DJ And Music Maniac

John Peels Lebenserinnerungen oder die Musik der letzten dreißig Jahre

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

John Peel (1939-2004) war DJ. DJ bei der BBC. Und das seit den 60er-Jahren. Bei der BBC und bei den Hörern wurde er schnell zu einer Institution. Nun liegen seine Memoiren vor, die er kurz vor seinem überraschenden Tod begonnen hatte. Der zweite Teil wurde danach von seiner Frau Sheila Ravenscroft und den vier gemeinsamen Kindern nach seinen Aufzeichnungen und Tagebüchern vollendet.

Am bekanntesten sind die musikalischen Zeugnisse aus John Peels Zeit als BBC-Radiomoderator. In regelmäßigen Abständen - einmal pro Woche - lud er meist kurz vor dem Durchbruch stehende Musiker ein, die in seinem Studio in einer oder auch mehreren Sitzungen ihre aktuellen Songs vorstellten und aufnahmen. Eine Vielzahl dieser Aufnahmen wurde unter dem Namen "Peel Sessions" auf dem Label Strange Fruit Records veröffentlicht und sorgte damit auch für eine weltweite Verbreitung als Tonkonserve. Aber wie ist es nun bestellt um die unter dem Titel "Memoiren" veröffentlichten Aufzeichnungen John Peels? In dem über 500 Seiten umfassenden Band findet man zwei Abschnitte, beide von nahezu gleichem Umfang. Der erste Teil beinhaltet den von John Peel fertiggestellten Teil des Buches, der seine Autobiografie bis in die Mitte der 60er-Jahre beinhaltet und mit einem bemerkenswerten Schluss aufwartet: "Als wir nach Nuevo Laredo kamen, überquerten wir die Grenze nach Mexiko, und Harry führte mich durch die staubigen Straßen zu seinem Lieblingsbordell."

Etwas musikalischer wird es überraschenderweise im zweiten Teil. Peel war mit dem Manuskript noch nicht so weit fortgeschritten, dass viele Begegnungen mit Musikern und Bands in seinen Aufzeichnungen auftauchen. Auch seine Freundschaft mit Marc Bolan, bekannt als Mitglied der Band "T. Rex", wird im zweiten Teil der Beschreibung vor allem durch "seltsame Aspekte" interessant. Oder wer kennt schon intime Details von einem Treffen zwischen John Peel und Marc Bolan: "Normalerweise jedoch waren ihre nächtlichen Zusammenkünfte bestimmt von ihrer Leidenschaft für elektrische Autorennbahnen. John und Marc hatte eine Scalectrix-Rennbahn aufgebaut, die sich geradezu wuchernd im ganzen Haus ausbreitete, bis nahezu jedes Zimmer und jeder Quadratzentimeter Teppich davon bedeckt war. Bis dato war das Haus lediglich von ständiger Musik erfüllt gewesen, doch nun mischte sich ein neues Geräusch in die Schallkulisse, und wann immer es eine Pause zwischen zwei Stücken gab, konnte man das leise Knistern und Quietschen der Modellautos hören, die um die Kurven fegten. Jeder von uns - John, Marc, Marcs Freundin June und ich - hatte einen eigenen Wagen. In der Zwischenzeit wucherte die Bahn immer weiter, und je größer sie wurde, desto mehr Strom verbrauchte sie, und es kam immer wieder vor, dass John und Marc losrannten, um weitere Trafos zu besorgen. Die beiden müssen einen reichlich bizarren Anblick geboten haben, wenn sie in ihren Hippie-Klamotten zum nächsten Spielzeugladen zischten, um sich wie Junkies ein paar Päckchen Scalectrix-Zubehör zu besorgen."

Einen ebensolchen charmanten Eindruck macht das Verhältnis, das Peel zu seinen Hörern hatte. 1978 schrieb er: "Ist eigentlich irgendeinem da draußen klar, dass ich seit mittlerweile einem Jahrzehnt Sendungen für Radio 1 mache und in dieser Zeit sämtlichen Hörern, die sich bei mir gemeldet haben und die einigermaßen in der Nähe von Peel Acres wohnen und einen halbwegs liebenswürdigen Eindruck machten, meine Adresse und Telefonnummer gegeben habe mit dem Vorschlag, sich doch einmal zu melden? Und in der ganzen Zeit hat von all diesen Leuten nur einer - ein Student aus Cambridge - mich tatsächlich angerufen? Wir haben uns verabredet, aber er ist nicht aufgetaucht."

In beiden Teilen der "Memoiren" wird es dem Leser kaum langweilig werden, der zweite Teil ist sogar unterhaltsamer zu lesen. Auch erfährt man dort weit mehr über Musik als im ersten Teil - was wohl auch ursächlich daran liegen mag, das der zweite Teil erst 1967 einsetzt. Dies ist denn eigentlich auch der Hauptkritikpunkt: Man hätte sich definitiv gewünscht, noch mehr über Musik zu erfahren. Mehr über John Peels Verhältnis zu den Gruppen, zu den Musikern, warum er die eine Band mochte, warum er eine bestimmte Musik spielte und eine andere überhaupt nicht. Also genau das, warum man ihn mochte und warum man in Zeiten, in denen Radiohören etwas aus der Mode gekommen war, sich ans Radio gesetzt hat und gespannt war, was sich dieser schräge Exzentriker auf der anderen Seite des Kanals heute abend aus seiner unerschöpflich großen Plattenkiste gekramt hatte. Ja, darüber hätte man gerne ein wenig mehr erfahren.

Trotzdem ist es ein Buch über Musik und einen Musikexzentriker geworden, auch wenn es größtenteils den privaten Teil eines Leben beschreibt, der vielleicht nicht so interessant ist, aber als ganzes vielen Menschen so manchen Abend verzaubert und den Musikgeschmack der Hörer immer bereichert hat. Tja, vielleicht kann man sich ja die Neugier auf neue Musik aus den Zeilen von Peel und seiner Frau mitnehmen, in einen der Vinyltempel schreiten und einen Stapel völlig abgedrehter 45er mitnehmen - ohne eine Ahnung zu haben, was einen erwartet. Das hätte Peel gut gefallen!

PS: Und man hätte doch noch gerne seine Top 10 der wichtigsten Alben der Musikgeschichte erfahren - auch wenn die Liste angeblich mindestens zweihundert Titel umfasst hat.


Titelbild

John Peel: Memoiren des einflussreichsten DJs der Welt.
Übersetzt aus dem Englischen von Christoph Hahn.
Rogner & Bernhard Verlag, Berlin 2006.
557 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3807710213

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