Kopflos in den Zwanzigern

Richard Birkefeld und Göran Hachmeister zeigen, wozu Historiker taugen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein interessantes Experiment ist es allemal, was die beiden Historiker Richard Birkefeld und Göran Hachmeister gewagt haben: Sie schreiben einen quasi-historischen Krimi, diesmal aber nicht ins alte Ägypten oder ins Mittelalter verlegt, sondern in jene Phase des 20. Jahrhunderts, die ihr Kollege Detlev Peukert die "Krisenjahre der Klassischen Moderne" genannt hat. Also im eigentlichen Sinn in die Geburtsjahre der modernen Gesellschaft, wie wir sie kennen, mit all ihren Problemen, neuen Maschinen und wunderbaren Frisuren. Diesen Jahren verdanken wir das echte Krisengefühl der neuen Zeit, vielleicht sogar den nunmehr viel beschworenen Jugendwahn, Motorrad- und Autorennen, die Waschmaschine, die erste deutsche Republik, den Nationalsozialismus und die besten deutschen Serienmörder.

Man vergegenwärtige sich einmal, was das für Jahre waren: 10 Millionen Soldaten kamen zurück aus dem Desaster des Wilhelminischen Reiches, Revolution von links, Putschversuche von rechts. Da gab es marodierende Freikorps und eine Beamtenschaft, die ihrer Republik nur widerwillig gehorchte, eine Wirtschaft, die durch eine Hyperinflation zugrunde gerichtet wurde und trotzdem unerhörten Überlebenswillen demonstrierte, eine Kulturlandschaft, die vor Vitalität überschäumte - und eine Kulturindustrie, die zumindest einige der wunderschönen Instrumente entwickelte, von denen wir heutzutage profitieren. Krimis gab es zwar schon früher, sicher, aber die Zwanziger sind unter anderem auch eine Hochzeit dieses Genres. Insgesamt ist alles im Fluss und in Bewegung, es rast und rennt, mit und ohne Motoren, und trotz der vielen, die dabei unter die buchstäblichen Räder kommen, und trotz des fatalen Endes muss das alles doch eine grandiose Zeit gewesen sein. Wir erleben gerade wieder so etwas - nur werden es dann am Ende doch wieder die Nachgeborenen sein, die uns dafür bewundern, dass wir dabei gewesen sind.

Birkefeld und Hachmeister jedenfalls ist es in der Tat gelungen, diese Jahre wieder aufleben zu lassen: im Plot, in der Ausstattung (rasende Motorräder), in der Irritation, die die Figuren zeigen, in den Themen, die von Aufstieg des Nationalsozialismus bis hin zur Gründerzeit des Motorradsports reichen.

Dabei bedienten sich das Autorenpärchen einer geradezu klassischen, soll heißen erprobten Konstruktion: Im Zentrum des Buchs stehen zwei Motorradfahrer, die anfangs Konkurrenten - um die Deutsche Meisterschaft, um eine schöne Frau - schließlich doch zusammenfinden und versuchen, sich aus dem gemeinsamen Schlamassel zu ziehen. Solcher Schlamassel heißt: Der eine, Falk von Dronte, wird von seinem alten Freikorpsmajor erpresst, und der andere, Arno Lamprecht, muss den Tod seiner Frau Eva aufklären, die einige Jahre zuvor neben ihm und ohne Kopf aufgefunden worden ist.

Falk und Arno treten bei den Rennen um die Deutsche Motorradmeisterschaft immer gegeneinander an, mal verliert der eine, mal der andere. Klar ist bald, dass sie sich nicht leiden mögen - spätestens dann, als Falks Geliebte, Thea, Interesse für den vierschrötigen Arno zeigt. Dass die beiden aber mehr miteinander zu tun haben, als gegeneinander Rennen zu fahren und um dieselbe Frau zu buhlen, wird spätestens dann klar, als der Major bei Falk auftaucht. Falk war 1923 in einen Fememord verwickelt, ein angeblicher Verräter der nationalen Sache ist von ihm gemeinsam mit einigen Kumpanen erschossen und verscharrt worden. Jetzt ist die Leiche wieder aufgetaucht, allerdings ohne Kopf. Klingelts? Nahe liegend gerät Arno in Verdacht, zumal jedes Mal, wenn Rennen stattfinden, weitere kopflose Tote gefunden werden. Motorradrennen, kopflose Leichen - Arno oder Falk, wer war's?

Die Polizei hat Arno im Verdacht, und weiß dies ihm gegenüber auch schlagkräftig zu behaupten. Falk würde sich dem insgesamt gerne anschließen, wenn da nicht seine eigene Leiche im Keller wäre, die so gar nichts mit Arno zu tun haben kann. So unsympathisch der Major schon allein kraft seines nationalen Auftretens auch sein mag, er kommt auch nicht recht in Frage. Arno steht also ziemlich unter Druck, vor allem denjenigen zu finden, der für den Tod seiner Frau verantwortlich ist. Nicht anders als Falk, der anfangs vom Major gebeten, später von ihm und seinem Adlatus Brahmke gezwungen versucht herauszufinden, wer das Femeopfer von 23 ausgebuddelt und geköpft hat.

Das alles bietet für Birkefeld und Hachmeister breiten Raum für eine ungemein kundige und ausgiebige Präsentation der "Roaring Twenties". Die Wandlung des Jungspunds Falk, den der Friede vom Krieg abgehalten hat, vom Botenjungen der Freikorps zum erfolgreichen Sporthelden, der in seiner Zeit angekommen ist, ist ebenso plausibel und vor allem exemplarisch, wie Arnos Aufstieg aus dem Trauma des Kriegsheimkehrers zu einem Mann, der um seine Existenz kämpfen will. Die Zerrissenheit und Hilflosigkeit der Einzelnen ist - Achtung - authentisch. Die beiden Autoren haben also eine recht gute Arbeit abgeliefert. Vielleicht tragen sie hier und da zuviel auf - die Nazis könnten weniger dämlich daherkommen - aber das wäre wahrscheinlich ein Verstoß gegen das Wahrheitsgebot gewesen. Der Reichtum Falks hätte weniger groß ausfallen können wie die Armut Arnos.

Aber das sind Mäkeleien, die nicht ins Gewicht fallen. Hinzu kommt, dass die beiden Autoren den "Unterhaltungsliteratur-Ton" der Zeit stilistisch ziemlich genau treffen. Manchmal klingen die Figuren zwar arg modern:Die Versuchung war wohl all zu groß, alles, was es zu erklären gibt, auch wirklich zu erklären. Aber im Ganzen wird man nicht meckern können, sondern sich ganz ausgezeichnet unterhalten. Es ist am Ende nur schade um die beiden Helden, die einem nach und nach doch etwas ans Herz wachsen.


Titelbild

Göran Hachmeister / Richard Birkefeld: Deutsche Meisterschaft. Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
386 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3821857676

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