikolaus Günter Karl Nakszynski in Zoppot (bei Danzig) geboren wurde, dreimal verheiratet war und Vater der ebenfalls als Schauspieler tätigen Geschwister Pola, Nastassja und Nikolai Kinski ist, wiederentdeckt und seine Bedeutung als Rezitator, Bühnendarsteller und Filmschauspieler gebührend und angemessen gewürdigt. Viel beachtete Ausstellungen widmeten sich dem Bühnen- und Filmschaffen Kinskis, mehrere in den letzten Jahren erschienene Bücher setzen sich kritisch mit dem Phänomen Klaus Kinski und seinem Nachruhm auseinander.
Zum 80. Geburtstag des exzentrischen Mimen, der Zeit seines Lebens (und darüber hinaus) mit immer neuen Skandalen den Medien Stoff lieferte, sind nun zwei Bücher über bzw. von Kinski erschienen, die besondere Aufmerksamkeit verdienen.
Beim Aufbau Verlag hat der 1972 geborene österreichische Filmkritiker und Journalist Christian David eine umfangreiche Biografie über Klaus Kinski vorgelegt, die erst gar nicht versucht, den gleichermaßen faszinierenden wie sonderbaren Charakter des Egomanen, Cholerikers und Sexmaniacs Kinskis psychologisch zu ergründen - sondern sich stattdessen auf die chronologische Wiedergabe der belegbaren Fakten in Kinskis Leben und Karriere beschränkt.
Der Leser begleitet Klaus Kinski auf seinem Lebensweg mit den wichtigsten Stationen Berlin, München, Wien, Rom, Paris und Kalifornien, erlebt die letztlich gescheiterten Versuche des Autodidakten Kinski, an deutschen bzw. österreichischen Theatern Fuß zu fassen, wird Zeuge seiner Erfolge als Rezitator und verfolgt minutiös Kinskis schauspielerisches Mitwirken in unzähligen Filmen. Angefangen von Nebenrollen in deutschen Nachkriegsfilmen, Psychopathen-Rollen in der erfolgreichen Edgar-Wallace-Filmreihe der 60er-Jahre, das Genre prägenden Darstellungen als finsterer Schurke in zahllosen Italo-Western, darunter Klassiker wie Sergio Leones "Für ein paar Dollar mehr" (1965) und Sergio Corbuccis "Leichen pflastern seinen Weg" (1968), bis hin zur Zusammenarbeit mit dem deutschen Regisseur Werner Herzog, der mit Kinski in der Hauptrolle zwischen 1972 und 1987 fünf Spielfilme drehte ("Aguirre, der Zorn Gottes", 1972; "Nosferatu - Phantom der Nacht", 1979; "Woyzeck", 1979; "Fitzcarraldo", 1981; "Cobra Verde", 1987) und ihm 1999 den Dokumentarfilm "Mein liebster Feind" widmete. Christian David erwähnt auch die unzähligen Trash-Filme, in denen Kinski nur des Geldes wegen mitspielte, und erzählt von der chaotischen Entstehungsgeschichte des "Paganini"-Projekts, das Kinski 1987 bis 1989 als Autor, Hauptdarsteller, Regisseur und Produzent in Personalunion verwirklichte.
Nur am Rande geht Christian David in seiner faktenreichen, gründlich recherchierten Biografie auf den Autor Kinski ein. Dies zu Unrecht, denn Kinski war auch ein durchaus beachtlicher Schriftsteller. Seine umfangreichen autobiografischen Bücher "Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund" (1975), "Ich brauche Liebe" (1991) und "Paganini" (1991) zählen trotz ihrer Ausflüge ins Pornografische zur literarisch anspruchsvolleren Memoirenliteratur von Schauspielern.
Und Kinskis wenige im engeren Sinne literarische Texte offenbaren sogar eine starke dichterische Ader. Überzeugen kann man sich jetzt davon in einem schmalen, von Peter Geyer bei Suhrkamp herausgegebenen Taschenbuch, das Kinskis legendären Bühnentext "Jesus Christus Erlöser" und die bereits in den 50er-Jahren entstandene, aber erst 2001 erstmals veröffentlichte Gedichtsammlung "Fieber - Tagebuch eines Aussätzigen" enthält. Während die Gedichte Kinski als zwar talentierten, aber wenig originellen Adepten der deutschen Expressionisten und der von ihm seinerzeit häufig rezitierten französischen "poetes maudits" Arthur Rimbaud und Francois Villon ausweisen, ist der Monolg "Jesus Christus Erlöser" eine literarische Entdeckung.
Mit diesem Text, einer geschickten Montage aus Zitaten des neuen Evangeliums, agitatorischen 68er-Phrasen und Schimpftiraden hatte Kinski 1971 vergeblich sein Comeback als Rezitator versucht, kam jedoch über zwei skandalträchtige Auftritte, von denen der erste mittlerweile auch als CD-Mitschnitt erhältlich ist, nicht hinaus. Es ist zu hoffen, dass Kinskis furioser Text "Jesus Christus Erlöser" nun nach seiner Erstveröffentlichung in gedruckter Form wieder den Weg auf die Bühnen finden wird. Auf dass neben dem Schauspieler und Rezitator auch dem Schriftsteller Klaus Kinski Gerechtigkeit widerfahre.
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