Exit IA?

Tom Kindts und Hans-Harald Müllers Monografie zum "impliziten Autor"

Von Carolina KapraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carolina Kapraun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literaturwissenschaftliche Begriffe stehen in Traditionen, dienen als Hilfsmittel zu Interpretationen, sind wissenschaftliche Beschreibungskategorien von textuellen Phänomenen oder markieren Zugehörigkeiten zu einer bestimmten literaturtheoretischen Richtung. Je allgemeiner sie sind, desto weiter die Bereiche, in denen sie Anwendung finden können, desto vager allerdings auch ihr konkreter semantischer Gehalt beziehungsweise desto schwieriger eine Begriffsbestimmung. "Begriffe sind und sind nicht, ohne daß sie entstehen oder vergehen", formuliert Aristoteles in seiner "Metaphysik". Die "Fluidität" des in der Literaturwissenschaft verwendeten Vokabulars ist tatsächlich nicht selten. Je nach theoretischer Gesinnung, historischer Verortung oder dem jeweiligen Erkenntnisinteresse werden Begriffe unterschiedlich definiert und gebraucht - zumeist ohne die genaue Art der Verwendung explizit zu machen. Für die literaturwissenschaftliche Praxis stellt dies - wie leicht nachzuvollziehen - eine erhebliche, eine basale Schwierigkeit dar.

In ihrer Monografie "The Implied Author. Concept and Controversy" stellen sich Tom Kindt und Hans-Harald Müller diesem Problem, indem sie sich dem Konzept des "impliziten Autors" zuwenden und nach der Möglichkeit der Explikation eines bis dato eher vage und kontrovers gebrauchten Begriffs fragen. Dabei geht es ihnen weniger darum, eine weitere, bloße Kritik zum ebenso erfolgreichen wie umstrittenen Konzept des "impliziten Autors" oder gar ein Gegenmodell zu liefern, als vielmehr um die historische Rekonstruktion seiner Einführung beziehungsweise eine Systematik der Verwendungsweisen.

Die Studie setzt sich daher aus zwei zentralen Teilen zusammen. Im ersten Teil machen es sich die Autoren zum Ziel, die Umstände der Einführung, die Rezeption und die Entwicklung des "impliziten Autors" nachzuzeichnen. Das Interesse ist primär ein historisches und beginnt mit den "Chicago Critics" beziehungsweise dem "New Criticism". Mit der diskursiven Verortung des 1961 von Wayne C. Booth eingeführten Konzepts gelingt es Kindt und Müller nicht nur einen generellen, fundierten historischen Kontext zu liefern, sondern gleichzeitig wichtige Prämissen offenzulegen, mit welchen der "implizite Autor" seit seiner Einführung immer wieder einhergeht. Von zentraler Bedeutung ist hier beispielsweise die Kontroverse um die Bedeutung des (empirischen) Autors für die Analyse und Interpretation literarischer Texte. Die Autoren weisen darauf hin, dass der "implizite Autor" im Zusammenhang mit der Debatte um den "Tod des Autors" zu sehen sei, weshalb der Begriff eine gewisse Ambivalenz aufweise: Um den Autor aus der literarischen Kommunikation nicht vollkommen auszuschließen, wird er im "impliziten Autor", im "Textinnern", das heißt textuell beziehungsweise strukturell und nicht mehr empirisch fixiert. Durch diese Hintertür bleibt er - wenn auch qualitativ modifiziert - Bestandteil des literaturwissenschaftlichen Diskurses. Der Diskurs um die Rückweisung verschiedener Autorkonzepte ist daher auch ein Zentraler für das Verständnis des "impliziten Autors", der auf verschiedene Probleme und zentrale Fragestellungen der Literaturwissenschaft rekurriert.

Im Rahmen der historischen Betrachtung zeigen die Verfasser ferner die Inkonsistenzen des fokussierten Konzepts auf. Es wird deutlich, dass der Begriff schon bei Booth verschiedene potentielle Bedeutungen beinhaltet, die sich in seiner heterogenen Rezeptionsgeschichte widerspiegeln. Fragen nach einem konkreten, theoretischen Rahmenkonzept, in welches der "implizite Autor" eingebettet ist, wie genau er in einem Text zu identifizieren sei oder ob das Konzept zur Beschreibung narrativer Muster oder gar zur literarischen Interpretation zu gebrauchen sei, lassen sich selbst bei genauer Betrachtung der Texte Booths nicht eindeutig beantworten.

Die Rezeption des Booth'schen Begriffs basiert denn auch auf eben diesen Unklarheiten, die sich in ihr fortsetzen und je nach Interpretation in Bezug auf das in Frage stehende Konzept zu verschiedenen Überzeugungen führen. Kindt und Müller geben einen Überblick über den Verlauf der nunmehr seit 40 Jahren virulenten Kontroverse, wobei ihr Anliegen allerdings primär ein typologisches ist. Vor allem die verschiedenen Typen der Rezeption sollen rekonstruiert werden als Vorarbeit für die sich im zweiten Teil anschließende Explikation. Die von den Autoren aufgestellte Systematik kontextualisiert die Rezeption des "impliziten Autors" in zweierlei Hinsicht: zum einen stellt sie sie in den Zusammenhang der Interpretation literarischer Texte (das betrifft sowohl die Theorie der Interpretation als auch die Praxis), zum anderen der Beschreibung literatischer Texte, wie sie in der Narratologie vorkommt. Kindt und Müller unterscheiden hier das Konzept als Hilfsmittel beziehungsweise begrifflichen Sammelpunkt, um die Textbedeutung zu rekonstruieren von einer determinierenden Instanz, die die narrativen Strukturen des literarischen Textes offen zu legen vermag. Dabei berücksichtigen sie, den ersten Teil abschließend, auch alternative Konzepte, wie sie seit den 70er Jahren immer wieder auftauchen, sei es das Autormodell von Umberto Eco, Wolfgang Isers "impliziter Leser" oder Wolf Schmids "abstrakter Autor", und bringen sie in Zusammenhang mit Booths "implizitem Autor"-Modell.

Im zweiten Teil ihrer Studie liefern sie schließlich eine Explikation des in Frage stehenden Begriffs, wobei sie vor allem drei Ebenen in den Blick nehmen: den "impliziten Autor" als Phänomen der Rezeption, als pragmatische und als semantische Kategorie. Nach einer detaillierten Prüfung der verschiedenen, das Konzept tangierenden, jedoch disparaten Ebenen kommen sie schließlich zu dem Schluss: "The resultant analysis suggests that explicating the implied author as a participant in communication would not be sensible but that explicating it as an entity to which the meaning of a text is attributet could well be. More precisely, this means explicating it as the hypothetical or postulated author in the conceptual context of hypothetical intentionalism." Das Genette'sche "Exit IA" wird von Kindt und Müller damit differentialistisch mit einem Vorschlag für einen möglichen Begriffsgebrauch beantwortet, der allerdings nahe legt, den bis dato gebrauchten Begriff des "impliziten Autors", wie ihn die Forschung kennt, ad acta zu legen, da er das zu beschreibende Phänomen als Begriff nicht mehr wirklich zu treffen vermag, beziehungsweise partiell ersetzt werden kann durch andere Konzepte.

Neben der adäquaten, klaren und sehr überzeugenden methodischen Vorgehensweise fällt vor allem auch das umfangreiche Literaturverzeichnis auf, das nicht nur die relevante Forschungsliteratur der letzten 40 Jahre auf einen Blick wiedergibt, sondern das auch das umfassende Anliegen der Studie widerspiegelt, das ihr zu Grunde liegt und dem sie in ihren Ausführungen mehr als gerecht wird.

Mit ihrer Monografie ist den Autoren Kindt und Müller etwas gelungen, das in der Literaturwissenschaft eher selten und daher fast beispiellos ist: Sie schärfen neben einer fundierten, sachkundigen und luziden historischen Rekonstruktion und Explikation eines zentralen literaturwissenschaftlichen Konzepts in ihrer Studie exemplarisch den Blick für die Tatsache, dass Begriffe in der Literaturwissenschaft keine Konstanten wissenschaftlichen Arbeitens sind, sondern selbst, kontextuell geprägt, eine Rezeptionsgeschichte haben, die sie fortwährend verändert, ja schließlich vage macht und die daher stets hinterfragbar bleiben und im Rahmen einer kritischen Wissenschaft hinterfragt werden müssen.


Titelbild

Tom Kindt / Hans-Harald Müller: The Implied Author. Concept and Controversy.
De Gruyter, Berlin 2006.
224 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 3110189488

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