Neue Ansätze?

Hubert Orlowski hält an seinen Standardthemen fest

Von Konstanze JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Konstanze Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer Forschung über den deutschen Polendiskurs betreibt, unabhängig ob auf geistes- oder sozialwissenschaftlichem Gebiet, wird früher oder später auf Publikationen von Hubert Orlowski stoßen, der sich durch zahlreiche Beiträge zu diesem Thema einen Namen gemacht hat. Besonders bekannt ist sein bereits 1996 erschienenes Buch "'Polnische Wirtschaft'. Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit", in dem das wohl berühmteste polenspezifische Stereotyp und die damit zusammenhängenden Diskurse von verschiedenen Facetten beleuchtet werden. Doch nicht nur dem deutschen Polenbild, sondern auch dem polnischen Deutschlandbild sind einige Veröffentlichungen des an der Adam-Mickiewicz-Universität (Poznan) tätigen Professors gewidmet. Als Beispiel sei hier nur sein Aufsatz über "Das Bild des Deutschen in der polnischen Literatur" (1995) erwähnt. Orlowski arbeitet seit vielen Jahren zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen und in diesem Zusammenhang auch über Wahrnehmungs- und Darstellungsweisen des Nachbarlandes.

In "Die Lesbarkeit von Stereotypen. Der deutsche Polendiskurs im Blick historischer Stereotypenforschung und historischer Semantik" sind die auffälligen Innovationen jedoch stark begrenzt. Das Buch ist seinen Vorgängern überaus ähnlich. So liegen auch hier die Schwerpunkte auf der Entwicklung des Stereotyps der "Polnischen Wirtschaft", das maßgeblich durch die Teilungen des Landes im 18. Jahrhundert sowie die preußisch-polnischen Beziehungen und die Probleme der polnischen Adelsrepublik geprägt worden ist. Preußen, mit seinem erfolgreich funktionierenden Staatswesen, steht dabei Polen gegenüber, das mit Zuschreibungen wie "Chaos" oder "Aberglauben" etc. verunglimpft wurde und daher als unfähig galt, den eigenen Staat aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig stellte dies eine rhetorische Legitimation zur Unterdrückung des Landes dar.

Dass sich der Autor an von ihm bereits mehrfach bearbeiteten Themen orientiert, ist gerade insofern bedauerlich, als sich die Geschichte des deutschen Polendiskurses stark ausweiten ließe und gerade die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die in Verbindung mit dem Gegenstand des Buchs "historische Stereotypenforschung" und "historische Semantik" allerlei Analysepotential böte, im Vergleich zu der starken Fokussierung auf das 18. und 19. Jahrhundert bislang zu kurz gekommen ist.

Orlowski ist sich seiner Redundanz bewusst. So spricht er beispielsweise. in seinem Vorwort von "wahlverwandtschaftlichen Beziehungen" zu seinen bereits vorliegenden Veröffentlichungen und verteidigt diese, indem er schreibt: "Diese Monographie ist zu verstehen aus ihrer mannigfachen und tiefen Beziehung zu allen meinen bisherigen Büchern und sonstigen Beiträgen [...], in denen ich mich - in welcher Gestalt auch immer - mit dem deutschen Polendiskurs der Neuzeit auseinanderzusetzen bemüht gewesen bin."

Gleichzeitig verweist er jedoch auch auf die neuen methodischen Akzente, die seinem Buch eigen sind und es von seinen Vorgängern abgrenzen. Gerade diese Elemente, die in einem theoretischen Teil differenziert und zugleich strukturiert dargestellt werden, sind positiv hervorzuheben und zeigen, dass die neue Publikation eigene Wege geht. Beispielsweise widmet sich das erste Kapitel der Thematik "Stereotype der 'langen Dauer'" - dabei steht natürlich die schon mehrere hundert Jahre existierende "Polnische Wirtschaft" im Vordergrund - und der sozialhistorischen Diskursanalyse. Zugrunde liegen diesem Abschnitt zudem unter anderem die Klärung bestimmter zentraler Termini, wie "Stereotyp", "historische Semantik" oder "historische Stereotypenforschung". Dies animiert dazu, den zweiten Teil, in dem verschiedene Verortungen festgehalten werden, der aber vom Gegenstand her keine wirkliche Erweiterung der Forschungslage darstellt, mit anderen Augen zu lesen. Insgesamt ist dabei gerade die Bedeutung beziehungsweise Verwendung von Begriffen und Stereotypen - welche im Übrigen auch durch den Verfasser voneinander abgegrenzt werden - innerhalb des jeweiligen historisch-politischen Kontextes von großer Wichtigkeit. Nachvollziehbar zeigt dies Orlowski anhand der Aufklärungsepoche sowie der sich zu dieser Zeit wandelnden Funktion des öffentlichen Raums und dessen Veränderung, beispielsweise durch den Emanzipationsprozess des Bürgertums - zu betrachten in Verbindung mit der Entwicklung diskursiver Willensbildung und diskursiver Verständigung. Auch wenn der Kontext dieser historischen Semantik auf wenig Neues rekurriert, bildet er in der Tat einen Anreiz, Stereotype aus einem differenzierteren und kritischeren Blickwickel zu betrachten.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die methodische Vorgehensweise eine Bereicherung für die Forschung ist, auch wenn eine Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes sehr wünschenswert gewesen wäre.


Titelbild

Hubert Orlowski: Die Lesbarkeit von Stereotypen. Der deutsche Polendiskurs im Blick historischer Stereotypenforschung und historischer Semantik.
Neisse Verlag, Dresden 2006.
164 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3934038417

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