"Alles klar?" - "Ne, wieso?"

F. K. Waechters Cartoons als "Hochschule des Sehens" - und als Museum der Komik

Von Lino WiragRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lino Wirag

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man postmoderne Kunst durch Verweise auf vergangene Stile definiert, durch ironische In-Szene-Setzung und als Absage an das Vernunftsprinzip - dann war F.K. Waechter wohl der erste postmoderne deutsche Zeichner. Denn er schuf Titelbilder, Cartoons und hunderte anderer Wunderdinge, die ironisch, verweisreich und unvernünftig sind - und zwar zwischen den 1960er und 80er Jahren, im gleichen Zeitraum, in dem auch die Wissenschaften die Entstehung der Postmoderne ansiedeln.

"Alles klar?" - "Ne, Wieso?", hätte Waechter wohl gesagt. Und wieder mal Recht gehabt. Warum der bemühte Versuch, ihn in eine Ahnengalerie einzureihen, deren Bilder er besser hinbekommen hätte? Warum ihn auf eine Stufe mit habituellen Ernstmachern herabziehen, denen Ironie schon dann attestiert wird, wenn sie eine Wurst malen (Polke) oder aufblasbare Häschen aus rostfreiem Metall gießen (Koons)? Waechters Können überragt solche musealen Scherze: Er ist der bekannteste Vertreter Komischer Kunst in Deutschland. Und diesem schöpferischen Sonderweg wurden und werden inzwischen völlig zu Recht eigene Musentempel errichtet (so das "Museum für Komische Kunst" in Frankfurt). Dem Kosmos Waechter deshalb - wie im ersten Absatz versucht - mit halbgebildeter Theorie beizuspringen, hieße, Stützräder an einen Felsen zu montieren. Auch wenn Waechter sicher ein besseres (meint: komischeres) Bild gefunden hätte.

Dass der Verlag den Inhalt des Bändchens "Alles klar?" als "Cartoons" bezeichnet, ist eine unzulässige Vereinfachung, vom Wunsch getragen, im Humorregal des Großbuchhandels mehr Käufer zu finden, als zwischen den Bildbänden. Dabei vereint das schmale Buch, das aus dem (in beiderlei Wortsinn) gewichtigeren Sammelband "Waechter" herauskompiliert wurde, eine bewundernswerte Vielfalt der Form: Zeichnung, Gemälde, Bildgeschichte, Skizze und Scribble, Comic und Comic-Strip, Illustration und grafische Erzählung. Alles ist da. Und das auch noch als Pinsel-, Buntstift-, Kohle- oder Federzeichnung (wahlweise laviert): Waechter führt den Zuseher und Mitleser durch eine veritable "Hochschule des Sehens" (Oliver M. Schmitt).

Und durch ein Museum der Komik; denn die einzelnen Blätter werden durch die Zielsetzung zusammengehalten, lachen zu machen. Und was gibt es da nicht alles zu bestaunen: rucksackreisende Katzen, lobspendende Spanner, Brustbehaarung wie Afrika, fiebernde Hühner, Schnecken im Prostitutionsgewerbe, den König der Eichhörnchen, Eulenschinder und Rammler von Welt. Dem Leser begegnet eine Vielgestaltigkeit der Komik, die man bei einem Cartoonisten wie Uli Stein lange suchen kann: visualisierter Wortwitz ("Ein Riss ging durchs Zimmer und rettete den Abend."), politische Tendenz ("Und hier aus dem Angebot: Unsere Dritte-Welt-Puppe, die 'Hunger' sagen kann."), erotische Komponenten ("Adele zeigt ihren Brüsten die Männer."), Antihumor ("Wenn ich heimkomme, ist immer, immer der Hund im Putzwasser. Mich nervt das!"), Groteske (Bootsreisender zu Charon: "Is egal wohin, Hauptsache is was los."), Wortspiel (Arzt ins Wartezimmer: "Der Reichste, bitte."), Nonsens ("He Bauer, dein Huhn hat Fieber."), schwarzer Humor und Witz ohne Worte. Hier lacht der Betrachter.

Aber vielleicht nicht jeder. Max Goldt warnt rechtens: "Das Thema Humor ist komplex und unübersichtlich. Es ist nicht für jeden!" Das trifft auch auf Waechter zu, denn seine Komik ist eine avancierte: Hochkomik nämlich. Der Begriff stammt aus dem Umfeld der "Neuen Frankfurter Schule" und soll das bezeichnen, was nicht direkt, verflacht und massenkompatibel zum Lachen animiert (nach Klaus Cäsar Zehrer nämlich das "Scherzgewerbe der Comedy"), sondern Intellektualität, Selbstreflexivität, Anspielungsreichtum und Sinnverweigerung signalisiert: Der Verzicht auf den offensichtlichen Lachimpuls zugunsten einer doppelbödigen oder gar unentwirrbaren komischen Gemengelage.

Die Waechter'sche Komik ist selten die einer "klassischen" Witzkonstruktion, in der sich aus zwei Sprechblasen eine Pointe ergibt. Viel häufiger begegnet uns die Zeichnung, die das Dargestellte durch Figurenrede, Unter- oder Überzeile bloßstellt und damit anrührend (und komisch) macht.

So erzieht F. K. Waechter uns postum (er verstarb 2005) heimlich, schrill und weise zu etwas, das vielleicht wertvoller ist als jeder gute Witz: zur Tugend des Humors. Kein Wunder also, dass man noch auf der vorletzten Seite von "Alles klar?" statt des Hinweises "Bitte betrachten Sie auch die folgenden Seiten" folgendes liest: "Bitte belachen Sie auch die folgenden Seiten".


Titelbild

Friedrich Karl Waechter: Alles klar? Die besten Cartoons.
Diogenes Verlag, Zürich 2006.
89 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3257021038

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch