Von den Eltern und dem literarischen Scheitern

Die Zeitschrift "Am Erker" kann auch nicht erklären, warum Literaturzeitschriften wichtig sind

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als vor vielen Jahren die baden-württembergische Landesregierung die Zuschüsse für die vier im Lande tätigen Literaturzeitschriften einfach strich (es handelte sich um einen Muckelbetrag, den die Regierung locker woanders hätte einsparen können), ging ein Aufschrei durch die Literaturszene des Ländles: Literatur wäre lebensnotwendig, die Zeitschriften wären wichtig, und so weiter, Unterschriften wurden gesammelt und übergeben, es wurde Meinung und mobil gemacht. Der Herausgeber einer dieser Zeitschriften allerdings kommentierte dazu lapidar und etwas bitter, dass man den Zuschuss gar nicht bräuchte, wenn alle die, die jetzt schreien, seine Zeitschrift wenigstens für ein Jahr abonniert hätten. Böse Zungen behaupten auch gerne immer mal wieder, eine Lyrikzeitschrift hätte mehr Schreiber als Leser. Wozu sind sie also da? Für den Nachwuchs? Für ein lebendiges literarisches Leben? Dazu müssten sie aber doch wohl häufiger gelesen werden.

Wie es um die Zeitschrift "Am Erker" aus dem westfälischen Münster bestellt ist, wieviel Käufer und wieviel Leser sie hat, weiß man nicht. Seit knapp drei Jahrzehnten erscheint sie nun schon, und der Rezensent erinnert sich gern, wenn auch sehr dunkel, an ein Fest mit den damaligen Herausgebern und einigen Autoren in Ibbenbüren. Insofern ist er eigentlich schon beinah ein bisschen befangen. Und deswegen tut es auch ein wenig weh, wenn er feststellen muss, dass ihm die Zeitschrift so gar nicht gefällt.

Zwei Ausgaben gibt es nun mit Geschichten, (sehr wenigen) Gedichten und (meist etwas pubertären) Zeichnungen, thematisch zusammengefasst unter den Überschriften "Geschichten von den Eltern" und "Literarisches Scheitern". Leider muss konstatiert werden, dass kaum ein Beitrag so richtig spannend, literarisch berauschend, aufklärend oder auch nur unterhaltend wäre. Fast alle sind literarisch auf keinem besonders hohen Niveau. Manche sind solide erzählte Stories, aber kaum einmal springt irgendein Funke über. Es gibt, mit ganz wenigen Ausnahmen, keine Überraschungen, keine besonders pfiffigen Schlüsse, keine psychologisch interessanten Konstellationen. Und leider ist einiges literarisch sogar so misslungen, derart schlecht geschrieben, dass man es nur aus reiner Pflichterfüllung zu Ende liest: Viele, allzu viele Formulierungen sind so steif, umständlich oder abgelutscht, dass es fast schon schmerzt: "In der Straßenbahn hing ein Plakat, das meine Aufmerksamkeit gefangen nahm", "die Stadt war kühl und gähnte mich mit einem Schlund voller Kinderwagen und schwangerer Frauen an", "das Bild brannte sich in Annas Augen", "und als auf dem Gehweg in einer Stadt im Norden einer der Straße zugewandt stehen bleibt und weint, ist die Welt in Alarm", "[...] sollten jedoch noch weitere denkwürdige und des schriftlichen Festhaltens würdige Lese-Reisen mit der Bahn folgen", "um uns herum ist das alltägliche Wissen Denken und Meinen" - das alles recht wahllos herausgegriffen. Man hat dann einfach keine Lust mehr, eine Geschichte weiterzulesen, zu Ende zu lesen, wenn es derart linkisch zugeht.

Ganz selten einmal ist eine Geschichte dabei, die von vorne bis hinten auch sprachlich stimmt, die nicht langweilig oder aufgesetzt oder abgedroschen wirkt. Aber schon sehr selten. Wie kommt das nur? Geben sich die Autoren keine Mühe bei ihren Geschichten? Werfen sie alle ihre Energie auf den großen Roman, mit dem sie die großen Preise und Stipendien bekommen wollen?

In den beiden vorliegenden Ausgaben werden die Geschichten ergänzt durch interessante und lesbare Essays von Gerald Funk ("Über das Misslingen in der Literatur" und "Über Joseph Sheridan LeFanu"), eine jeweils etwa vierzigseitige Bücherschau (ausführliche Rezensionen) beschließt die etwa 150 Seiten starken Hefte. Hoffen wir, dass diese beiden Ausgaben gerade ganz besonders schlecht gelungen sind und nicht etwa ein Zeichen für die Kurzprosa in unserem Land.


Titelbild

Am Erker. Zeitschrift für Literatur Nr. 50: Literarisches Scheitern.
Herausgegeben von Fiktiver Alltag e.V.
Am Erker Verlag, Münster 2006.
152 Seiten, 7,50 EUR.
ISBN-10: 3925084509

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Titelbild

Am Erker. Zeitschrift für Literatur Nr. 51: Geschichten von den Eltern.
Herausgegeben von Fiktiver Alltag e.V.
Am Erker Verlag, Münster 2006.
135 Seiten, 7,50 EUR.
ISBN-10: 3925084541
ISBN-13: 9783925084546

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