Wiederbegegnung

Neuausgaben der Bücher "Meine Freunde, die Poeten" sowie des historischen Romans "Sieg der Dämonen" erinnern an den Literaten und Schriftsteller Hermann Kesten

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über Hermann Kesten schrieb Marcel Reich-Ranicki einmal: "Er war ein großer Literat und ein ganzer Kerl". Gemeint war seine Rolle in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als er ein entscheidender Förderer der damaligen jungen deutschen Literatur war, die unter dem Begriff der Neuen Sachlichkeit in die Literaturgeschichte einging. Nach 1933 verließ er Deutschland, blieb aber zunächst als Lektor für Exilverlage, später als Mitarbeiter des "Emergency Rescue Commitee" als Helfer für viele Emigranten der Literatur verbunden. "Sicher ist:" so Reich-Ranicki, "Wo immer er war, da war auch die deutsche Literatur." Während so das Leben Kestens als ein ganz und gar der Literatur und den Literaten zugewandtes gewürdigt wird, wird der literarische Wert seiner Bücher heute eher zurückhaltend bewertet. Reich-Ranickis forsch-zupackendes Urteil: "Er war ein rührender Schwärmer, ein zuverlässiger Freund der Kunst und der Künstler, ein bewundernswerter Liebhaber der Literatur und des Geistes. Ein Liebhaber, also ein Dilettant - und etwas Dilettantenhaftes macht sich in allen seinen Schriften bemerkbar." (vgl. literaturkritik, Ausgabe 6/2005)

Zwei seiner Bücher sind nun in dezent-klassischer Aufmachung im schweizer Atrium-Verlag in Neuauflage erschienen: Der Band "Meine Freunde, die Poeten" erschien erstmals 1953 im Kurt Desch Verlag; während der Roman "Sieg der Dämonen" als der erste der beiden historischen "Königsromane" über das Spanien der Frühneuzeit 1936 im Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange erschien ("Philipp der Zweite" folgte 1938). Beide Romane erlebten nach 1945 in Deutschland noch mehrere Auflagen.

"Meine Freunde, die Poeten" ist eine Sammlung von liebevollen Texten über seine Schriftstellerfreunde. Es ist auch den Zeitläufen des letzten Jahrhunderts zuzuschreiben, dass es eine beeindruckende Freundesliste ist: Erich Kästner, Joseph Roth, Stefan Zweig, Thomas und Heinrich Mann, Klaus Mann, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, André Gide, Kurt Tucholsky nebst den Damen Irmgard Keun, Annette Kolb und Luise Rinser. Wohl auch ob der Prominenz der hier vertretenen Namen nannte Reich-Ranicki, das Buch eine "Fundgrube", um die allerdings sich "die deutschen Literaturhistoriker bisher viel zu wenig gekümmert haben." Schauen wir also auf einige der Porträts.

Einer der engsten Freunde Kestens war Erich Kästner, ein "konsequent deutscher Poet." Denn: "Kästner ist konsequent. Er ist ein Moralist. Er hat es selber gesagt. Und er hat recht." Er hatte ihn in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Berlin kennengelernt. "Sogleich begannen wir ein langes Gespräch und unsere Freundschaft." Kesten beschreibt mit Amüsement, wie sie im hektischen Literaturbetrieb des Berlins jener Jahre auch schon mal verwechselt wurden. Da würdigte ein Kritiker dann die Texte des einen und meinte tatsächlich den anderen. "Seitdem sind wir in der Tat noch viele Male verwechselt worden, obwohl wir - um Verwechslungen vorzubeugen? - sehr weit auseinandergegangen sind." Denn Kästner blieb in Deutschland, ein "Augenzeuge der tiefsten Erniedrigung Deutschlands."

Kestens Würdigung des Rangs Kästners ist mächtig: "Da sind die großen Vernünftigen, die Weltklugen mit Lessing an der Spitze, mit Wieland und Lichtenberg, mit Goethe und Schiller, mit Heine und Büchner, mit Grillpartzer und Gottfried Keller, mit Heinrich Mann und Joseph Roth. Dort sind die großen Berauschten, die Schatzgräber in allen metaphysischen Bergwerken, die kosmischen Asozialen, die Gottesschwärmer und Provinzialgenies, wie Novalis und Jean Paul, Brentano und Stifter, Nietzsche und Hoffmansthal, Thomas Mann und Franz Kafka, Alfred Döblin und Robert Musil. Erich Kästner gehört zur Schule Lessings".

Zur anderen Gruppe gehörte Thomas Mann, "der exemplarische Kaufmannssohn." Der "[...] wohnte in Schwabing, war ein leidenschaftlicher Radfahrer, ja sogar ein Duzfreund des damals einflussreichen Dichters Kurt Martens." Später fuhr er "nach Ägypten, ward Mitglied der Preußischen Akademie [...], empfing den Nobelpreis und hielt das Jahr darauf [...] zu Berlin seine Deutsche Ansprache, einen Appell für die Vernunft und für die Sozialdemokratische Partei. Ein Schriftsteller namens Bronner oder Bronnen machte während des Vortrags unziemlichen Lärm." Und "als Hitler [...] die Gewaltherrschaft über Deutschland antrat, telefonierten die klugen Kinder von Thomas Mann, Erika und Klaus, aus München mit dem Papa [...] und teilten ihm mit, das Wetter sei unerfreulich. Thomas Mann blieb im Ausland."

Mit so kühn-knappen Sätzen die Weimarer Jahre (die Jahre während der Weimarer Republik) des Großschriftstellers zusammenzufassen, ist zumindest originell. Doch über den Effekt hinaus erweisen sich die unkonventionellen, zuweilen respektlosen Aneinanderreihungen als kenntnisreiche Urteile über den "Repräsentanten", der "ins Exil getrieben, zur Existenz eines Nomaden gezwungen" wurde. "So vertauschte er ein Publikum mit dem anderen, vertauschte die Nationalitäten und Villen." Es war "sein starkes Talent für Glück", das ihn auch in dieser Hinsicht von so vielen anderen im Exil unterschied. "Was für ein humanes Vergnügen ist es also," schließt der Text, "einen großen Mann zu kennen, der auch ein guter Mann ist."

Bleibt im Verhältnis zu Thomas Mann eine gewisse Skepsis gegenüber allzu viel Großschriftstellerglück spürbar, so fühlt Kesten sich Klaus Mann deutlich näher. Fast schon euphorisch ist der Ton des Textes über den Sohn Thomas Manns, der "schier programmatische Jüngling". Er beschreibt den Weltbürger, sieht ihn in einer Reihe mit Hermann Bahr, Franz Blei und Stefan Zweig, also "jener Mittler zwischen den Literaturen, dieser in Deutschland doppelt notwendigen Freunde einer Weltliteratur und Weltgesittung." Doch wirkt die beschriebene Dreieinigkeit von Rausch, Traum und Poesie ein wenig idealisiert, angesichts der tatsächlichen Lebensschwierigkeiten des unglücklichen Klaus Mann.

"Das war nun ein glücklicher Mensch. Nach sechzig Jahren bringt er sich um." Wieder frappiert die saloppe Direktheit, mit der Kesten das sehr liebevolle Porträt Stefan Zweigs, der der "bescheidenste aller Weltberühmten" war, einleitet. Viele Anekdoten, wie die von der Hose, die Zweig einmal für den im Exil notleidenden Joseph Roth bei einem Edelschneider in Ostende maßschneidern lassen wollte, bereichern den Text. Die Sache ließ sich schwierig an, "weil man den Schneider bestechen musste. Roth trug nämlich seine Hosen nur nach der Mode der altösterreichischen Leutnants, mit Hosenbeinen, die nach unten immer enger wurden. Diese Fasson beleidigte aber das ästhetische Empfinden des feinen Schneiders."

Nicht alle Porträts überzeugen gleichermaßen. Vorstellungen wie die Irmgard Keuns oder Luise Rinsers bleiben blass, beschränken sie sich doch auf konventionelle Interpretationen literarischer Eigenheiten, und finden nur oberflächlichen Zugang zu den Persönlichkeiten. Wenn Kesten über Luise Rinser schreibt: "Sie ist eine starke Erzählerin, stärker als viele ihrer koketten Thesen und orthodoxen Tendenzen," würde man auch gerne etwas von den koketten Thesen und orthodoxen Tendenzen erfahren.

Die Eigenheit Kestens, mit kurzen, knappen ungewöhnlich zusammengestellten Sätzen eine eigenwillig zusammenfassende Darstellung eines Charakters oder einer Szene zu zeichnen, führt bei manchen der Schriftstellerporträts zu für den Leser ergiebigen Erkenntnissen. Je komplexer - wie beispielsweise bei Thomas Mann - der Fundus ist, aus dem Kesten Material für seine mit sinnig-ironischen Spitzen zusammenstellten Satzcollagen nimmt, umso ergiebiger die Methode. Fehlt allerdings diese Basis, dann droht der Effekt ins Leere zu laufen. Und aus der Stileigenschaft wird eine bloße Masche. Das ist wohl einer der Gründe für das Urteil, Kestens Romane blieben vordergründig, den Charakteren fehle es an Tiefe. Tatsächlich ist dies auch eine Schwäche des historischen Romans "Sieg der Dämonen". Der Roman über das spanische Herrscherpaar Ferdinand und Isabella, die im Namen der katholischen Reconquista im 15. Jahrhundert mit konsequenter Gewalt ein tyrannisch katholisches Regime installierten, die Mauren aus Spanien vertrieben und mit der Macht der brutalen Inquisition die jahrhundertealte Tradition der Juden in Spanien durch Mord und Vertreibung zerstörten, sollte natürlich auch eine Mahnung an die Zeitgenossen angesichts der in Deutschland sich anbahnenden Ereignisse sein.

Der Versuch, den Zeitgenossen eine historische Analogie anzubieten, resultiert in einer zügigen Darstellung der historischen Abläufe. Die psychologische Entwicklungen der Figuren aber, ihre Motivationen, ihre Zweifel, sowie die Entwicklung der Beziehungen der Figuren untereinander presst Kesten immer wieder durch sein typisches Satzstakkato, das Bedeutsamkeit nachahmt, letztlich aber den Figuren nur schablonenhaftes Format zu verleihen vermag. Trotzdem liest sich das eingängig. Man folgt dem Ablauf von einem Ereignis zum anderen. Schlüssig ergibt sich die Geschichte einer Tyrannei. Und mit dem Wissen der Nachgeborenen wird auch die düstere Perspektive des Romans nachvollziehbar: auch wenn der Mord an den europäischen Juden weit über das von Kesten erahnte hinausgehen sollte.


Titelbild

Hermann Kesten: Meine Freunde, die Poeten. Literarische Porträts.
Atrium Verlag, Zürich 2006.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3855359776

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Hermann Kesten: Sieg der Dämonen. Ferdinand und Isabella. Roman.
Atrium Verlag, Zürich 2006.
414 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3855359784

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