Wahlverwandtschaften

Ein von Walburga Hülk, Gregor Schuhen und Tanja Schwan herausgegebener Sammelband befragt die (Post-)Gender-Welt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei Fragen leiten das Erkenntnisinteresse der Beiträge eines von Walburga Hülk, Gregor Schuhen und Tanja Schwan herausgegebenen Sammelbands zur (Post-)Gender-Welt. "Wie werden im Spannungsfeld von Medien- und Reproduktionstechnologie Geschlecht, Begehren und Macht choreographiert?" lautet die erste. Die zweite richtet ihren Fokus auf KünstlerInnen der "historischen Avantgarde" und untersucht, inwiefern sie (Post-)Gender-Phantasien vorweggenommen haben. Die dritte, zugleich wichtigste und spannendste Frage sucht zu ergründen, ob nach den "radikalen Interventionen" von Donna Haraway und Judith Butler überhaupt noch "Weiterentwicklungen" der Gender-Theorie denkbar sind, oder ob sich nicht vielmehr langsam abzeichnet, dass das Gender-Paradigma veraltet und es bald von anderen, neueren Ansätzen ersetzt werden wird.

Wie die HerausgeberInnen des auf eine im Dezember 2003 an der Universität Siegen abgehaltene Tagung zurückgehenden Buches darlegen, wird die Fragen-Trias von der Absicht getragen, "neueste Tendenzen der Implementierung von Aspekten der Medialität in die (Post-)Gender-Forschung [zu] explorieren". Scheine der Körper "[i]m Zuge postmoderner Dezentrierung und Heterogenisierung von Subjektpositionen" einerseits "vom Verschwinden bedroht" zu sein; sei andererseits in jüngster Zeit jedoch gerade eine "Konjunktur" von Konzepten zu beobachten, die eine 'Wiederkehr des Körpers' postulieren und dessen "Rettung" über "seine Neukonzeption als diskursiver Effekt" unternehmen. Letzteres ein Unterfangen, das von den HerausgeberInnen als gelungen gewürdigt wird. Allerdings sei es notwendig, einen dritten Weg zwischen "verabsolutiertem Konstruktivismus und strategisch eingesetztem Essentialismus" zu beschreiten, da die "Materialität des Körpers" in eine "Leerstelle des Diskurses" einbreche, "um an den Kreuzpunkten von Körper und Text das gender einzuholen". Angesichts dessen sei mit Joan Scott zu fragen, ob Gender überhaupt noch eine nützliche Kategorie ist. (Zu der von Scott aufgeworfenen Problematik vgl. literaturkritik.de 11/2001 )

Der Bogen der Beiträge spannt sich ebenso über den gesamten Zeitraum des 20. Jahrhunderts - mit Schwerpunktsetzungen zu dessen Beginn und dessen Ende - wie über die Bereiche der Literatur, der bildenden Kunst, des 'Gesamtkunstwerks' Video-Clip und anderer Medien. Beleuchtet werden die Gender-Inszenierungen beziehungsweise -konzeptionen europäischer, US-amerikanischer sowie nordafrikanischer KünstlerInnen. So geht Annette Runte dem "Mythos der weiblichen Avantgarde" anhand der Beispiele Ida Rubinstein, Elsa von Freytag-Loringhoven und Claude Cahun nach, Katalyn Székely beleuchtet den Cyborg- und Golem-Mythos in Marge Piercys) Roman "He, She And It", einem der meist-interpretierten Sci-Fi-Erzeugnisse der letzten Jahrzehnte, Randi Gunzenhäuser untersucht "[h]ysterische Männer und Maschinen" im Computerspiel "Syberia" und Claudia Liebrand legt eine erhellende Interpretation von Robbie Williams' Striptease-Video "Rock DJ", vor, in der sie zu der These gelangt, dass Gender "gewissermaßen als traumatischer Kern im post-gender" zurückbleibt. Dies wiederum bedeute, "dass gender-theoretische Analysen nicht so schnell überholt sein werden".

In einem weiteren lesenswerten Beitrag weist Uta Felden auf die "[h]ybride[n] Inszenierungen" von Körper, Schaulust und Geschlecht in dem Roman "Vaste est la Prison" der Algerierin Assia Djerbars hin. Djerbar entlarve die im "traditionellen Gendering verankerten Blickdispositive, bei denen die Frau auf die Rolle der Angeblickten festgelegt wird", als Konstruktionen, mit denen "in dekonstruktivistischer Manier gespielt" und die stets verkehrt werden können. So entlarvt Djerbar Genderkonfigurationen und Blickanordnungen Felden zufolge "ganz im Sinn der gängigen Thesen von Judith Butler" als "free floating artifaces", als "Produkte kultureller Zuschreibungen", die keine essentialistischen Kategorien darstellen, sondern vielmehr Konstruktionen und somit Spielkonfigurationen sind, "die dynamischen Prozessen der Recodierung ausgesetzt werden können".

Auch andere AutorInnen entdecken Entsprechungen zwischen den untersuchten Produkten der Künstlerinnen und Literatinnen und den Thesen Judith Butlers. Gregor Schuhen, Mitherausgeber und einziger Autor neben elf Autorinnen, etwa wendet sich den "[h]ybriden Pop-Welten" Madonnas zu und konstatiert eine offensichtliche Wahlverwandtschaft zwischen deren "Rollenbildern" und dem "abstakten Theoriegebäude" von Butler.

Die Herausgeberinnen haben einen Band vorgelegt, dessen meist originelle Beiträge den durch das Vorwort hochgespannten Erwartungen insgesamt durchaus gerecht werden.


Titelbild

Walburga Hülk / Gregor Schuhen / Tanja Schwan (Hg.): (Post-)Gender. Choreographien / Schnitte.
Transcript Verlag, Bielefeld 2006.
233 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3899422775

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