Kalte Seele, ewige Spottlust

Jules Barbey d'Aurevillys dandyhafter Essay "Über das Dandytum"

Von Jochen StrobelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Strobel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Woran erkennt man einen Dandy? Der Autor dieses Buches, das vor allem dem Ur-Dandy George Brummell gewidmet ist, lehnt letzten Endes jede historische Einschränkung ab: Das Dandytum sei so universell wie die menschliche Eitelkeit selbst. Deshalb gab es vor Beau Brummell schon andere Dandys, wie zum Beispiel jenen Lauzun, dessen Geschichte Barbey d'Aurevilly als Zugabe erzählt und die vielleicht die aufschlussreichste dieses Buchs ist: Lauzun also, Zeitgenosse Richelieus, war ein Egoist, trug Kleider von fein nuancierter Originalität, war kaltblütig und unberechenbar und hatte überhaupt "die rücksichtslose, tigerhafte Eitelkeit der Dandys". Dann aber fällt die Herzogin von Montpensier, Nichte Ludwigs XIV., diesem Charmeur zum Opfer: Sie verliebt sich in ihn, er jedoch tut, als merke er es nicht und treibt sie langsam in den Wahnsinn. Als sie es ihm endlich gesteht, glaubt er es nicht (oder tut zumindest so). Als sie ihn heiraten will, widerstrebt er mit Hinweisen auf das Unstandesgemäße der Verbindung. Als man sich endlich doch verlobt, lässt er die Hochzeit platzen. Da die Herzogin ihm nach wie vor verfallen ist, beschimpft er sie. Schließlich scheint insgeheim doch eine Hochzeit stattgefunden zu haben, doch hier bricht Barbey ab: Es geht ihm um das Maßlose der Verführungskunst des Dandys, seine Rücksichtslosigkeit, die in der vollendeten Zurschaustellung von Desinteresse gipfelt.

Die fast bibliophil zu nennende Neuausgabe des zuerst 1845 gedruckten Büchleins, das, wie gesagt, vorwiegend dem bekannteren, aber ähnlich gearteten Brummell gewidmet ist, lässt sich bei flüchtiger Lektüre kaum rechtfertigen. Bei genauerem Hinsehen ist es aber Provokation und Programm, eine Absage nämlich an Nützlichkeit und soziale Engagiertheit des Menschen wie der Literatur, ein Plädoyer für einen nicht mehr unbedingt an Geburt und Herkunft gebundenen, sondern habituell erworbenen Aristokratismus, dem immer noch ein übersteigertes Ehrgefühl zu eigen ist. Beau Brummell, Prototyp des Dandy, gehört daher ganz an den Anfang einer Moderne, die mit Gustave Flaubert, Charles Baudelaire und Oscar Wilde dann im weiteren 19. Jahrhundert die bekannteren Vertreter der Spezies hervorbrachte. Sie sind allesamt Exzentriker, Spieler, Ästheten, jeglicher Loyalität gegen Staat, Nation und Volk abhold. Barbey porträtiert den Dandy als Agenten einer postrevolutionär zu nennenden Insurrektion. Ein Beau Brummell war sich seiner Macht über den Prince of Wales bewusst, den er als sein Geschöpf bezeichnete, er selbst war ein Mann von königlicher Impertinenz.

Dem Dandy wäre, so das Signal dieses Buches, mittels einer Abhandlung gewiss nicht beizukommen. Er lässt sich nicht analysieren, sondern höchstens erzählend umkreisen; möglich ist allenfalls eine Annäherung an ein legendär gewordenes Phänomen. Das Buch ist eine fortgesetzte Indiskretion, eine Anekdotensammlung, deren esoterisch anmutender Voraussetzungsreichtum wohl schon den Leser des 19. Jahrhunderts überfordert haben muss (der heutige hat allerdings einen ausführlichen Stellenkommentar zur Verfügung). Der Dandy ist aber demnach kaum mehr als ein Kreuzungspunkt vielfältigster On dits, ein vielleicht nur gut erfundener Typus wird von diesem Autor (der selbst ein Dandy gewesen sein soll) als glatte Wahrheit verkauft. Barbey behauptet, provoziert, Quellenkritik interessiert ihn nicht; er kennt sein Thema und der Leser hat ihm zu folgen.

Es entsteht ein verwunderlicher, aber gewiss kalkulierter Effekt: Passend zum Dandy, jenem Lebenskünstler (fast) ohne Kunstwerk, macht der Kern des Bändchens, der Essay über George Brummell, nur noch ein gutes Drittel des Gesamtumfangs aus, Barbey d'Aurevillys zahlreiche, meist viele Zeilen umfassende Fußnoten schon mit eingerechnet. Das Buch ist selbst ein Ausdruck des Dandyismus. In der neuen, von Gernot Krämer übersetzten und herausgegebenen Ausgabe finden sich noch mehr der Abschweifungen und Paratexte als im Original. Der biografische Anhang legt es geradezu auf den Beweis an, dass auch Barbey d'Aurevilly zu den Dandys zu rechnen sei - hinter der Detailfreudigkeit des hier wieder zugänglich gemachten Textes wie auch des Anhangs verbirgt sich wohl jeweils eine gehörige Portion Selbstironie.

Bestürzend ist, dass Barbey d'Aurevilly genau wie Beau Brummell seiner Rolle bis zum Ende treu blieb, und das heißt, dass er sein aristokratenhaftes Wesen bis zur Verarmung und zur Verelendung pflegte, dass er - und darauf kam es dem Dandy bis zuletzt an - Haltung bewahrte. Als in sich widersprüchlicher Typus, der traditionales Elitenbewusstsein mit unbekümmertem Ästhetizismus zu paaren suchte, ist der Dandy auf beinahe faszinierende Weise immer noch modern.


Titelbild

Jules Barbey d´Aurevilly: Über das Dandytum.
Übersetzt aus dem Französischen von Gernot Krämer.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2006.
187 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3882218789

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