Mürrischer Marlowe

Marek Miert blickt zu "kalten Monden" auf und stolpert ohne Fortune von Fall zu Fall

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

St. Pölten-Harland ist nicht Los Angeles und Marek Miert nicht Philip Marlowe. Und doch treffen sich die legendäre Hard-boiled-Welt eines Raymond Chandler und der Grantl-Kosmos eines Manfred Wieninger in einigen Punkten. Schließlich sind die Menschen überall korrupt, karrieregeil und kriminell. Ob in der Alpenrepublik oder im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das ist gleichgültig. Da weder Politik noch Polizei für Recht und Ordnung sorgen, braucht es unerschrockene Helden, die für mehr Gerechtigkeit kämpfen und für wenig Zaster ermitteln. Und sich dafür auch mal die Fresse polieren lassen oder sogar in noch schlimmere Nöte geraten. Miert und Marlowe haben also nicht nur den chronischen Geld- und Klientenmangel gemein.

Aber trotzdem ist der ehemalige Polizist Miert unverwechselbar. Denn er ist Österreicher, ein zynischer und menschenscheuer noch dazu. Mit einer gehörigen Wampe und einer Vorliebe für Klasse-Weine. Den speckigen Detektiv ohne Pistole suchen keine aufgedonnerten Blondinen auf, sondern perverse Politreferenten, kaltschnäuzige Kommunistinnen, geprügelte Gattinnen und ein aalglatter Anwalt. Ach, und ein älterer Herr, der auf der Suche nach einer halbblinden, aber millionenschweren Katze ist.

All diesen Klienten begegnet man in Manfred Wieningers viertem Marek-Miert-Krimi. Und vor lauter Aufträgen verliert nicht nur seine liebenswert spöttische Hauptfigur, sondern auch der Leser irgendwann den Überblick. Denn ein Täuschungsmanöver reiht sich an das nächste, ohne dass die Fälle viel miteinander zu tun hätten. Was hat es mit dem skrupellosen Politiker auf sich, der Attentate inszeniert und sie tschetschenischen Flüchtlingen in die Schuhe schiebt? Wieso heuert ein Promi-Jurist Miert an, um einen missliebigen Polizeioberst anzuschwärzen? Wo liegt nach mehr als 60 Jahren ein ehemaliger Soldat begraben, wieso ist eine entlaufenes Katzenvieh ein Vermögen wert und wer schlitzt plötzlich eine Harländer Frau nach der anderen auf?

Möglicherweise ist der Alltag eines Privatdetektivs wirklich so reich an unterschiedlichen, wenngleich nie so aberwitzigen Aufträgen. Für einen gerade mal 240 Seiten starken Krimi ist vielleicht etwas zuviel des Bösen. Erst recht, wenn die meisten Fälle gar nicht oder von anderen gelöst werden. Nur nicht vom Protagonisten selbst. Weshalb er sich auch damit entschuldigt, dass die meisten Ermittlungen "so logisch und stringent" verlaufen "wie das Kochen nach einem Rezept in einer Schrift, die man nur zum Teil oder gar nicht lesen kann." Trotz dieser sprunghaften, wohl bewusst flexibel gehaltenen Dramaturgie, kommen alle Marek-Miert-Fans wieder auf ihre Kosten. Wie bei Wieningers Krimikollegen Wolf Haas zählen Lebensweise und -weisheit des Privatermittlers wie auch die austriakische Atmosphäre mehr als jeder gelöste Fall, eine Leberkässemmel mehr als die Mordwaffe.

Darum dürfen wir wieder genussvoll lesen, wie Miert sein berufliches Scheitern reflektiert ("Ich war mir selbst der ärgste Feind"), seine Körperfunktionen durchcheckt oder sich über "Industriefraß vom Fließband" mokiert. Miert "versteckt sich nicht hinter Formulierungen", wie eine verführte Taxifahrerin ihm unterstellt. Miert outet sich mit seinen wahren wie bissigen Vergleichen als das, was er ist: Ein origineller Schnüffler ohne Fortune, aber mit Seele. Man muss den Grantler einfach mögen. Seine Macken und Marotten machen's möglich.


Titelbild

Manfred Wieninger: Kalte Monde. Ein Marek-Miert-Krimi.
Haymon Verlag, Innsbruck 2006.
235 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3852185149

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