Die Illusionen des Illusionisten

Louise Welsh macht es ihrem Helden nicht leicht

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich ist Wilson auf dem absteigenden Ast. Nichts gelingt ihm mehr im Leben. Schon gar nicht so wie ihm auf der Bühne immer noch die gängigen Tricks gelingen. Dabei kennt er sein Metier seit vielen Jahren: "Es ist nicht allzu schwer, die richtige Karte aus dem Stoß zu ziehen oder eine funkelnde Münze aus den Fingern springen zu lassen. Die Kunst besteht darin, aus diesen Bewegungsabläufen eine gekonnte Darbietung zu machen."

Aber Wilson hat Probleme. Sie entstehen dadurch, dass er sich überreden lässt, einem Mann aus dem Publikum etwas aus der Tasche zu stehlen: Polizeiinspektor Monty. Bill, der Barbesitzer, hat ihn darum gebeten: "Letzte Woche zeigt mir Monty einen Umschlag und sagt, mein Dad hätte eine Menge Geld gezahlt, damit sein Inhalt nicht bekannt wird. Wenn ich die Zahlungen weiterlaufen lasse, könnte es auch so bleiben."

Kein Problem für einen Illusionisten. Das hat er schon oft gemacht. Nur soll er diesmal den Umschlag nicht zurückgeben. Es geht so einiges schief und Wilson ist froh, dass er nach Berlin gehen kann, um dort zu arbeiten. Eine Jungfrau zu zersägen, eine abgefeuerte Kugel aufzufangen und dergleichen üblicher Schnickschnack.

Wilson macht sich keine Illusionen mehr. Er kennt die Tricks, er kennt die Kaschemmen in England und auf dem Kontinent. Er weiß, dass er nie zu den Großen gehören wird, zu den Copperfields, Siegfried & Roys, Houdinis. Er weiß, dass er sich nur noch so durchlavieren kann. Und er hat Angst vor der Zukunft, zweifelt an seinen Fähigkeiten, an seinem für den Beruf auf der Bühne so wichtigen Charme, an seiner Fingerfertigkeit und der Kunst der Illusion.

Louise Welsh jagt ihren glücklosen, dauerdeprimierten Helden zwischen London, Berlin und Glasgow hin und her, immer auf der Flucht vor den dunklen Schatten seiner Vergangenheit und den drohenden Schatten einer auch nicht helleren Zukunft. In düsteren Worten entwirft Welsh eine düstere und bedrohliche Welt, in der, so scheint es, niemand ungeschoren bleibt, in der die Schatten jeden kriegen. Welsh setzt ihre Spuren auf eine ganz hinterhältige Art, sie verschlingt die Handlungsfäden so sehr und so genau, dass man als Leser gar nicht mehr anders kann als fasziniert zu sein. Sie dreht die Schraube immer weiter, sie schildert einen sympathischen Verlierer, der am Ende ist und den auch der größte und scheinbar gefährlichste Trick, der Kugeltrick, nicht mehr retten kann. Oder doch?

Welshs größte Leistung aber ist es, den zaudernden, zögerlichen Wilson so zu schildern, dass man mit ihm mitfiebert. Es gelingt ihr mühelos die Halbwelt der Kabaretts, die schäbige Welt der kleinen Pubs und Clubs so zu schildern, dass man sie wie in einem Film vor sich sieht, dass man das heraufbeschworene Milieu riecht, schmeckt und hört. Denn in den guten Romanen geht es immer so zu wie in der Zauberei, die Kunst liegt nicht im Inhalt, sondern in der Vorführung, "im Gedöns, im Schnickschnack, [...] den kleinen Täuschungsmanövern".


Titelbild

Louise Welsh: Der Kugeltrick. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Ruth Keen.
Verlag Antje Kunstmann, München 2006.
398 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3888974445

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