Betrogene Vernunft

Joachim Kalka erweckt die "Phantome der Aufklärung" zu neuem Leben

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Aufklärung hat sie, die Romantik hat sie, das lange 19. Jahrhundert hat sie. Und die Gegenwart hat sie auch: Betrüger, Schwindler und Scharlatane. Dass diese denkwürdigen Existenzen im ach so skeptischen 18. Jahrhundert besonders zahlreich und häufig ihr Unwesen trieben, ist geistesgeschichtlich natürlich besonders pikant. Genau dieser - möglicherweise nur scheinbare - Widerspruch hat es dem glanzvollen Feuilletonisten Joachim Kalka angetan. Vier seiner Essays zu den Schattenseiten der menschlichen Vernunft präsentiert der Berliner Berenberg Verlag nun in einem gediegenen Sammelband.

Allerdings wurde nur ein einziger Artikel speziell für diese Kompilation verfasst. Die anderen Texte sind bereits einige Jahre zuvor im Lichtenberg-Jahrbuch beziehungsweise im Kursbuch erschienen. Das ist insofern nicht tragisch, als der Autor keine stringente Theorie des als "Projektemacher" verschrieenen Betrügers ausbreiten, sondern gelehrt unterhalten will. Die Geschichten von Carl Elias Beßler-Orffyré, der mit seinem Perpetuum mobile, Johann Georg Schrepfer, der mit seinen Séancen und Cagliostro, der mit seinen "magischen Experimenten" die Gunst und das Geld aufgeklärter Menschen erschlich, sind "Rekonstruktionen", entstanden "aus dem naiven Vergnügen an einer schönen Historie".

Habgier und Neugier

Kalka hat im wahrsten Wortsinne wunderbare Sprachskulpturen aus dem historischen Stoff geformt. Sein Augenmerk gilt jedoch mehr den leichtgläubigen Opfern als den heimtückischen, aber auch charmanten Betrügern, deren oft abenteuerliche Lebenswege er indes sehr detailliert abschreitet. Habgier und Neugier beseelen die von der Aufklärung überforderten oder gelangweilten Fürsten und Bürger. Die "Skepsis der Wissenschaften" oder auch der so genannte Menschenverstand waren um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts keineswegs so "unüberwindlich", wie der homme de lettres immer wieder anmerkt.

Die Radikalität der Rationalisten forderte die Fantasie der Irrationalisten geradezu heraus. Es war die dunkel schimmernde Seite der Aufklärung. Das bereits im 18. Jahrhundert physikalisch undenkbare, aber immer wieder gern konstruierte Perpetuum mobile ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Denn der von den Aufklärern oft genug gefeierte Fortschritt forderte die Projektemacher zu immer neuen, verrückteren Taten heraus. Natürlich steckte dieser Virus auch Betrüger wie Beßler an, dessen Apparat durch geschickt verborgene Muskelkraft angetrieben wurde. Der Traum von der ewigen, sich selbst erhaltenden Energie ist bis heute nicht ausgeträumt. Noch heute flattern dem Deutschen Patent- und Markenamt in München die ausgefeiltesten Konstruktionszeichnungen ins Haus.

Anthropologische Konstanten

Auch die Geisterbeschwörungen eines Schrepfer mit Punschterrine und Laterna Magica kitzeln die der Vernunft abgewandte Hirnhälfte. Es wäre fatal zu glauben, dass eine aufgeklärte Gesellschaft ohne Wunder oder Visionen auskommen könnte. Esoterische und mystische Phänomene ziehen die Menschen bis heute in ihren Bann, auch wenn die "Opfer" bisweilen nicht so prominent oder begütert sind wie vor 250 Jahren. Die "Phantome der Aufklärung" scheinen Teil des menschlichen Denkens und Fühlens zu sein, eine anthropologische Konstante. Das Unergründliche schließt die Lücken, die die Ratio in den Köpfen hinterlässt. Noch zu Beginn der Weimarer Republik diagnostizierte der Soziologe Max Weber bei seinen Zeitgenossen die Sehnsucht nach "innerweltlicher Erlösung vom Rationalen."

Insofern sollte sich niemand über die Betrüger noch über die Betrogenen intellektuell erheben. Wie Kalka in seinem resümierenden Essay über die "Erscheinungen der Dummheit" zu Recht sagt, darf "das mühsam und halbwegs erworbene Recht, alten Dummheiten eine Diagnose zu stellen, [...] nicht in der stolzen Platitüde aufgehen, dass wir es schon so herrlich weit gebracht hätten." Diese Einsicht macht den Charme des selbstkritischen Kritikers Kalka und seiner Texte aus. Es ist ein literarischer Genuss diesen Gedankenströmen zu folgen, die Auswahl der treffenden Zitate zu bewundern und die Phänomene zu bestaunen.

Der Rationalist ist wieder mal der Dumme

Indes fühlt man sich gerade deswegen um etwas ganz Elementares betrogen. Nämlich um die tiefere Einsicht in das Phänomen der "Phantome". Kalkas in eleganten Wendungen dahinfließende Prosa täuscht über den mangelnden analytischen Tiefgang hinweg. Kalkas Belesenheit kommt zum Vorschein, die Erkenntnis bleibt aber hinter einem kunstvoll drapierten Vorhang verborgen. Denn mit dem Erklärungsmuster "Dummheit" kommt man den Phantomen und den Rechtfertigungsstrategien der Betrogenen nur bedingt auf die Schliche. Klüger wäre es vielleicht gewesen, das komplizierte Wechselspiel zwischen Vernunft und Aberglauben zu ergründen. "Die Dummheit hat ihr Sublimes so gut als der Verstand, und wer darin bis zum Absurden gehen kann, hat das Erhabene in dieser Art erreicht, welches für gescheute Leute immer eine Quelle des Vergnügens ist." Hätte Kalka den Worten des aufgeklärten Satirikers Christoph Martin Wieland sein Gehör geschenkt, dann wäre nicht nur das Vergnügliche, sondern auch das Sublime in den Essays zu seinem Recht gekommen. Also ist der Rationalist - so paradox des klingen mag - wieder einmal der Dumme.

Titelbild

Joachim Kalka: Phantome der Aufklärung. Von Geistern, Schwindlern und dem Perpetum Mobile.
Berenberg Verlag, Berlin 2006.
106 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 393783415X

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