Was war das doch gleich?

Thorsten Palzhoff begibt sich in "Tasmon" auf verlorenen Posten

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thorsten Palzhoff ist arm dran. Da googelt man ihn, und alles, was man bekommt sind Artikel, in denen erwähnt wird, dass ja sein Buch, "Tasmon", auch existiert, aber im Steidl-Verlagsprogramm nicht so wichtig ist. Denn die haben auch Günther Grass, und wenn der die Zwiebel häutet, bleibt kein Auge trocken. Nun ja. Aber jetzt den Grass mal beiseite. Da geht doch noch mehr. Also, mal einen Blick auf einen von diesen vergessenenen Autoren von Steidl werfen. Und da stellt sich auch nichts anderes raus als: Ja, Thorsten Plazhoff ist wirklich arm dran. Der sucht doch was. Jedenfalls sind seine Figuren ständig auf der Suche nach irgendetwas, das sie verloren haben.

Um das mal kurz zusammenzufassen: "Tasmon" enthält drei Erzählungen. In der ersten, "Lewkin" sucht ein Grüppchen Intellektueller während der deutschen Blockade Leningrads nach einen verschollenen Manuskript, während gleichzeitig das Manuskript sie sucht, und die ganze Geschichte sich in einer Art Zirkel immer weiter windet, während sie sich als einfaches Gespräch tarnt. In "Tasmon" wiederum versucht ein Erzähler, der sich als Engel ausgibt, die Geschichte eines verschollenen Vaters zu erzählen, der, so kann man vermuten, mit einem Boot aus der DDR floh. Der Erzähler aber macht lieber ein Märchen daraus, in dem der Vater auf der Suche nach dem mythischen Land Tasmon ist. "Laura", die dritte Geschichte, beginnt als eine Liebesgeschichte im zeitgenössischen Berlin, dessen tragisch Verstorbene ein merkwürdiges Eigenleben entwickeln und trotzdem verschwunden bleiben.

Alle Geschichten beschäftigen sich auf ihre Weise mit dem Verlust von geliebten Gegenständen und Personen. Und alle drei Erzählungen tun das nicht explizit, sondern ergehen sich in Andeutungen, bauen ein eigenes Universum aus Worten auf, die das eigentliche Ereignis umkreisen, es aber nie genau erfassen. In "Tasmon" ist der Blick auf die Welt merkwürdig unscharf, als wäre nicht nur in den Geschichten etwas verloren gegangen, sondern die Sprache selbst dem Verlorenen gefolgt, und nun müsste man sich aus dem Rest etwas zusammenkonstruieren, das dem eigentlich Erzählten so nahe wie möglich zu kommen versucht - es aber nur an der Seite kurz mal streift, als wäre das Erzählte aus dem ein oder anderen Grund unsagbar.

Was, natürlich, Palzhoffs Schreibprinzip ist, dass er in allen Geschichten rigoros durchzieht: Den Verlust von etwas mit einer Sprache zu erzählen, die selbst verloren ist, die nichts anderes mehr sein kann als eine schöne Lüge. Und da wird alles noch einmal eine Spur interessanter, zumal Palzhoff nicht irgendein dahergelaufener Jungautor Jahrgang 1974 ist, sondern Mitarbeiter des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung in Berlin, man also davon ausgehen kann, dass Aussagen zum Verlust der Sprache, zumindest zur Verlogenheit von Literatur, oder, warum nicht auch gleich: Sprache, wenigstens fundiert ausgedacht sind.

Man muss sich hier nur fragen, wie weit Palzhoff eigentlich vorstoßen will. Reicht es, wenn man ihm unterstellt, er wolle nur die Blockade Leningrads, den Verlust des Vaters, den Tod eines geliebten Menschen, auf die gleiche emotionale Unsagbarkeitsstufe stellen (was an sich ja eine schöne und romantische Idee ist)? Oder darf man an dem Rad noch weiter drehen, und sagen: Jawoll, hier handelt es sich um etwas, das einer über Sprache an sich sagen möchte?

Aber natürlich ist das keine Frage, die "Tasmon" beantworten würde, wie keine der Erzählungen Fragen beantwortet. Natürlich nicht. Warum denn auch? Darum geht es doch. Die Frage aufzuwerfen, was da jetzt eigentlich genau passiert ist und sich nie sicher zu sein. Was Palzhoff übrigens auch wunderbar gelungen ist, so wunderbar, dass es anstrengend ist, das Buch zu lesen: Eine Sekunde nur Unaufmerksamkeit, ein unachtsames Überfliegen eines Satzes, und das war's. "Tasmon" erfordert in der Hinsicht eine Menge Aufmerksamkeit und ein gutes Gedächtnis, und selbst dann kann es ziemlich frustrierend sein, und bedeutet eine Menge hin-und herblättern, um die verstreuten Erzähl-, nein, Verwirrstränge wieder zusammenzusuchen. Aber das muss ja nichts Schlechtes sein.


Titelbild

Thorsten Palzhoff: Tasmon.
Steidl Verlag, Göttingen 2006.
181 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3865213340

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