Czechowski randaliert wieder

Die Autobiografie des Dichters und Essayisten Heinz Czechowski berichtet von mehreren Leben und Welten

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der DDR der 70er Jahre erschienen Gedichtbände von Heinz Czechowski , die bereits durch ihre Titel sofort auffielen: "Ich und die Folgen" oder "Ich, beispielsweise". Dass einer hemmungslos von sich selbst spricht, war im "real existierenden Sozialismus" eigentlich vollkommen ungewöhnlich. Czechowskis Texte galten als Geheimtipp und belegten seismografisch die feinen kulturpolitischen Schwankungen über das, was im Augenblick veröffentlicht werden durfte.

In der vorliegenden Autobiografie bleibt Heinz Czechowski seinem subjektivistischen Ansatz treu. Illusionslos und genau in der Beobachtung, aber niemals in billiger Effekthascherei breitet Czecho, wie der 1935 in Dresden geborene Schriftsteller von seinen Freunden genannt wird, in 22 Geschichten und einem Epilog sein Leben aus.

Dabei fällt auf, dass vor allem die Erinnerungen an die Kindheit und Jugend von einer besonderen Dichte und Intensivität der Bilder geprägt sind. Czechowski entfaltet eine wunderbare Prosa von zarter und in ihrer Eindringlichkeit berückender Klarheit. Dass er den Untergang seiner Heimatstadt im Frühjahr 1945 überlebte, wird nicht zur Ursache einer tiefsitzenden lebenslänglichen Melancholie, markiert diese aber trefflich: "Zwischen den Polen Geburt und Tod spannt sich das Dach, unter dem wir leben und von dem wir glauben, es sei für uns gemacht, während doch die Wirklichkeit die wir durchleben, die Episoden unseres Daseins verschluckt".

Heinz Czechowski wird 1958 Student am Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig und betreibt, nicht zuletzt in Opposition zu seinem Vater, die Aufnahme in die SED. Als alter Sozialdemokrat war der Vater freilich kraft der Parteienvereinigung ebenfalls Mitglied der SED geworden. Aber Widersprüche umgaben Czechowski zeitlebens wie Schatten. Bald schon erkannte er die Widersinnigkeit einer verordneten Utopie. Czechowski führt unter anderem ein Beispiel aus der Landwirtschaft an, als die Haltung der Rinder in offenen Ställen befohlen wurde, um deren Leistungskraft zu stärken. Als junger Student hatte Czechowski an Ernteeinsätzen in der Gegend um Schwerin teilgenommen: "Hinter wippenden Pferdeärschen auf Gummiwagen verfrachtet, ließen wir uns schließlich, eingewickelt in verkeimte Decken, in der Scheune einer LPG nieder". Auch in einer Betriebskampfgruppe war Czechowski gelandet - zusammen mit dem Schriftsteller Werner Bräunig, an den er sich immer wieder mit Sympathie erinnert.

Überhaupt schildert Heinz Czechowski widersprüchliche Freundschaften mit anderen Schriftstellern wie dem Sorben Kito Lorenc, Adolf Endler, Erich Arendt und, besonders bitter mit Wulf Kirsten. In seiner Funktion als Lektor im Mitteldeutschen Verlag schildert er eine beeindruckende Begegnung mit Peter Huchel, der seine letzten DDR-Jahre in einem inneren Exil zubrachte. Beim Abschied war nicht klar, dass es die erste und letzte Begegnung mit Huchel sein sollte: "Als ich aus dem Wagen zurückblickte, sah ich ihn im Wehen des Schnees, dem Auto nachblickend und im immer dichter werdenden Wirbel der Flocken versinkend".

Auch mit Schriftstellern anderer sozialistischer Länder wie Atanas Daltschev in Bulgarien und vor allem den verfemten Dichtern Jan Skácel und Ludvík Kundera in Mähren kam Czechowski zusammen. Den beiden tschechischen Dichtern widmete er sein Gedicht "Kunštát im Regen" und konnte dies 1981 in der DDR durch die Zensur bringen. Dass er trotz umfangreicher Überwachung durch die Staatssicherheit, wie er erst nach der Wende bei der Einsichtnahme seiner Stasiakten richtig verstanden hat, seine Gedichtbände in der DDR veröffentlichen konnte, führt Czechowski darauf zurück, dass der sogenannte Bücherminister Klaus Höpke ein weiteres kulturpolitisches Aufsehen vermeiden wollte. Längst war Czechowski als unbequemer Autor eingestuft. Als anläßlich der Aufführung eines tendenziösen Theaterstücks von Erik Neutsch Czechowski im Zuschauerraum seinem Unmut Luft machte, drehte sich der damalige 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle Horst Sindermann um und mahnte "Czecho, randaliere nicht schon wieder!".

Es liegt ein deutsch-deutsches Lesebuch von eindringlicher Aussagekraft vor. In der Summe seiner Erinnerungen erklärt sich Czechowskis Bild eines Zerrissenen, den nicht nur seine zerrüttete Ehe, sondern wechselnde Kulissen eines ereignisreichen Jahrhunderts nicht unbeschädigt entließen. Gerade nach der Wende und der Wiedervereinigung bemerkt Heinz Czechowski nicht ohne Wehmut, dass er seine Heimatstadt Dresden zum dritten Mal verloren hatte.

An den besten Stellen beschreibt hier sich einer aus der entrückten Warte eines Dichters - um sich mit dem Leser das Staunen zu teilen.


Titelbild

Heinz Czechowski: Die Pole der Erinnerung. Autobiographie.
Grupello Verlag, Düsseldorf 2006.
281 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3899780469

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