Eine Metamorphose zufälliger Art

Wolfgang Müllers Ausgabe von Goethes "Metamorphose" wirft ein interessantes Licht auf das Schaffen deutscher Kulturinstitute

Von Christian WerthschulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Werthschulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein beachtenswertes Dokument des Kulturaustauschs ist die vorliegende Ausgabe von Johann Wolfgang von Goethes "Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären." Das zu Goethes Lebzeiten mehrfach aufgelegte Werk liegt damit erstmals in einer deutsch-isländischen Übersetzung vor und eröffnet die Grundlagen der botanischen Studien des berühmtesten aller deutschen Dichter dem Volk der Feen und Geysire. Die von Jón Bjani Atlason vorgenommene Übersetzung ist eine Auftragsarbeit der Walter von Goethe Foundation Reykjavik, benannt nach dem letzten Enkel des deutschen Dichterfürsten, dessen berühmter Ausspruch "Er war ein Hüne, ich bin ein Hühnchen" ein durchaus adäquates Licht auf seine Vernachlässigung in der Literaturgeschichtsschreibung wirft.

Interessant an der vorliegenden Ausgabe ist ihre Entstehungsgeschichte. Die Walther von Goethe Foundation, geleitet vom Berliner Musiker und Künstler Wolfgang Müller, entstand aus einem Rechtsstreit mit dem Goethe Institut, das sich im März 1998 entschloss, seine Niederlassung in Reykjavik zu schließen, parallel jedoch Institute in potentiellen EU-Beitrittsländern im Baltikum eröffnete. Die Belange des isländischen Instituts sollten von diesem Zeitpunkt an durch das Kopenhagener Goethe Institut verwaltet werden. Gegenüber der Bevölkerung Islands, die sich jahrzehntelang darum bemüht hatte, alte Sagaschriften aus der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen auf die Insel zurückzuholen, wie der Herausgeber Wolfgang Müller in seinem Nachwort anmerkt, war dies ein äußerst unsensibler Schritt. Zwar wurde das Institut nach dem rot-grünen Regierungswechsel im kleineren Rahmen wieder eröffnet, Müller hatte jedoch in der Zwischenzeit ein Kunstprojekt mit dem Titel "Privates Goethe Institut Reykjavik" in einem Kunstmuseum initiiert, welches das traditionelle Angebot des Goethe Instituts um Zwergen-, Elfen- und Sexualkunde erweitern sollte. Als Müller in einem Theaterstück an der Berliner Volksbühne in der Rolle als "Leiter des privaten Goethe Instituts Reykjavik" auftreten sollte, versuchte die altehrwürdige Institution ihn mittels einer Unterlassungsklage daran zu hindern. Müller fügte sich und rief daraufhin die "Walther von Goethe Foundation" ins Leben, zu deren Gründung selbst der isländische Botschafter anwesend war. Das Goethe-Institut gab letztendlich klein bei und erklärte sich sogar bereit, Müllers alternative Vermittlungsinstanz zu unterstützen. Es ergab sich jedoch keine weitere Zusammenarbeit, abgesehen von einer kleinen finanziellen Zuwendung für die öffentliche Präsentation des vorliegenden Bands.

Die Übersetzung folgt dabei der 1790 in Gotha erschienenen Erstausgabe, die von vielen Kritikern als grundlegend für die Naturbetrachtung Goethes eingestuft wird. Ob die Übersetzung gelungen ist, vermag ich aufgrund mangelnder Kenntnisse des Isländischen nicht zu beurteilen. Für Wolfgang Müller war es jedoch ein weiterer Schritt in der Metamorphose zum anerkannten Islandexperten. Im Berliner Verbrecher Verlag veröffentlichte er eine Neuausgabe der "NeuenNortwelt" des Universalgelehrten Hieronymus Megiser, dem ersten ausführlichen Islandführer von 1613 sowie "Die Elfe im Schlafsack", einen Band mit Kurzgeschichten, die um Figuren der isländischen Mythologie kreisen. Fernsehauftritte bei Andreas Türck und Jürgen Fliege folgten und auch die Isländer zeigten sich von Müllers Schaffen angetan: Immerhin 234 Exemplare seiner Goethe-Ausgabe zieren die Bücherregale der 300.000 Isländer - auf deutsche Verhältnisse umgerechnet ein veritabler Verkaufsschlager.


Titelbild

Johann Wolfgang von Goethe: Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Deutsch-Isländische Ausgabe.
Herausgegeben von Wolfgang Müller.
Martin Schmitz Verlag, Berlin 2002.
111 Seiten,
ISBN-10: 3927795321

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