Unsterblicher Irrglaube

Ein Sammelband geht dem Einfluss von Engeln und Teufeln auf die menschliche Vorstellungswelt nach

Von Melanie ÖhlenbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Öhlenbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit "Engel, Teufel und Dämonen" legt das Berner Mittelalter-Zentrum einen reich bebilderten und mit einem umfangreichen Stichwortverzeichnis versehenen Aufsatzband vor, der aus der gleichnamigen Ringvorlesung hervorgegangen ist und die Wurzeln der heutigen Vorstellungen von "lichten[n] und dunkeln[n] Geistwesen" aufzeigen möchte. Der Untertitel "Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalters" weckt allerdings Erwartungen, den die 14 Beiträge nur teilweise erfüllen können.

Sicherlich ist den Herausgebern zuzustimmen, wenn sie im Vorwort konstatieren, dass "das Mittelalter als Sammelbecken der verschiedensten Traditionen und einer besonders üppigen Bilderwelt" fungiert, aus dem noch heute eine Vielzahl an Ansichten und auch Vorurteile weiter bestehen; fraglich bleibt allerdings, in welcher Verbindung das (europäische) Mittelalter etwa mit den Vorstellungen des vorchristlichen Frühjudentums oder gar des tibetischen und mongolischen Buddhismus steht, die ebenfalls in diesem Band präsentiert werden. Stattdessen erscheint es sinnvoller, den Band als einen interdisziplinären Beitrag zu verstehen, der "ein Panorama ideeller Bezüge zwischen Menschenwelt und Geisterwelt" aufzeigen möchte. Während in den ersten Beiträgen eher religionsgeschichtliche Aspekte des Christentums, Judentums, Islams sowie des Buddhismus behandelt werden, ist der zweite und umfangreichere Teil zum Großteil der Kulturgeschichte seit dem Mittelalter gewidmet. Vor allem die Interaktion von religiösen Ideen und bildender Kunst, Literatur und Musik findet dabei besondere Beachtung. So zeigt beispielsweise Ricarda Liver die Beziehungen von Hölle, Himmel und Fegefeuer in Dantes 'Göttlicher Komödie' auf, die sinnliche Wahrnehmung überirdischer Wesen untersucht Hubert Herkommer, während sich Werner Wunderlich der "kulturgeschichtlichen Genealogie von Nymphen, Nixen und Wasserfeen" und Oskar Bätschmann den Verbindungen zwischen Paul Klees 'Angelus Novus' und Walter Benjamins 'Engel der Geschichte' zuwenden.

Aber nicht nur aus kulturgeschichtlicher, sondern auch aus methodischer Sicht erweist sich die Publikation als lehrreich, da sie nebenbei einen gut strukturierten Einblick in die vielfältige Arbeitsmethodik der einzelnen geisteswissenschaftlichen Disziplinen gibt: So stützen sich die Texte auf Resultate der Feldforschung und Kulturgeschichte, auf Textanalysen und Bildbeschreibungen sowie ideengeschichtliche Ansätze, die entsprechend in allgemein gehaltene Gesamtüberblicke bzw. spezielle Einzel- und Fallanalysen resultieren. Bei einigen Artikeln erweist sich die spezialisierte Ausrichtung als problematisch, da diese nicht von allen, insbesondere nur schwer von fachfremden Lesern nachvollzogen werden kann.

Während Karenina Kollmar-Paulenz in ihrem Beitrag zur "Religionsgeschichte des Teufels- und Dämonenglaubens in Tibet und der Mongolei" dieser Schwierigkeit mit einer enormen theoretischen, wenn auch ein wenig zu genauen Einleitung begegnet (dabei erscheint die Diskussion, ob europäische Zeitepochen auf andere Kulturen übertragen werden können, obsolet), die ihren ansonsten sehr anschaulich geschilderten Ergebnissen ihrer Feldforschungen vorausgeht, reiht Clemens Thoma in seinem Beitrag über Engel- und Dämonenvorstellungen im Judentum Textstellen aneinander, deren Zusammenhänge für den Laien manchmal schwer nachzuvollziehen sind. Leider vernachlässigt er auch den Bezug zum eigentlichen zeitlichen Schwerpunkt, nämlich dem Mittelalter und behandelt vorwiegend die vorchristliche Zeit; die Vorstellungen über die Dämonin Lilith, die erst am Ende in einigen wenigen Sätzen abgehandelt wird, hätten mehr Raum und Deutlichkeit verdient.

Auch Oskar Bätschmanns Beitrag zu Walter Benjamins Reflexionen über Paul Klees "Angelus Novus" liegt zwar zeitlich weit entfernt vom eigentlichen Ausgangspunkt der Ringvorlesung, doch rundet er nicht nur den Sammelband gekonnt ab, sondern illustriert das immanente Thema des kulturgeschichtlichen Zusammenspiels aufs Treffendste. Die europäische Religionsgeschichte bezieht ihre Dynamik nämlich nicht nur aus der Übernahme religiöser Ideen in 'säkularisierte' Bereiche, sondern auch durch die umgekehrte Richtung: So hebt Bätschmann hervor, dass von Klees Blatt "unterschiedliche Anrufungen an Benjamin" ausgingen. Er beruft sich dabei auf Gershom Scholems Aussage, der das Bild als "Meditationsbild und als Memento seiner [Benjamins] geistigen Berufung'" bezeichnet.

Geistige Berufungen besonders teuflischer und dämonischer Art wie auch andere obskure Machenschaften wurden im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit vor allem Frauen nachgesagt - Untersuchungen zu Hexenvorstellungen und Hexenverfolgung sind somit gleich in zwei Beiträgen vertreten. Oliver Landolt wendet sich in einem eher allgemein gehaltenen, aber doch auf Quellenmaterial verweisenden Überblick den Verfolgungen von Zauberei und Hexerei sowie den Anfängen der Hexenverfolgung im 14. und 15. Jahrhundert in der Schweiz zu, die - wie er hervorhebt - nicht überall Fuß fassen konnte. So wurde etwa in Innsbruck ein Hexenprozess abgebrochen, denn "der Bischof hielt ihn propter senium gantz chindisch und erklärte Institoris einfach für verrückt". Mit der Herausgabe des Hexenhammers, dem - wie Andre Schneyder zeigt - auf theologischen Verständnis basierenden Handbuch für Hexenjäger, kamen dann standardisierte Hexen- und Teufelsbilder in Umlauf, die Schnyder in seinen Beitrag "Vom Teufel im Salat und andere Erscheinungen des Bösen. Die Teufelsvorstellung im 'Hexenhammer' (1487)" untersucht.

Ebenfalls mit zwiespältigen 'Weibspersonen' beschäftigt sich Werner Wunderlich auf seiner lehrreichen wie auch salopp-amüsanten ('feucht-fröhlichen') Spurensuche nach Nixen, Wasserfeen und Nymphen in den verschiedenen Epochen der Kulturgeschichte, die er bei der zur Insel Kythera surfenden Aphrodite beginnt und auf der er mittelalterlichen Nixen ("Bezaubernd schön, mit Topfigur und oft auch topless"), der rächenden, schlangenhaften Melusine und der in der Romantik zum demütigen Hausmütterchen verkommenen Undine begegnet, bevor er sich nach einem kurzen Abstecher zum russischen Pendant Rusalka in die Welt der "sexuell emanzipierten Wasserfräuleins", also den Circen, Lolitas und Girlies des 20. und 21. Jahrhunderts begibt. Dabei inszeniert Wunderlich nicht nur ein buntes Kaleidoskop aus dem vielfältigen Repertoire der verschiedenen Künste, sondern zeigt auch Veränderungen in der prototypischen Wahrnehmung der einzelnen Figuren auf, die sich auch "heute wieder zum aktuellen Kultobjekt von künstlerischer Gestaltung wie kultureller Auseinandersetzung [finden], gleichviel, ob wir jenem Personal in feministischen Esoterik-Kitsch, in Öko-Idyllen, Zigarettenreklame, Hollywoodfilmen oder literarischen Adaptionen begegnen". Ein leichter Wehrmutstropfen ist allerdings, dass der interessierte Leser nur indirekt den Spuren Wunderlichs folgen kann, da dieser zwar ein umfassendes Literaturverzeichnis an Primär- und Sekundärquellen liefert, auf direkte Quellenangabe in Fußnoten, wie es bei den anderen Artikeln usus ist, verzichtet.

Dies kann man Hubert Herkommers Beitrag "Sphärenklang und Höllenlärm, Lächeln oder Fratzen. Zur sinnhaften Wahrnehmung der Geistwesen" nicht nachsagen, auch wenn er sich mit diesem Thema auf ein sehr weites Feld begeben hat, das nur ansatzweise präsentiert werden kann; dabei überwiegt seine Analyse auditiver Wahrnehmungen eindeutig die Anzahl der Beispiele über visuellen Kontakt. Neben Bibelverweisen erkennt er zu Recht die dionysianisch-gregorianische Engelhierarchie als Grundlage für die Engelvorstellungen im Mittelalter, die sich unter anderem bei Hildegard von Bingen sowie Dante wiederfinden. Die auditiv und visuell wahrnehmbaren Unterschiede zwischen Engel und Dämonen zeigt Herkommer schließlich in seinen Ausführungen über das Prinzip der Sphärenharmonie und einer anschaulichen Interpretation der 'Kakaophonie der Teufel' in Boschs "Garten der Lüste". Das Engel- und Teufelsvorstellungen auch heute nicht aus der Welt zu denken sind, zeigt er im Zusammenhang mit den Verschwörungstheorien um die Anschläge des 11. September 2001 auf. Seine Auffassung über die 'Unsterblichkeit der Engel' ist vor allem in Hinsicht auf die Herausbildung neuer (persönlicher) Formen von Religion und Spiritualität zuzustimmen, denn "[a]ls eine zum Menschen gehörende seelische Realität, als Konfiguration seiner Bedürfnisse und Hoffnungen, seiner Ängste und Beglückungen lebt der uralte Engel jugendfrisch über alle Säkularisierungsprozesse hinweg weiter." Engel, Teufel und Dämonen waren und sind somit nicht aus dem kulturellen Bewusstsein zu tilgen und werden die Wissenschaft auch in Zukunft weiter beschäftigen.


Titelbild

Hubert Herkommer / Rainer Christoph Schwinges (Hg.): Engel, Teufel und Dämonen. Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalters.
Schwabe Verlag, Basel 2005.
270 Seiten,
ISBN-10: 3796520278

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