"On a du style"

Thomas Hürlimanns Mutter-Buch

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Erfolg ist ihm gewiss: Wenn der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann, der in Berlin lebt, mit einem neuen Roman an die Öffentlichkeit tritt, ist die Kritik des Lobes voll. Die Reaktionen auf seinen jüngsten Roman "Vierzig Rosen" zeigen dies einmal mehr deutlich. Ein Meisterwerk lege er vor, die erfolgreichste Neuerscheinung des Schweizer Bücherherbstes 2006 - so tönt es allenthalben. Nachdem der in Zug aufgewachsene Autor mit "Der grosse Kater" eine Annäherung an seinen Vater, den Schweizer Bundesrat Hans Hürlimann, vorgelegt hat, geht er nun in seinem neuesten Roman den Wegen seiner Mutter nach. Ausgangspunkt ist der Geburtstag, der 29. August, an dem Marie Meier jedes Jahr mit vierzig Rosen, die ihr der Ehemann schicken lässt, beschenkt wird. Dass sich die Zahl nicht verändert, weist darauf hin, dass Marie ewig jung bleibt, und so wird sie denn auch gefeiert, in Bundesbern, wohin sie fährt, um sich mit ihrem Mann zum Geburtstagsessen im Hotel Grand zu treffen: als die jung gebliebene, schöne Bundesratsgattin.

Doch Marie Katz, so ihr Mädchenname, hat sich ihr Leben einst ganz anders vorgestellt: sie, die aus einer jüdischen Familie stammt, deren Mutter und Bruder - wie sie selber auch - getauft sind, die im Zweiten Weltkrieg in einem Kloster versteckt wurde, wollte Pianistin werden. Die Voraussetzungen dazu hätte sie. Auch nach der Hochzeit mit Max Meier, einem strammen aufstrebenden Juristen aus einfachen Verhältnissen, der schon früh ehrgeizige Pläne hatte, besuchte sie das Konservatorium. Es begann ein Doppelleben: zu Hause war sie die gutbürgerliche Ehefrau, in der Stadt die extravagante Künstlerin, Schülerin eines Lehrers, der für die kommunistische Weltrevolution lebte.

Obwohl gefangen in einer Rolle, die sie eigentlich nie wollte, wehrte sich Marie nicht, wie selbstverständlich gab sie das Klavierspielen auf, da sie gefordert war als Unterstützerin der Karriere ihres Mannes. Er wollte Bundesrat werden, und das war ein steiler Weg nach oben, nur mit ihrer tatkräftigen Hilfe würde er sein Ziel erreichen können. Ohne Klage trug sie ihr Schicksal, ein hartes zuweilen: die Totgeburt der Zwillinge, die Einsamkeit, die Krebserkrankung des Sohnes. "Lächeln, Marie, Lächeln" und "On a du style": solche Leitsprüche begleiteten Marie durch das Leben.

Marie Meier-Katz lässt ihr Leben an diesem Geburtstag, der sicher nicht der vierzigste ist, vorbeiziehen. Am Morgen, nachdem sie den Strauß entgegengenommen hat, beginnt das Ritual. Sie wird nach Bern fahren, sie wird ihre Rolle einmal mehr perfekt spielen, sie wird vom anderen Leben träumen, und sie wird sich bewusst sein, dass diese Träume nie Wirklichkeit werden würden. Besonders intensiv sind die Erinnerungen an den Vater, der sich treu geblieben ist und der an sie, die Konzertpianistin, geglaubt hat. Als sein Konfektionsunternehmen immer weniger gut ging und er sich in den 1930er Jahren durch politische Unsicherheit und zunehmenden Antisemitismus gefährdet sah, gab er vor, mit der Tochter - sie war gerade 13 Jahre alt - von Genua aus nach Afrika zu fahren und sie beide in Sicherheit zu bringen. Dass er nie beabsichtigt hatte, sie auf das Schiff mitzunehmen, sondern sie über diesen Umweg ins Kloster bringen ließ - mit Hilfe des Bruders -, ja, dass sie bis zu seinem Tod nie in Erfahrung bringen konnte, ob er tatsächlich je in Afrika war oder aber dies nur erzählte, vermochte ihre Liebe zum Vater nicht zu schmälern.

Obschon auch dieser Geburtstag nach dem seit Jahren bekannten Ritual abläuft, ist der Tag diesmal anders, denn seit dem Vorabend weiß Marie, dass ihr geliebter Sohn an Krebs erkrankt ist und gemäß Auskunft des Arztes noch ein, zwei Jahre zu leben habe. Sie weiß es, der Ehemann Max nicht, sie wird es ihm sagen, in der Hotelsuite, während sie sich bereit macht für den Abend. Auch wenn Max Meier der große Politiker, die bekannte Persönlichkeit ist und in der Öffentlichkeit steht, ist Marie die eigentlich starke Person in dieser Beziehung. Das macht sie an diesem trotz aller Wiederholungen besonderen Geburtstag deutlich. Sie ist die Überlegene, der Mann von ihr abhängig. Dass er nur wegen ihr das gesteckte Ziel erreichen konnte, muss ihm einmal mehr schmerzhaft bewusst geworden sein. Als ihm Marie von der Krankheit des Sohnes erzählt, muss er weinen. "Und jetzt, sagte sie mit einem zarten, geradezu entzückenden Lächeln, müssen wir uns zusammenreißen, ja?"

Auch wenn Thomas Hürlimann ein einfühlsames Porträt dieser Frau schreibt, vermag der Roman "Vierzig Rosen" nicht so ganz zu überzeugen. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass es ihm nicht gelingt, die Geschichten der verschiedenen Figuren zusammenzufügen. Marie (und auch Max) lebt in einem Umfeld, da gibt es Beziehungen zu anderen Menschen, doch bleiben diese übrigen Personen seltsam leblos, wie wenn sie keine eigene Geschichte hätten. Hinzu kommt, dass Thomas Hürlimann immer wieder schöne Geschichten zerredet, so dass die Spannung verloren geht. Trotzdem bietet "Vierzig Rosen" über weite Strecken ein hübsches Lesevergnügen und lässt ein Frauenleben zwischen Wünschen und Pflichten entdecken, das viele, insbesondere Leserinnen, an ihre eigene Geschichte erinnern wird.


Titelbild

Thomas Hürlimann: Vierzig Rosen. Roman.
Ammann Verlag, Zürich 2006.
364 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3250601004

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