Der internationale Nationaldichter
Zwei aktuelle Sammelbände behandeln Friedrich Schillers literarisches Werk
Von Nikolas Immer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFriedrich Schiller war nach eigener Auffassung Kosmopolit. In einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi schrieb er, dass ein Dichter "keiner Zeit" und "keinem Volk" allein angehören solle. Vielmehr müsse er sich als ein "Zeitgenoße aller Zeiten" verstehen. Dass Schiller selbst noch als "Zeitgenoße" unserer Zeit kenntlich wird, resultiert zum Teil aus der anhaltenden Beachtung, die ihm im Schillerjahr 2005 auch international zuteil geworden ist. Im folgenden sollen daher zwei Sammelbände vorgestellt werden, die vornehmlich amerikanische und angelsächsische Forschungserträge des Schillerjubiläums dokumentieren.
Dem Tagungsband von Nicholas Martin ist ein kurzer Überblick vorangestellt, in dem Aspekte der Schiller-Rezeption mit einer knappen Kritik gegenwärtiger Schiller-Literatur verbunden werden. Selbstverständlich bleibt darin auch die Thematisierung der 1929 an Thomas Mann herangetragenen Frage: "Ist Schiller noch lebendig?" nicht aus. Der folgende Beitrag von Terence J. Reed scheint darauf mit einer originellen Gegenfrage zu antworten, da seine Ausführungen mit dem Titel "Wie hat Schiller überlebt?" überschrieben sind. Indem Reed darlegt, dass Schiller ebenso wie Goethe die Geburt nur knapp überstanden habe, macht er augenzwinkernd darauf aufmerksam, "dass die geistige Landschaft des 18. Jahrhunderts leicht anders hätte aussehen können".
Doch Schiller, der "Heros", hat sowohl dieser Schwäche als auch seinen späteren Krankheiten widerstanden. Unter Berufung auf die vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete Lesart von der heroischen Größe Schillers befasst sich Norbert Oellers mit der Monumentalisierung des Dichters, die maßgeblich mit Heinrich Danneckers Schillerbüste einsetzt. Auf eine Monumentalisierung ganz anderer Art geht daneben Jochen Golz ein, wenn er Schiller als Herausgeber seiner eigenen Werke behandelt. Die editorische Tätigkeit Schillers ist hier im Kontext einer übergreifenden Entwicklung zu sehen, in der sich der autorbezogene Wertakzent von den "Gesammelten Schriften" zu den "Gesammelten Werken" verschiebt.
Werden "Gesammelte Werke" angesprochen, geraten freilich auch Schillers Dramen in den Blick, denen sich mehrere Beiträger des Sammelbandes ausführlich widmen. Dabei rücken etwa die Bedeutung des Zeichenhaften, die Gestik und die Gebärden der Bühnenfiguren, oder auch die Typisierung der Akteure in "Virgins, Bastards and Saviours of the Nation" in den Vordergrund. In eine thematisch andere Richtung tendieren darüber hinaus die Beiträge von Ritchie Robertson und Maike Oergel. Während Robertson Schillers Verhältnis zu den Jesuiten untersucht und feststellt, dass Schiller, "relatively unconcerned about [their] real conspiracies", das Wissen um die Aktivitäten der Jesuiten eher literarisch umsetzt, wagt Oergel "A Fresh Look at Schiller's Fragment 'Deutsche Größe'". Der sehr lesenswerte Tagungsband schließt mit einem informativen Verzeichnis, das die vielfältigen Ereignisse des Schillerjahres 2005 tabellarisch zu erfassen sucht.
Der Sammelband von Steven D. Martinson bildet im Gegensatz zum Schillerbuch von Nicholas Martin zwar keinen Tagungsverlauf ab, präsentiert aber eine ähnliche Rahmung. Anstelle einer Liste, welche die verschiedenen Aktionen zu Ehren Schillers aufführt, findet sich bei Martinson eine kurze Werkbiografie Schillers. Martinsons einleitender Essay "Schiller and the New Century" ist überdies Martins Beitrag vergleichbar: Kursorisch werden zentrale Schwerpunkte von Schillers Werk gebündelt, um schließlich knapp auf die neuesten Schiller-Publikationen einzugehen. Anders jedoch bietet sich die auf den ersten Blick erkennbare Anordnung der Beiträge dar, die in drei Themengruppen unterteilt sind: 1) "Intellectual-Historical Settings", 2) "Major Writings" und 3) "Schiller's Legacy".
Zunächst geht es den Beiträgern um die Konturierung des ideengeschichtlichen Hintergrunds von Schillers theoretischen und historiografischen Schriften. Trotz des gleichen Anliegens bleiben aber die drei dort situierten Aufsätze in thematischer Distanz. Während Walter Hinderer Äquivalenzen zwischen dem medizinisch-philosophischen Frühwerk und dem theoretisch-ästhetischen Spätwerk aufzeigt, befasst sich David Pugh mit Schillers Antikerezeption und Otto Dann mit Schillers bewusster Wendung zur Geschichte und Geschichtsschreibung.
Im zweiten Bereich stehen erwartungsgemäß hauptsächlich Schillers Dramen im Mittelpunkt, die bis auf die "Verschwörung des Fiesko zu Genua" und die "Braut von Messina" in Einzelinterpretationen behandelt werden. Dennoch werden Überlegungen der ersten Sektion immerhin implizit aufgegriffen. Der Herausgeber Steven D. Martinson beispielsweise legt eine Deutung der "Maria Stuart" vor, indem er - der These Hinderers unausgesprochen folgend - unter Rekurs auf Schillers erste Dissertation "Philosophie der Physiologie" die Wechselbeziehungen zwischen Körper und Geist am späten Königinnendrama verfolgt. Auch die anderen Interpretationen bieten überzeugende Erläuterungen von Schillers Stücken, einzig die "Räuber"-Deutung von Werner von Stransky-Stranka-Greifenfels exponiert fragwürdige Bezüge zum Aladdin-Stoff beziehungsweise auch zu den Hussitenkriegen. Am Ende stellt Wulf Koepke "The Reception of Schiller in the Twentieth Century" detailreich vor und benennt die Aufgabenstellung für zukünftige Schiller-Sammelbände: "the specific character of Schiller's genius and works are still in need of more clarification - and liberation from cultural prejudices."